Wechselmodell oder Residenzmodell: So schützen Sie Ihr Kind vor Stress und Chaos

Wie kann ich das Wechselmodell verhindern?

Das Wechselmodell ist zur Zeit in aller Munde. Es ist immer wieder fraglich, ob das Wechselmodell für Kinder eine funktionierende Lebensform sein kann oder eben auch nicht. Viele Menschen, vor allem die Kindesmütter, fragen mich, wie sie verhindern können, dass das Wechselmodell vom Familiengericht beschlossen wird. Dies zu beantworten ist schwierig. Es kommt auf wirklich viele Faktoren an. 

Das Wechselmodell soll letztlich ermöglichen, dass gemeinsame Kinder die getrennt lebenden Elternteile zu beiden Teilen gleichmäßig erleben dürfen. Die Grundidee und das Ansinnen der Kindesväter, die in der Regel betroffen sind, ist absolut nachvollziehbar. Allerdings kommt es auf das jeweilige Kind an und darauf, ob es sich um ein resilientes Kind handelt, was Veränderungen gut wegstecken kann und sich gut auf Neues einlassen kann. Ich werde hier daher keine Ratschläge erteilen, wie ein Wechselmodell verhindert werden kann. Dies wäre nicht fair. Es geht nicht um die Befindlichkeiten der Eltern sondern um das Kindeswohl und den Kindeswillen. Wenn ein Kind sich wünscht, den Papa genauso oft sehen zu dürfen wie die Mama, warum nicht? 

Wenn ein Kind aber Angst davor hat, verlassen zu werden, es sich mit der Next und deren Kind nicht versteht und der Schulweg vom Kindesvater aus dreifach so lang ist, wie von der Wohnung der Kindesmutter, dürfte es wenig ratsam sein, ein Wechselmodell zu versuchen. Ein guter Kompromiss ist, und so wird es häufig von Richtern vorgeschlagen, ein erweitertes Residenzmodell, beispielsweise von Donnerstags bis Sonntags oder von Freitags bis dienstags. Auf diese Weise lässt sich erproben, ob ein Kind dies annimmt und sich wohl damit fühlt. 

Eine Richterin sagte mal in einer Verhandlung: "Ich werde so schnell kein Wechselmodell beschließen, da sich so etwas nur sehr schwierig rückgängig machen lässt." Sie holte daraufhin erstmal ein Sachverständigengutachten ein zu der Frage, welches Umgangsmodell den Interessen des Kindes am besten entspricht. Eltern sollten dringend weg von ihren eigenen Befindlichkeiten. Um diese geht es nämlich nicht, so hart das auch klingen mag.

Über Sandra Günther

Sandra Günther ist seit 2007 Rechtsanwältin und hat sich in den Bereichen Familienrecht und Strafrecht spezialisiert. Sie wird ferner als TV Rechtsexpertin eingesetzt und ist Mitautorin des Ratgebers „ Wenn Liebe toxisch wird“.  Frau Günther hat ihren Kanzleisitz in Dortmund. In ihrem Podcast „ Familienrecht mit Herz und Verstand“ geht Frau Günther auf familienrechtliche Themen ein. Zuletzt stand sie für das TV „Format Ulrich Wetzel- Das Strafgericht“ vor der Kamera und hat sich ferner zu der Entführung der Familie Block im TV geäußert.

Schadet das Wechselmodell dem Kind

Das Wechselmodell kann Kindern schaden. Es kann aber auch zuträglich sein. Es kann auch sein, dass es weder schadet noch nutzt, dann wäre ebenfalls alles ok. Aber der Reihe nach: Wenn ein Kind die Trennung seiner Eltern miterlebt, so ist das immer ein einschneidendes Erlebnis. Es ist mit Trauer, Wut, Schuldgefühlen, Ohnmacht und Angst vor dem Verlassenwerden verbunden. Dies allein kann bereits dazu führen, dass Kinder eine Angststörung, eine Depression, eine Bindungsstörung oder sonstiges davon tragen. 

Wenn nun auch noch ein Streit zwischen den Eltern um den Aufenthaltsort des Kindes und dem Umgangsrecht entsteht, das Kind vor ein Familiengericht gezerrt wird und dort angehört wird, kann sich die Lage noch verschlimmern. Einnässen, Fingernägel kauen und ein Absinken der Noten sind nur einige Auffälligkeiten, die dann auftreten können. 

In derartigen Fällen ist es für ein Kind besonders wichtig, eine feste Basis zu haben, einen sicheren Ort, wo es hingehört. In derartigen Fällen wäre es fatal, ein Wechselmodell zu beschließen und dem Kind damit noch mehr Stress zuzumuten. Denn: Wenn ein Kind jede Woche die Haushalte wechseln muss ist das alles andere als ein ruhiges , geborgenes Leben. Dies muss einfach mal gesagt werden. 

Kinder, die sich in einer emotional fragilen Lage befinden, können massiv darunter leiden, plötzlich zwischen 2 Haushalten hin und her zu wandern. Dies kann zu einer dauerhaften Instabilität führen, die das Leben eines Kindes vollständig verändern kann. Wenn dann noch die Eltern ständig streiten, in den jeweiligen Haushalten abfällig über den anderen gesprochen wird und das Kind dazu genutzt wird, den anderen unter Druck zu setzen, ist das Drama perfekt. In solchen Familienkonstellationen ist ein Wechselmodell nicht die beste Wahl. Aber auch ein Residenzmodell ist in derartigen Familienkonstellationen nicht die Lösung. 

Insgesamt lässt sich festhalten, dass jegliches Modell Kindern schaden kann, wenn die Eltern nicht in der Lage sind, auf Elternebene zu funktionieren und zu kommunizieren. Es ist mit eine der schwierigsten Aufgaben für getrennte Eltern, sich dennoch für das gemeinsame Kind an einen Tisch zu setzen. Dies lernen wir in keiner Schule. Verletzte Emotionen und enttäuschtes Vertrauen erschweren den Umgang miteinander. Aber es muss irgendwie gehen. Der Weg dahin führt über die jeden einzelnen selbst. Wer es schafft, seine Emotionen beiseite zu legen, für das gemeinsame Kind, der hat den richtigen Weg eingeschlagen.

Wechselmodel contra Residenzmodell

Getrenntlebende Eltern, die ihre Kinder um sich haben wollen, am liebsten 24 Stunden am Tag, haben es oft nicht einfach. Sie wünschen sich zu gleichen Anteilen Zeit mit ihren Kindern. Früher war der Klassiker das sogenannte Residenzmodell. Dies bedeutet in der Regel Umgangskontakt mit dem getrenntlebenden Elternteil, meist der Kindesvater, in einem zweiwöchigen Turnus von jeweils freitags sonntags und alle Schulferien hälftig. In großzügigen Fällen durfte unter der Woche noch einmal telefoniert werden. 

Großartig? Nein, nicht für denjenigen, der das Kind nur alle 2 Wochen bei sich haben kann. Für die Kindesväter, und ich betone das, da es sie am ehesten betrifft, ist diese Regelung nicht zufriedenstellend. Sie wollen ihre Kindern häufiger sehen und Teil ihres Lebens sein. So entwickelte es sich in der Praxis immer mehr in Richtung Wechselmodell. 

Dies als Antwort auf die immer mehr ansteigenden Trennungen, dem Zeitalter des Homeoffice und dem Wunsch getrenntlebender Eltern, die Verantwortung für das Kind gleichmäßig zu teilen. Bei einigen wenigen spielt auch der Faktor Geld eine Rolle, da sich die Höhe des Kindesunterhaltes beim Wechselmodell verringert. Aber dies ist ein anderes Thema. Die Regel ist, dass der Wunsch nach gleichmäßiger Verantwortung und Zeit mit dem Kind im Vordergrund stehen. Es gibt jedoch keinen rechtlichen Anspruch auf das Wechselmodell. 

Das Wechselmodell ist keine Pflicht sondern eine Option. Durch das Wechselmodell haben Eltern mehr Zeit für sich selbst, und zwar in der Woche, wo das Kind beim anderen Elternteil ist. Die emotionale Bindung an beide Elternteile wird durch das Wechselmodell gestärkt. Auch Loyalitätskonflikte können reduziert werden, da das Kind nicht mehr zwischen den Eltern wählen muss. Auch kann das Wechselmodell helfen, die Trennung besser zu verarbeiten. Es kann aber auch das Gegenteil der Fall sein. 

Das Residenzmodell dagegen kann eine feste Struktur schaffen und Kontinuität ohne ständige Wohnortswechsel bieten. Dies bietet für ein Kind Sicherheit und Vorhersehbarkeit. Insbesondere für jüngere Kinder kann das Residenzmodell die bessere Wahl bei einer Trennung sein. Insgesamt ist aber immer der jeweilige Einzelfall zu betrachten. Es gilt der Grundsatz: Alles geht, solange es dem Kind nicht schadet sondern ihm gut tut!

Steht das Kindewohl beim Familiengericht wirklich an erster Stelle?

Familienrecht ist ein Rechtsgebiet, dass sich mit Schicksalen beschäftigt. Menschen machen einen Termin bei einem Familienrechtler um sich dort in ihrer familienrechtlichen Angelegenheit Hilfe zu holen. Aus diesem Grund steht an oberster Stelle das Wort: Vertrauen. 

Vertrauen und Empathie sind die Grundlage eines familienrechtlichen Mandats, neben der fachlichen Kompetenz natürlich. Wenn Mandanten zu mir kommen erhoffen sie sich häufig Fairness. Sie glauben, das die Aufgabe des Familienrechts darin besteht, Schuld und Nichtschuld auszusprechen. Sie haben die Hoffnung, das ihnen das Familiengericht die Absolution erteilt und sie von einer oberen Stelle gesagt bekommen, dass sie gut sind, wie sie sind und dass sie alles richtig gemacht haben. 

Ich muss derartig hoffnungsvolle Mandanten dann leider oft auf den Boden der Tatsachen zurückholen, denn Familienrecht ist alles andere als fair. Ein Familiengericht interessiert sich im Scheidungsfall zum Beispiel nicht für die Gründe der Trennung. Wer wen beleidigt, betrogen, geschlagen oder angespuckt hat ist für den Scheidungsausspruch unerheblich. Dies muss den Mandanten dann auch vermittelt werden. 

Das Familiengericht ist nicht die Plattform für die Aufarbeitung der jeweiligen Eheprobleme. So bitte ich dann den einen oder anderen Mandanten, die zahlreichen vorbereiteten Notizen wieder wegzulegen, um den Sachverhalt juristisch sauber und wenig ausufernd aufzubereiten. Ganz besonders ernüchternd ist es für diejenigen, die in einer Kindschaftssache da sind, so die Rechtsanwältin. Zwar ist es in Kindschaftssachen erheblich wichtiger, Daten und Fakten aufzubereiten und nachzuweisen, aber auch dort ist es nicht angebracht, die familiäre Situation auseinanderzupflücken. 

So kann es sein, dass sich eine Seite benachteiligt fühlt, da das Familiengericht den Sachvortrag zwar als wahr unterstellt, aber als unerheblich vom Tisch fegt. Während die andere Seite sich dann darüber freut, dass die Gegenseite in ihrem Punkt von dem Familiengericht nicht insoweit ernst genommen wurde, als dass der Sachvortrag nicht mit in die Entscheidung mit eingeflossen ist. Familienrecht ist aber auch nicht dazu da, Fairness herzustellen, sondern es dient dazu, die Belange der Eheleute so zu regeln, dass beide Beteiligte gut damit leben können. Insbesondere dann, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.