Bademeister: Manche Familien kommen nicht, weil sie wollen - sie müssen
Früher war das Freibad ein spontaner Ausflug. Heute sehe ich immer mehr Familien, die daraus ihren Sommerurlaub machen. Nicht, weil sie das Meer nicht mögen, sondern weil es schlicht nicht drin ist. Benzinpreise, Flüge, Hotels – alles teurer. Also bleibt man hier.
Ich sehe es gleich früh morgens. Die einen kommen mit einer kleinen Tasche, Handtuch, Wasserflasche. Die anderen mit Bollerwagen, Sonnenschirm, Kühltaschen. Wer hier den ganzen Tag bleibt, hat oft alles dabei – vom Frühstück bis zum Abendbrot. Manche Kinder wissen gar nicht, wie es ist, nach ein paar Stunden wieder heimzufahren.
Ralf Großmann wuchs im Schwimmbad auf und lebt Bäderbetrieb seit Kindheitstagen. Auf H2ohero.de teilt er seine Erfahrung aus deutschen Bädern – authentisch, alltagsnah und mit Herz für Sicherheit und Qualität. Er ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Ein Junge fragt seine Mutter, ob sie noch bis zum Abend bleiben. „Klar, das ist doch unser Urlaub“, sagt sie und lacht. Es klingt schön und ein bisschen traurig. Denn sie weiß, dass es dieses Jahr keine Reise geben wird.
Das Freibad als Urlaubsersatz
Tagsüber spielen die Kinder, springen vom Beckenrand, lachen. Aber wenn man genauer hinschaut, merkt man: Manche Eltern wirken erschöpft, fast so, als müssten sie sich den ganzen Tag bemühen, Urlaubsstimmung zu erzeugen.
„Ist doch schön hier, oder?“ höre ich oft. Ja, ist es – aber es ist eben nicht das Meer, nicht der Tapetenwechsel.
Im Freibad kann Urlaubsgefühl in Miniaturform wahr werden
Wer mehrere Tage die Woche kommt, kennt bald jeden Schattenplatz. Die Handtücher liegen immer an der gleichen Stelle, die Brotdosen sind morgens liebevoll gepackt. Einige bringen sogar kleine Spiele mit, um den Tag zu füllen. Und manchmal, wenn ein Ball über den Zaun fliegt, höre ich: „Macht nichts, Papa kauft mir morgen einen neuen.“ Andere suchen lange und sagen gar nichts – weil klar ist, dass es keinen Ersatz gibt.
Im Hochsommer sind viele Bekannte plötzlich weg. Sie posten Bilder vom Meer, aus den Bergen, von fernen Städten. Die, die bleiben, sieht man fast täglich im Bad.
Hinter manchem Lächeln steckt der Wunsch, woanders zu sein
Man grüßt sich, kennt die Kinder beim Namen, tauscht sich aus. Es entsteht so eine Art Gemeinschaft – Urlaubsgefühl in Miniaturform.
Ich finde, Freibad-Urlaub hat auch etwas Gutes. Die Kinder sind draußen, bewegen sich, spielen zusammen. Es gibt keine langen Autofahrten, keinen Stress mit Koffern oder Flügen.
Und manchmal entstehen gerade hier die schönsten Sommererinnerungen. Aber wir sollten nicht vergessen: Für manche ist es eine Wahl – für andere die einzige Möglichkeit.
Als Bademeister sehe ich das jeden Tag. Ich freue mich über volle Liegewiesen, über fröhliche Gesichter. Aber ich weiß auch: Hinter manchem Lächeln steckt der Wunsch, woanders zu sein. Das Freibad ist dann nicht nur Freizeit, sondern Ersatz.
Ich glaube, wir sollten das sehen – ohne Mitleid, aber mit Verständnis. Denn am Ende geht es darum, dass alle ein Stück Sommer bekommen. Ob am Meer oder im Wasserbecken um die Ecke.
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