Tiefsee - Radioaktive Anomalie auf dem Grund des Pazifiks ist wohl „nicht von dieser Welt“

Wissenschaftler haben bei der Untersuchung von Sedimenten aus dem pazifischen Ozeanboden eine überraschende Entdeckung gemacht. An der Analyse der Tiefsee-Manganknollen waren Teams des Helmholtz-Zentrums Dresden Rossendorf (HZDR), der Technischen Universität Dresden und der Australian National University beteiligt. 

Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher kürzlich im Wissenschaftsjournal „nature communications“.

Proben liefern seltenen Einblick in Erdgeschichte über Millionen Jahre

Nach Angaben einer Pressemitteilung des HZDR bieten die Untersuchungsergebnisse einen bedeutenden Einblick in die geologische Historie der Erde.

Die vom Boden des Pazifiks entnommenen Proben bestehen aus Ferromangankrusten, die vorwiegend Eisen und Mangan enthalten und über Millionen von Jahre langsam gewachsen sind. Um das Alter dieser Krusten zu bestimmen, setzte das Forschungsteam auf die präzise Technik der Beschleuniger-Massenspektrometrie am HZDR, um den Gehalt des radioaktiven Isotopes Beryllium-10 (10Be) zu messen.

Ein Foto der Probe neben einer Ein-Euro-Münze (l.) und der Ort der Probenentnahme im pazifischen Ozean (r.).
Ein Foto der Probe neben einer Ein-Euro-Münze (l.) und der Ort der Probenentnahme im pazifischen Ozean (r.). nature communications, Dominik Koll

„Wir waren also auf eine bislang unentdeckte Anomalie gestoßen“

Bei der Auswertung ihrer Daten stießen die Wissenschaftler auf eine unerwartet hohe Konzentration des Isotopes Beryllium-10. „Bei etwa 10 Millionen Jahren fanden wir fast doppelt so viel 10Be, wie es eigentlich zu erwarten gewesen wäre“, berichtete Dr. Dominik Koll, Physiker am HZDR.

Der Forscher resümiert: „Wir waren also auf eine bislang unentdeckte Anomalie gestoßen.“ Vor der Veröffentlichung prüfte das Team intensiv, ob Verunreinigungen zu dem überraschenden Ergebnis führten. Dazu wurden zusätzliche Proben aus der pazifischen Tiefsee analysiert, auch hier trat die Anomalie zutage.

Meeresströmungen oder kosmische Strahlung als Ursache vermutet

Die Anomalie könnte durch zwei unterschiedliche Szenarien erklärt werden, wie die Forscher vermuten. Die erste Möglichkeit bezieht sich auf die Ozeanzirkulation in der Nähe der Antarktis, die sich vor 10 bis 12 Millionen Jahren möglicherweise stark verändert hat. „Das könnte dafür gesorgt haben, dass 10Be durch die veränderten Meeresströmungen eine Zeit lang ungleichmäßig auf der Erde verteilt wurde“, erläutert Dr. Koll.

Der Graph zeigt die 10Be-Konzentration. Vor zehn Millionen Jahren stagniert der Zerfall plötzlich.
Der Graph zeigt die 10Be-Konzentration. Vor zehn Millionen Jahren stagniert der Zerfall plötzlich. nature communications, Dominik Koll

Die zweite Erklärungsmöglichkeit betrifft eine Verstärkung der kosmischen Strahlung, die vor etwa zehn Millionen Jahren stattgefunden haben könnte. Das könnte auf eine erdnahe Sternexplosion oder einen Verlust der Heliosphäre der Sonne vor zehn Millionen Jahren hindeuten

Die Heliosphäre kann als eine Art Schutzschirm verstanden werden, welcher von der Sonne ausgehend die Planeten von kosmischer Strahlung abschirmt. Sie kann durch die Kollision mit einer dichten interstellaren Wolke vorübergehend an Kraft verlieren.

Nur eine globale Anstrengung kann Anomalie aufklären

„Ob die Beryllium-Anomalie durch veränderte Meeresströmungen entstanden war oder astrophysikalische Gründe hat, können nur neue Messdaten zeigen“, erklärte Koll bezüglich der Tiefsee-Entdeckung. Der Physiker weist darauf hin, dass nur die Untersuchung weiterer Proben Klarheit bringen kann, und lädt weitere Forschergruppen ein, die Hypothesen zu prüfen.

Würde die Anomalie global nachgewiesen, spräche dies für die astrophysikalische Erklärung. Tritt sie hingegen nur in bestimmten Regionen auf, wäre die Theorie der veränderten Meeresströmungen stichhaltiger, argumentiert der Helmholtz-Forscher.

von Véronique Fritsche