Wirte klagen über völlig neues Urlauber-Problem – dahinter steckt besorgniserregender Trend
Besonders im Sommer spielen Körperideale eine große Rolle. Nun bekommen Restaurants in der Schweiz immer stärker einen neuen Trend zu spüren.
Bern - Eigentlich ist das TikTok-Video als Scherz gemeint. Zwei junge Frauen und ein Mann sitzen im Restaurant, vor ihnen stehen Teller mit einem rot glasierten Kuchen und anderen Desserts. Doch statt ihre Bestellung zu genießen und die Süßigkeit schnell zu verputzen, nippen alle drei nur kurz an ihrer vollen Gabel. Ihr Appetit reicht nicht mal für einen kleinen Bissen aus. Als Hintergrundmusik zirpen einsam Grillen. „Wenn du auf Ozempic bist“, schreibt der TikToker als Erklärung zu seinem Video.
Aus medizinischer Sicht hat die Parodie einen faden Beigeschmack. Ozempic ist nur eines von vielen Unternehmen, die in den vergangenen Jahren Abnehmspritzen auf den Markt gebracht haben. Das Medikament war ursprünglich für Diabetes-Patienten und Menschen mit Adipositas vorgesehen. In den vergangenen Monaten hat es sich in den USA und Europa aber zu einem alltäglichen Trend zum Abnehmen entwickelt. Mit der Spritze sinkt automatisch der Appetit, gleichzeitig wird das Sättigungsgefühl verstärkt.
Wirte klagen über neues Urlauber-Problem: Viele Restaurantbesucher haben keinen Appetit
Den Trend ums Abnehmen bekommen inzwischen sogar Gastwirte und Restaurantbesitzer zu spüren. Daniel Marbot ist Gastroplaner und Gründer und Inhaber der Firma Gemasy GmbH, die in der Schweiz eng mit Restaurants und anderen Gastronomiebetrieben zusammenarbeitet. Im Gespräch mit dem Nachrichtenportal 20 Minuten sagte er: „Im Austausch hören wir immer wieder, dass ehemalige Stammgäste den Restaurants fernbleiben – unter anderem, weil sie Abnehmspritzen nutzen und der klassische Restaurantsbesuch sich für sie nicht mehr lohnt.“

Wenn Marbot mit Kunden nach einem Restaurantbesuch Befragungen durchführt, höre er inzwischen ganz andere Probleme als früher. Einst habe man sich noch über die Preise oder andere typische Sachen beschwert. Nun sei ein neuer Hauptkritikpunkt, dass die Portionen zu groß sind.
Nur eine Vorspeise oder ein halbes Gericht bestellt: Abnehmspritzen werden zum Problem von Gastronomen
Ein Blick in TikTok oder andere soziale Medien bestätigt, dass Schwierigkeiten beim Essen gehen dazugehören. Videos, in denen die Appetitlosigkeit während einem Restaurantbesuch parodiert werden, kursieren überall. Viele Menschen scheinen kein Geheimnis daraus zu machen, dass sie das Medikament aus Schönheitsgründen einnehmen und nicht, weil sie sie an Diabetes Typ 2 oder Fettleibigkeit leiden.
„Ich höre immer wieder in Gesprächen, dass die Gäste offen damit umgehen und dem Personal sagen, dass sie gerade mit diesen Medikamenten am Abnehmen seien und darum nur eine Vorspeise bestellten oder die Hälfte des Hauptgangs nicht ässen“, bestätigt auch Marbot gegenüber 20 Minuten. „Und ich glaube, dass das in den kommenden Jahren noch einmal deutlich zunehmen wird.“
Abnehmspritzen immer mehr im Trend: In Deutschland häufen sich Rezeptfälschungen
Was steckt hinter der gesellschaftlichen Offenheit? GLP-1-Medikamente wie Ozempic, Wegovy und Mounjaro sind zu regelrechten Lifestyle-Produkten geworden. Auch Promis pushen die Nachfrage. So hat sich etwa der SpaceX- und Tesla-Chef Elon Musk öffentlich dazu bekannt, sie zu nutzen. „Der Hollywood-Trend ist besorgniserregend“, sagt Dr. Caroline Apovian, Co-Direktorin des Zentrums für Gewichtsmanagement und Wellness am Brigham and Women‘s Hospital in Boston, im Juni gegenüber dem People-Magazin. Denn die Zielgruppe des Medikaments sei eigentlich eine ganz andere: „Wir reden hier nicht von Stars, die 10 Pfund abnehmen wollen. Wir reden von Menschen, die an Fettleibigkeit sterben oder sterben werden.“
Aufgrund der hohen Nachfrage kommt es immer wieder zu Lieferengpässen. In Deutschland sind Diabetes-Medikamente verschreibungs- und folglich apothekenpflichtig. „Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Kosten“, erklärt das Stuttgarter Innenministerium im Sicherheitsbericht. Bei einer Verordnung mittels Privatrezept zur Behandlung von Adipositas müssen die Anwenderinnen und Anwender demnach das Medikament selbst bezahlen.
Das hat laut dem Bundeskriminalamt (BKA) in den vergangenen beiden Jahren vermehrt zu Rezeptfälschungen geführt. Es sei ein Anstieg von Fällen beobachtet worden, bei denen Menschen durch gefälschte Rezepte an gewichtsreduzierend wirkende Arzneimittel kommen wollten. Eine genaue Statistik dazu gibt es laut einem Sprecher bislang aber nicht. (no)