Die Aussagen des Virologen Hendrik Streeck über den Sinn medizinischer Behandlungen im hohen Alter haben zahlreiche Leser empört. Viele Leser empfinden es als respektlos und unbedacht – andere nutzen die Debatte, um über Gerechtigkeit, Ethik und Kosten im Gesundheitswesen zu sprechen. Zwischen Moral, Ethik und nüchterner Systemkritik zeigt sich, wie sensibel die Frage nach dem Wert des Lebens bleibt.
Der vollständige Artikel ist hier verfügbar: Streeck wirft Frage auf, ob 100-Jährige noch teure Medikamente kriegen sollte
Kritik an Streeck
Viele Leser kritisieren Streecks Aussage, der zufolge sich aus der Erfolglosigkeit einer Behandlung bei seinem Vater allgemeine Schlüsse ziehen ließen. Das gelte als unsachlich, taktlos und wenig professionell. Die Empörung speist sich auch aus einer tieferen Irritation: Dass ein Mediziner mit Einfluss den Eindruck erweckt, persönliche Erfahrung könne Maßstab medizinischer Entscheidungen sein, untergräbt Vertrauen in wissenschaftliche Objektivität. Die Leser erwarten Differenzierung, nicht Verkürzung.
"Darüber haben m.E. Nicht Herr Streeck oder die Politik zu bestimmen, sondern die Patienten bzw. Angehörigen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese eine belastende (!) Chemotherapie auch ablehnen. Hier geht es nicht ums Geld ..." Zum Originalkommentar
"Achso, wenn es bei seinem Vater nichts gebracht hat, bringt es bei niemandem etwas und daher sollte es dann nicht eingesetzt werden. Klingt logisch ..." Zum Originalkommentar
"Es ist eine Unverschämtheit, so eine Frage zu stellen in seiner Position. Dieser Mann ist eine Fehlbesetzung und verfügt nicht über das nötige Feingefühl, Respekt und Wertschätzung gegenüber den Bürgern." Zum Originalkommentar
Ethische und historische Warnungen
Besonders sensibel reagieren viele Leser auf die ethische Dimension der Aussage. Einige ziehen deutliche historische Linien und warnen davor, den Wert menschlichen Lebens auch nur indirekt zur Diskussion zu stellen. Solche Vergleiche zeigen die Tiefe der Irritation. Die Leser sehen in Streecks Formulierung einen gefährlichen Ansatz – und verlangen klare Distanzierung. In den Kommentaren wird daher auch an den ersten und wichtigsten Satz des Grundgesetzes erinnert.
"Im Grundgesetz steht: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Also ist Streecks Fragestellung irrelevant!" Zum Originalkommentar
"Führen wir jetzt wieder Diskussionen über unwertes Leben? Wohin das führt, sollten wir doch begriffen haben." Zum Originalkommentar
"Ich dachte, die Differenzierung, wessen Leben welchen Wert für die Gesellschaft hat, hätten wir nach einer sehr dunklen Zeit hinter uns gelassen." Zum Originalkommentar
"Schwieriges Thema. Moralisch und ethisch grenzwertig. Mein Gefühl sagt mir, sowas öffnet die Büchse der Pandora. Nicht gut." Zum Originalkommentar
Debatte um Gerechtigkeit bei Medikamentenzugang
Neben der Empörung über Ton und Haltung rückt auch die Frage der Verteilungsgerechtigkeit in den Mittelpunkt. Viele Leser fürchten, dass mit zunehmenden Therapiekosten eine Zwei-Klassen-Medizin drohe: Wer wohlhabend ist, lebt länger; wer es nicht ist, verliert die Chance auf Heilung.
Diese Sorge ist nicht unbegründet. Schon heute warnen Krankenkassen und Ethikräte davor, dass teure neue Medikamente die Solidarsysteme überfordern könnten. Wenn ein Mediziner öffentlich über die Begrenzung von Behandlungen spricht, wird das schnell als Vorbote einer ökonomischen Triage verstanden – und berührt den Kern sozialer Gerechtigkeit im Gesundheitswesen.
"Die Sache ist nicht bis zum Ende gedacht. Die einen Alten können sich dann die teuren Medikamente leisten und die anderen nicht. Die ersteren überleben, die anderen nicht. Es ist die Frage, ob wir eine derartige ökonomisch induzierte Triage wollen. Ich finde sie unfair." Zum Originalkommentar
"Es wird dann so kommen, dass besondere und sehr teure Medikamente eben nicht mehr für alle von den Krankenkassen bezahlt werden, oder zumindest dann die Zuzahlungen für solche dermaßen ins Geld gehen, sodass sich ein sehr alter Mensch mit Durchschnittsrente diese erst gar nicht leisten kann. Dann stirbt es sich halt noch schneller, nur dann eben aus reinen Kostengründen." Zum Originalkommentar
"Für wen wird denn stetig geforscht und entwickelt, nur dass er ja länger leben kann. Wer verdient denn daran, wenn die Ersatzteile immer besser und umfangreicher werden? Der Krebs sowie andere fiese Krankheiten durch Impfungen und Medikamente zukünftig keine Chance mehr bekommt. Was soll denn dann der ganze Zirkus, um das Leben zu verlängern, wenn es sich dann letztendlich nur noch Millionäre leisten können, unsterblich zu werden." Zum Originalkommentar
"Die überflüssigen Behandlungen und Operationen sind ein generelles Problem, das nicht am Alter der Patienten liegt, sondern an der Geldgier allgemein im Gesundheitssektor. Aber die Alten sind mal wieder Zielscheibe, wie bei so vielen Bereichen (Rente, Wohnung, Arbeit, Auto etc.) ..." Zum Originalkommentar
Debatte um Systembelastung
Ein Teil der Leser nutzt die Debatte, um das Gesundheitssystem grundsätzlich infrage zu stellen. Es wird gefordert, Beiträge und Leistungen stärker zu koppeln und Prioritäten neu zu setzen. Andere plädieren für Eigenbeteiligungen bei sehr teuren Behandlungen im hohen Alter. Diese Vorschläge sollen den Kostendruck abfedern, stoßen aber zugleich auf moralische Bedenken.
Damit verschiebt sich der Fokus der Diskussion: von Streecks Formulierung hin zur Frage, ob und wie der Staat künftig medizinische Grenzen definieren darf.
"Ja, es sind ja auch die 100-Jährigen allein, die unser Gesundheitssystem so arg belasten. Da ist es wirklich am wichtigsten, bei denen anzufangen. Ich kann nur den Kopf schütteln ..." Zum Originalkommentar
"Meine Frau und ich sind zu Coronazeiten am Wochenende ehrenamtlich für den Mahlzeitendienst der Caritas gefahren. Zu den Mahlzeiten holen die alten Leutchen ihre Medikamentenboxen und Vorräte heraus. Es ist der Wahnsinn was da an Mengen herausgekommt ..." Zum Originalkommentar
"Ich dachte immer alle Menschen wären gleich. Wird doch immer wieder betont. Und jetzt sind sehr alte Menschen doch nicht mehr so viel wert? Also zumindest für die Medikamente sind sie es nicht mehr? Was kommt als nächstes? Solche Vorschläge sind irre. Zeigt aber die Denkweise von Politikern. Wir alle wissen, warum die Sozialkosten explodieren. Wenn immer mehr Geld bezogen wird als eingezahlt wird. Wenn gleichzeitig keine echten Reformen wie Bürokratie Abbau etc. folgen kommt das bei raus. Aber die Alten haben kaum Lobby. Und keine NGO. Perfekt für die Politik. Da kann man drauf hauen." Zum Originalkommentar
Debatte zur Kostenbegrenzung
Einige Leser versuchen, aus der Empörung Konsequenzen zu ziehen und schlagen konkrete Modelle zur Begrenzung der Gesundheitskosten vor. Genannt werden gestaffelte Eigenbeteiligungen im Alter oder neue Finanzierungsregeln für Krankenkassen. So solle die Solidarität erhalten, aber die Belastung gerechter verteilt werden. Solche Vorschläge bewegen sich zwischen ökonomischer Vernunft und sozialer Zumutung – sie zeigen, wie sehr die Debatte inzwischen von der Frage geprägt ist, was das Leben kosten darf.
"Ich schlage folgendes Modell vor: Bis zur Volljährigkeit kommt die Krankenkasse zu 100 % für Medikamente und Behandlungen auf, danach geht es pro Lebensjahr 1 Prozentpunkt runter, ausgenommen Schmerzmittel und alles andere Palliative. Wer mit 85 noch 'ne neue Hüfte zu brauchen meint, zahlt eben zwei Drittel zu ..." Zum Originalkommentar
"Herr Streeck hat im Grundsatz völlig recht. Wenn man bedenkt, dass wir im Gesundheitssystem viel mehr für die 'Volksgesundheit' tun könnten (Einstellung Altenpflege, Hebammen, Physios, Ärztinnen …), wenn sich alle quasi darauf einigten, am Ende unseres Lebens, das in manchen Fällen dann einfach nicht mehr zu retten ist (und das kann auch schon mit 30 sein), diese absolut riesigen Summen, die für einige Monate Verlängerung gut sind, irgendwie zu begrenzen. Zwei Therapiezyklen, danach ist dann Schluss z.B. Die +200.000 Euronen direkt in einen Fond ..." Zum Originalkommentar
Ärztliche Grundsätze versus Kostendruck
Zahlreiche Kommentare betonen die Unvereinbarkeit von Kostendenken und ärztlichem Ethos. Ärzte, so der Tenor, seien dem Leben verpflichtet, nicht der Bilanz. Jede Diskussion über Alter, Kosten und Nutzen dürfe diese Grundregel nicht unterlaufen. Der hippokratische Eid wird vielfach als moralische Grenze genannt, die nicht verhandelbar ist.
"Als Mediziner ist eine solche Aussage ethisch nicht vertretbar." Zum Originalkommentar
"Falsch, was er sagt! Ein Arzt unterliegt einem Eid, das bedeutet, wenn es Medikamente gibt, egal für welches Alter, sind diese in jedem Fall einzusetzen. Wenn so eine Diskussion in der jetzigen Zeit so geführt wird, ist das sehr verstörend." Zum Originalkommentar
"Wie ist das mit dem hippokratischen Eid vereinbar? Ist das nicht die Triage?" Zum Originalkommentar
Sonstige Stimmen
Ein Teil der Reaktionen begegnet der Debatte mit schwarzem Humor. Andere bringen dagegen weitere Ansätze in die Debatte.
"Meiner Meinung nach sollten die Bereiche Palliativmedizin und - Versorgung ausgebaut werden. Ausserdem sollte mehr Aufklärung über das Thema Vorsorge erfolgen. Dabei geht es auch dabei darum, dass Angehörige sich damit auseinandersetzen wie es ist wenn entschieden wird keine weitere Maßnahmen zu ergreifen. Auch wenn eine Verfügung besteht wird das Thema ja angesprochen wenn es darum geht und selbst wenn es um Wunsch und Würde geht, ist es schon eine Hürde sich dem zu stellen wenn es so weit ist. Ich spreche aus eigener Erfahrung und der mit Angehörigen, die in dieser Situation sind." Zum Originalkommentar
"Als nächstes kommt vermutlich der Chip mit dem Verfallsdatum direkt unter die Haut!" Zum Originalkommentar
Wie sollte die Gesellschaft Entscheidungen über lebenswichtige Therapien im hohen Alter treffen? Diskutieren Sie mit: Wer oder was entscheidet über unser Recht auf medizinische Versorgung – das Alter, das Portemonnaie oder der ärztliche Eid?