Einwohner widersprechen Kreml-Märchen - In Mariupol ist nichts wie früher
Seit der Eroberung von Mariupol durch russische Truppen vor über drei Jahren zeigt sich die Stadt nicht im Zustand der Normalität, den Russland zu präsentieren versucht. Die Realität für die Bewohner ist laut „BBC“ immer noch von Zerstörung und vielen Problemen geprägt.
Ein Mann aus der Stadt, der aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchte, nannte gegenüber der „BBC“ die russische Darstellung der Situation ein „Märchen für Dummköpfe“. Während die Fassaden der Hauptstraßen repariert wurden, sind die Seitenstraßen voller Schutt und viele Menschen leben in halb zerstörten Wohnungen. Dies steht im krassen Gegensatz zu den Aufnahmen russischer Influencer, die Mariupol als glänzende, wiederaufgebaute Stadt zeigen.
Verunreinigtes Trinkwasser und Stromausfälle
Die brutalen Bombardements forderten Tausende von Menschenleben und beschädigten oder zerstörten laut UN-Angaben 90 Prozent der Wohngebäude in Mariupol. Nun erklärt Russland, man baue die Stadt wieder auf. Die Einwohner zeichnen jedoch ein anderes Bild von der Situation; sie berichten unter anderem von Wasserknappheit. Das Wasser sei oft verfärbt und selbst nach dem Abkochen schwer zu trinken. Serhij Orlow, der stellvertretende Bürgermeister im Exil, spricht von einem beschädigten Kanal, der die Wasserversorgung der Stadt gefährdet.
Neben der Wasserknappheit gibt es außerdem viele Stromausfälle, nur teure Lebensmittel und kaum verfügbare Medikamente. Diabetiker kämpfen darum, rechtzeitig Insulin zu bekommen. Die russische Verwaltung hat bisher auf Anfragen dazu nicht reagiert, berichtet die „BBC“.
Russische Propaganda in Lehrbüchern
Ein weiteres Thema, das den Einwohnern Sorge bereitet, ist die Schulbildung. Ein ehemaliger Student an der Uni in Mariupol erzählt, dass die Unterrichtsmaterialien Propaganda enthalten und mehrere ukrainische Regionen auf Landkarten fälschlicherweise als russisch ausgeben. Lehrer, die sich weigern, diese Inhalte zu unterrichten, werden unter Druck gesetzt oder entlassen, so der ehemalige Student weiter.

In Mariupol formiert sich Widerstand
In Mariupol gibt es jedoch eine geheime Widerstandsbewegung. Menschen sprühen in der Nacht in ukrainischen Farben ihre Botschaften auf Wände und verteilen Flugblätter. Mitglieder der Gruppierung sammeln Informationen über russische Truppenbewegungen und militärische Aktivitäten, um diese an die ukrainischen Streitkräfte weiterzugeben. Dabei gehen sie ein hohes Risiko ein – bereits einige Aktivisten wurden entdeckt und mussten fliehen, berichtet die „BBC“.
„Befreiung statt Frieden um jeden Preis“
Für die Bewohner bedeutet das Leben in Mariupol immer noch ständige Angst und Unsicherheit. Ein möglicher Friedensdeal, bei dem die Ukraine Land an Russland abtreten müsste, wird von ihnen als Verrat betrachtet. Sie streben nach „Befreiung statt eines Friedens um jeden Preis“, sagen sie.