„Der Patient wird schon sehr, sehr gläsern“: Ärzte sorgen sich um Datenschutz bei elektronischer Patientenakte

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Bad Tölz
  4. Bad Tölz

Kommentare

Die elektronische Patientenakte wurde zunächst in Modellregionen eingeführt. Ärzte im Landkreis sind technisch vorbereitet, haben aber teils inhaltliche Bedenken. © Tim Wegner/epd

Ärzte im Tölzer Land verfolgen die Einführung der elektronischen Patientenakte teils mit Skepsis. Auf der anderen Seite steht die Hoffnung auf weniger Papierkram.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Gesetzlich Versicherte haben es in den vergangenen Wochen von ihren Krankenkassen mitgeteilt bekommen: Die elektronische Patientenakte (ePA) für alle kommt. Seit dem 15. Januar gilt dies allerdings erst einmal nur für wenige Modellregionen wie Hamburg oder Franken. Wann genau sie bundesweit zum Einsatz kommt, steht noch nicht genau fest. Ärzte im Landkreis sind zwar technisch vorbereitet, inhaltlich aber äußern sie zum Teil Bedenken.

Praktische Vorteile durch elektronische Patientenakte

Dr. Mathias Bohnenberger, Vorsitzender der „Tölzer Hausärzte“, sieht in der ePA die praktischen Vorteile. Die Akte mache es für den Arzt einfacher, sich einen Überblick zu dem Patienten zu verschaffen, etwa zu Befunden aus der Vergangenheit. Wenn ein Patient den Wohnort wechsle und dann der neue Arzt „auf einen orthopädischen Bericht zugreifen kann, dann ist das super“, findet Bohnenberger. Seine Hoffnung: die ePA „bedeutet viel weniger Papierkram“.

Schon jetzt gebe es elektronische Arztbriefe, berichtet der Allgemeinmediziner. Mit vielen Krankenhäusern, darunter den Asklepios-Kliniken, funktioniere das aber nicht. „Von dort bekommt man einen Klinik- oder Rehabericht auf Papier von bis zu 20 Seiten, am besten gefaltet, sodass wir ihn dann erst noch glattstreichen müssen, um ihn einscannen zu können.“ Da könne die ePA einem das Leben erleichtern. Bis mit der ePA aber alles rund laufe, „können wir getrost 2026 ins Auge fassen“, prognostiziert der Tölzer Arzt.

„Keine Vorteile und viele Nachteile“ der elektronischen Patientenakte

Klare Worte zur ePA findet der Münsinger Hausarzt Dr. Jörg Lohse: „Im Moment sehe ich keine Vorteile und viele Nachteile.“ Die Grundidee hält er für sinnvoll, die Umsetzung aber nicht. Ein großes Manko besteht aus Lohses Sicht darin, dass der Patient selbst bestimmen könne, dass Ärzte auf bestimmte Informationen nicht zugreifen können. „Wenn vor mir ein Patient mit Halsschmerzen sitzt und ich in der ePA nur lese, dass er eine leichte Schilddrüsenunterfunktion hat, aber nicht, dass er HIV-positiv und drogenabhängig ist, nutzt mir das wenig“, veranschaulicht er. „Wenn ich die Akte als ,Wahrheit‘ nehmen soll, dann muss ich alles wissen.“

Im Gegenzug müsse aus Lohses Sicht gewährleistet sein, dass nur der behandelnde Arzt Zugriff auf die Informationen hat – statt dass die Daten, wie geplant, anonymisiert auch zu Forschungszwecken weitergegeben werden. So drohe die Gefahr, dass die ePA zum „Wanderdokument“ werde. Das aktuelle Beispiel aus den USA, wo Elon Musk gerade weitreichenden Zugang zu Daten aus dem Gesundheitswesen erhalte, zeige, „wo Daten hinwandern können“.

Sorge, dass Daten in falsche Hände geraten

Auch Dr. Ralf Angermaier, Sprecher der Zahnärzte im Landkreis, ist skeptisch. „Das Problem ist, dass die Daten an einem zentralen Ort gespeichert werden“, sagt er und erinnert daran, dass am 17. Januar der Anbieter D-Trust gehackt wurde. Dieser stellt digitale Signaturen aus, welche Ärzte zum Beispiel für E-Rezepte und den künftigen Zugriff auf die ePA brauchen. Angermaier sieht die Gefahr, dass sensible Daten in falsche Hände gelangen und missbraucht werden könnten. „Ich persönlich würde meine Daten nicht preisgeben“, sagt Angermaier deshalb. Er befürchtet, dass die ePA „die ärztliche Schweigepflicht aushöhlen“ könnte.

(Unser Bad-Tölz-Newsletter informiert Sie regelmäßig über alle wichtigen Geschichten aus Ihrer Region. Melden Sie sich hier an.)

Hausarzt Bohnenberger sieht die Datenschutz-Problematik dagegen als weniger brisant an. „In Deutschland sind wir in dieser Hinsicht ja immer super vorsichtig“, sagt er. „Aber ich gehe davon aus, dass das in Ordnung geht.“ Im Gegenzug erkennt Angermaier die Vorteile der ePA an. „Wenn ein Patient nach einem Unfall verletzt am Boden liegt und der Notarzt in der ePA auf den ersten Blick sehen kann, dass der Patient eine Blutgerinnungsstörung hat, finde ich das toll.“ Nur: Nach zehn Jahren werde eine ePA so voll sein, dass der Notarzt gar nicht mehr alle Informationen werde lesen können, gibt Angermaier zu bedenken.

Pro und Kontra der elektronischen Patientenakte

Pro und Kontra der ePA sieht Christopher Hummel, Sprecher der Apotheker im Landkreis – auch wenn noch nicht ganz feststehe, in welchem Umfang die Apotheker hineinschauen können. Prinzipiell könne die ePA helfen, schädliche und teure Doppelmedikationen oder unerwünschte Wechselwirkungen zu vermeiden, meint Hummel, der Apotheken in Gaißach und Bad Heilbrunn betreibt. „Da ist eine Überprüfung sinnvoll. Die Grundidee ist gut, und wenn es funktioniert, nutzt es dem Patienten.“

Doch auch dem Apotheker bereitet das Thema Datenschutz Bauchschmerzen. „Der Patient wird schon sehr, sehr gläsern“, meint er. „Manchmal will man zum Beispiel nicht, dass der erste Arzt erfährt, dass man woanders noch eine Zweitmeinung eingeholt hat.“ Deswegen ist es aus Hummels Sicht wichtig, dass der Patient die Kontrolle behält, welche Daten aus der ePA für wen einsehbar sind. (ast)

Auch interessant

Kommentare