Tobias Sammet im Interview - Avantasia-Sänger über Schicksalsjahr: "Habe den Kreislauf des Lebens erlebt"

Eigentlich war Tobias Sammet im Jahr 2000 mit den Power Metallern Edguy gut beschäftigt. Nach den ersten vier Alben wuchs die Bekanntheit der süddeutschen Headbanger. Doch er wollte mehr. Da kam dem heute 47-Jährigen die Idee zum Erfolgs-Projekt Avantasia, einer Art Heavy-Metal-Oper mit All-Star-Charakter. Immerhin wirkten auch schon Alice Cooper, Joe Lynn Turner (ex-Rainbow), Geoff Tate (ex-Queenryche) oder Rudolf Schenker und Klaus Meine (beide Scorpions) mit.

Gerade erst erschien das neue Album "Here Be Dragons". Im Interview mit FOCUS online spricht Sänger Tobias Sammet über die Platte, den Tod und das Internet.

Tobias Sammet: Entspannung à la Avantasia

Mittlerweile trat man bei ESC-Vorentscheid an, wurde jedoch nur zweiter – ein Eurovision-Schicksal, welches 2025 auch die Mittelalter-Rocker Feuerschwanz teilen. Man ist seit Jahren mit jedem neuen Album ganz vorne in den Charts dabei und kann sich weltweit über viele Konzertbesucher freuen. Trotz des Erfolgs verspürt Sammet, der für Musik und Konzepte zuständig ist, keinen wirklichen Druck.

Zehn Alben mit Edguy, zehn mit Avantasia. 20 Alben in unter 30 Jahren – das muss man ihm erst einmal nachmachen. Trotz der über 200 veröffentlichten Songs macht ihm das Songschreiben Spaß. Malen nach Zahlen versucht der Sänger gar nicht erst zu vermeiden. "Ich denke bei Musik nie an das Endresultat. Es gibt nichts schöneres, nicht entspannenderes für mich als Musik zu machen. Ich spiele nahezu täglich Klaiver. Das ist wie für andere Tagebuch schreiben. Manchmal kommen da gute Sachen bei heraus, meistens spiele ich einfach nur für mich selbst. Gute Ideen nehme ich mit dem Handy auf und bastle später im Studio dran herum. Ich denke in diesen Moment nie an ein Album, Singles oder ob sich die Ideen wiederholen."

Tobias Sammet über Schicksalsjahr: "Habe den Kreislauf des Lebens erlebt"

Ein besonderes Stück ist die zunächst balladeske, sich aber stetig steigernde Rausschmeißer-Nummer "Everybody's Here Until the End". Man merkt schon beim Hören, dass es hier um den Tod gibt. Gleichzeitig wird kein Trübsal geblasen, sondern das Leben und die Erinnerung an den Verstorbenen gefeiert. Erstaunlich: Sammet gedenkt hier seinem eigenen Vater, der vor elf Jahren starb. Den Tod habe er bereits seit langem verarbeitet, in der Musik thematisiert, dennoch bislang noch nie.

Sammet: "Es geht darum, dass ich glücklich bin, dass ich so viele Eigenschaften von meinem Vater in mir wiedererkenne. Ich bin auch glücklich, dass ich nicht alles übernommen habe. Es geht darum, dass wenn jemand, der einen großen Eindruck hinterlassen hat, auch nach dem Tod nie wirklich weg ist." 

Er ertappt sich oft dabei, dass er sich in manchen Situationen fragt, wie sein Vater wohl an seiner Stelle reagieren würde. "Ich habe meinen Frieden und weiß, dass er immer da ist. In dem Jahr, wo mein Vater starb, bin ich erwachsen geworden. Ich war da schon 36. In diesem Jahr ist meine Tochter geboren und mein Vater gestorben. In diesem Jahr habe ich den Kreislauf des Lebens erlebt."

Tobias Sammet über Internet-Trolle: "Stimmung ist aufgeheizt"

Obwohl auf "Here Be Dragons" genug Metal, genug packende Refrains und auch eine gut portionierte Ladung Kitsch zu hören sind, gab es für die erste Single "Creepshow" Kritik. Zu rockig, zu eingängig, zu wenig Pomp monierten einige Headbanger im Netz. Tobias Sammet nennt dies "Berufsrisiko". Im Telefonat mit FOCUS online klingt er wegen der kritischen Stimmen gelassen.

"Ich überfliege die Kommentare in den sozialen Medien, antworte, auch wenn ich Zeit habe", so der 47-Jährige. "Es fühlt sich gut an, wenn die Fans die neuen Songs gut finden. Aber man hat natürlich immer ein paar Trolle bei, die sich beschweren. Dass sich manche Leute den 'Creepshow' reiben … ich hätte damit rechnen müssen. Es müssen viele Leute offenbar kundtun, wen ihnen etwas nicht gefällt. Wenn ich am Schaufenster vorbeilaufe und mir gefällt ein Paar Turnschuhe nicht, dann schmunzle ich und gehe weiter. Ich habe doch nicht das Bedürfnis, in den Laden zu gehen und die Verkäufer anzupampen."

Dass sich Leute an seiner Musik reiben und etwas kritisieren, nennt er ein modernes "Berufsrisiko". Sammet: "Die Stimmung in der Gesellschaft ist so aufgeheizt, die Leute haben so ein Geltungsbedürfnis und jeder weiß alles besser und findet alles kacke. Es ist nicht jeder, aber diese paar Leute, die es im Internet machen, machen dies sehr laut."

Tobias Sammet mit Avantasia beim Wacken Open Air 2014.
Tobias Sammet mit Avantasia beim Wacken Open Air 2014. Imago Images

Lampenfieber vor Avantasia-Tour? "Ich bin tiefenentspannt"

Die Gruppe startet am 14. März in Hamburg die große Europatour. Sammet verspricht einen Abend voller Avantasia-Magie. Keine Vorband, dafür ein langes Set und eine gute Show, die allerdings nicht auf einfache Effekthascherei setzen soll.

"Jetzt, so wenige Tage bevor der Tourbus wieder rollt, freue ich mich. Aber ich trage im Kopf eine große Liste mit mir rum. Habe ich daran und daran gedacht? Muss noch ein Handwerker nach Hause kommen und etwas reparieren? Muss ich zum Friseur? Ich denke aktuell mehr an Organisatorisches, ich bin da tiefenentspannt. Wenn ich auf die Bühne gehe und das Intro läuft, dann geht der Autopilot an." Na dann, gute Fahrt!