DFB-Rückkehrer im Interview - Toni Kroos nennt drei stärkste Teams der EM, Deutschland ist nicht dabei
Sports Illustrated: Zum krönenden Abschluss haben Sie mit Real Madrid zum fünften Mal die Champions League gewonnen. Wie blicken Sie auf Ihre Zeit bei Real zurück?
Toni Kroos: Wenn ich zurückblicke, waren diese zehn Jahre wie ein Märchen. Ich bin damals mit großen Hoffnungen nach Madrid gekommen. Ich wollte mit Real den einen oder anderen Titel holen und mit dem Klub vielleicht einmal die Champions League gewinnen. Aber dass es so gut laufen würde, daran hätte ich nicht im Traum gedacht. Das hat alle Erwartungen übertroffen.
Ihr Team hat Sie am Ende auf Händen getragen und die Real-Fans verehren Sie wie kaum einen anderen. Wie schwer ist Ihnen der Abschied gefallen?
Kroos: Der Abschied ist mir sehr schwergefallen. Ich habe mich bei Real Madrid immer wohl gefühlt. Da fällt es einem nicht leicht, so eine positive und tolle Zeit hinter sich zu lassen. Aber es war meine Entscheidung, dass ich aufhöre. Mich hat niemand gezwungen, diese Entscheidung zu treffen, und mich hatte auch keiner rausgeschmissen. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Prozess leicht war.
Kroos spricht über Schicksalsentscheidung: Für Real Madrid, gegen ManUnited
Wer hat beim Abschied von Real Madrid mehr geweint? Sie oder Ihre Familie?
Kroos: Meine Familie muss ich sagen. Auch in den Tagen zuvor, also nicht nur beim Abschied im Stadion. Es ist allen schwergefallen, was mir auch zeigt, dass alle diese Zeit genossen haben.
2014 wären Sie fast bei Manchester United gelandet. Am Ende ist es aber Real Madrid geworden. War dieser Wechsel das Beste, was Ihnen sportlich passieren konnte?
Kroos: Wenn ich mir die vergangenen zehn Jahre anschaue, würde ich das mit Ja beantworten. Vor allem wenn man die Entwicklung der beiden Vereine vergleicht. Damals waren Real Madrid und Manchester United zwei der größten, schillerndsten und bekanntesten Klubs der Welt. Wenn man sich die beiden Vereine jetzt anschaut, ist es Real Madrid geblieben und hat das mit Erfolgen unterstrichen. ManUnited hat zehn sehr schwere Jahre hinter sich. Darum kann man sagen, dass es die richtige Entscheidung war.
Warum ist Real Madrid der erfolgreichste Fußball-Klub der Welt? Was macht diesen Verein so einzigartig und besonders?
Kroos: Es gibt immer zwei Seiten. Das eine ist die sportliche Qualität und das andere ist das Ambiente im Verein. Ich muss zugeben, dass ich damals das Bild von Real Madrid hatte, dass sie sich die besten Spieler zusammenkaufen. Ich dachte, das ist alles nicht so familiär und der Verein ist ein bisschen unnahbar. Aber das Bild hat sich schnell geändert. Ich bin unfassbar beeindruckt gewesen. Als ich damals nach Madrid kam, war das Ambiente bereits von einem familiären Miteinander geprägt. Das hatte ich so nicht erwartet.
Nach Ihrem DFB-Comeback werden Sie für die EM 2024 als großer Hoffnungsträger gehandelt. Wie gehen Sie mit Druck um? Mögen Sie es, wenn Sie viel Verantwortung tragen?
Kroos: Ich bin es seit vielen Jahren gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Deshalb habe ich kein Problem mit Druck. Ich hoffe, dass ich bei der EM meinen Teil dazu beitragen kann, dass wir ein erfolgreiches Turnier spielen. Ich versuche meine Qualitäten auch außerhalb des Platzes einzubringen, um erfolgreich zu sein. Aber wir brauchen einen Kader, wo jedes Rädchen ins andere greift.
Wie sieht Ihre Rolle im DFB-Team bei dieser EM aus?
Kroos: Wir haben uns bereits im März unterhalten, als es darum ging, ob ich in die Nationalmannschaft zurückkehre. Da haben wir solche Dinge thematisiert und ich habe einen Eindruck bekommen, wie es auf dem Platz aussehen kann. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass ich eine wichtige Rolle einnehmen muss und auch will.
Kroos: „Seit 2016 kein Auftaktspiel mehr gewonnen. Wenn uns das gelingt...“
Die vergangenen Turniere der deutschen Nationalmannschaft verliefen enttäuschend. Was macht wieder Grund zur Hoffnung und wie weit kommt das DFB-Team bei der EM?
Kroos: Es ist immer schwer, eine Voraussage zu treffen. Die letzten Turniere haben gezeigt, dass alles passieren kann. Aber die Hoffnung ist, dass wir dieses Mal einen guten Start erwischen. Seit 2016 haben wir bei einem großen Turnier kein Auftaktspiel mehr gewonnen. Deshalb wäre es gut für uns und die deutschen Fans, dass wir mit einem Sieg gegen Schottland in die EM 2024 starten. Wenn uns das gelingt, können wir hoffentlich ein erfolgreiches Turnier spielen.
Kroos nennt drei große Favoriten für die EM - Deutschland sieht er nicht dabei
Welche anderen Mannschaften sind bei der EM am stärksten einzuschätzen?
Kroos: Ich denke, dass Frankreich immer hoch einzuschätzen ist. Außerdem glaube ich, dass England und Portugal sehr stark sind. Das sind aus meiner Sicht die drei stärksten Teams. Dahinter gibt es eine Reihe von weiteren Teams, die ebenfalls sehr stark sind. Da sehe ich uns mit dabei.
Wie sehr wünschen Sie sich als krönenden Abschluss ihrer Karriere den EM-Titel, der Ihnen in Ihrer fantastischen Titelsammlung noch fehlt?
Kroos: Dieser Titel ist der Grund, warum ich mich für ein Comeback in der Nationalmannschaft entschieden habe. Diese EM im eigenen Land ist etwas ganz Besonderes und dieses Turnier will ich gewinnen. Auch wenn ich weiß, dass es nicht einfach wird und dass gewisse Dinge zusammenpassen müssen. Aber jetzt, wo meine Klub-Karriere erfolgreich abgehakt ist, habe ich nur noch diesen einen Gedanken.
Kroos: So geht es nach der Karriere für ihn in Madrid weiter
Werden Sie Ihre letzten Spiele genießen?
Kroos: Ich habe immer gesagt, wenn ich Fußball spiele, will ich diese Zeit auch genießen. Das hat zum Glück geklappt, weil ich immer Spaß am Fußball habe. Das ist die beste Voraussetzung, um
erfolgreich zu sein. Aber Genießen bedeutet nicht, dass man sich zurücklehnt, sondern auch Spaß daran hat, Spiele zu gewinnen.
Wie geht es nach Ihrer Karriere weiter?
Kroos: Es stehen einige Projekte an. Im September beginnt die Icon League, die ich mitgegründet habe. Außerdem starte ich ab September in Madrid mit meiner eigene Academy, wo wir Jugendmannschaften aufbauen, die dann dort in Ligen spielen. Ich werde mich also aktiv um die Jugend kümmern. Das sind Projekte, auf die ich große Lust habe. Auf der anderen Seite werde ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen, mehr zu Hause sein und weniger reisen. Das war auch ein entscheidender Punkt, warum ich meine Fußball-Karriere beende.