Treffen der NATO-Minister: Ist das Bündnis noch verteidigungsfähig?
Die NATO-Verteidigungsminister treffen sich in Brüssel. Thema: der Ausbau der Verteidigungsfähigkeit. Um die ist es noch gut bestellt, sagen Experten – aber nur unter einer Bedingung.
Brüssel/Berlin – Der Februar steht im Zeichen der Verteidigung: Das riesige NATO-Manöver „Steadfast Defender 2024“ kommt in diesen Tagen so richtig ins Rollen, und kurz vor der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende treffen sich am Donnerstag die Verteidigungsminister der NATO-Staaten in Brüssel. Kernthema: der Ausbau der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeiten des Bündnisses.
NATO-Treffen in Brüssel: Sicherheitslage so angespannt wie lange nicht mehr
Die Sicherheitslage in Europa ist so angespannt wie lange nicht, zuletzt gab es einen beispiellosen Anstieg der Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten. Und doch dürfte rund ein Drittel der Bündnisländer das Jahresziel verfehlen, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung zu investieren. Dazu zählen unter anderem Italien, Spanien, Belgien und Luxemburg. Wie es um das Abschreckungspotenzial der NATO und der Bundeswehr steht, beschäftigt in diesen Tagen auch die Verteidigungspolitiker in Berlin.
Deutschland wird im laufenden Jahr erstmals seit Jahrzehnten das Zwei-Prozent-Ziel wieder erreichen. Ein gutes Zeichen, findet Wolfgang Hellmich, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion: „Wir haben alle aus der dramatisch veränderten Sicherheitslage gelernt und die nötigen Schritte in Gang gesetzt, zum Beispiel durch die Verankerung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO im Haushalt.“
Abschreckungspotenzial der NATO: Manöver „Steadfast Defender kann sich sehen lassen“
Von den 100 Milliarden aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr seien mittlerweile zwei Drittel vertraglich gebunden, so Hellmich. Überdies seien Rahmenverträge mit der Rüstungsindustrie geschlossen worden, um künftig deutlich schneller Munition und andere Rüstungsgüter beschaffen zu können. Anfang der Woche erst war der Grundstein für eine neue Munitionsfabrik von Rheinmetall in Niedersachsen gelegt worden, Bundeskanzler Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsminister Boris Pistorius waren gar vor Ort. „Das Ziel ist, schnellstmöglich militärisch durchsetzungsfähig, sprich ‚kriegstüchtig‘ zu werden“, so Hellmich.
Das Abschreckungspotenzial der NATO schätzt er hoch ein, allein das laufende Manöver „Steadfast Defender“ könne „sich sehen lassen“. Überdies verfüge das Bündnis mit den Partnerländern USA und Frankreich über einen nuklearen Schutzschild und wirksame Fähigkeiten zur Luftabwehr.
USA wollen „nicht länger bedingungslos unsere Schutzmacht sein“
Genau da liegt allerdings aktuell die Krux, sagt Florian Hahn, verteidigungspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion. Die NATO sei zwar immer noch das potenteste Verteidigungsbündnis der Welt. Aber: „Diese Aussage gilt explizit nur, weil die USA sich bisher umfangreich im Bündnis einbringen.“ Dass das in Zukunft noch so sein wird, kann man mit einem Fragezeichen versehen. Ex-Präsident Donald Trump hatte zuletzt mit Äußerungen für Aufsehen gesorgt: Säumige Bündnispartner werde er nicht mehr unterstützen, wenn er Präsident wäre. „Obgleich bei den letzten Äußerungen aus den USA zur NATO auch viel Wahlkampfgetöse unterstellt werden kann, muss nun dennoch auch dem Letzten in Europa klar werden, dass die USA nicht länger bedingungslos unsere Schutzmacht sein können und wollen“, glaubt Hahn.
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Schon jetzt zeigen sich erste Spuren: Das US-Repräsentantenhaus blockiert aktuell weitere Ukraine-Hilfen der USA im Wert von rund 60 Millionen US-Dollar. Vor allem republikanische Abgeordnete vom rechten Rand stemmen sich gegen weitere US-Hilfen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte am Donnerstag in Brüssel eindringlich: „Wir sehen bereits die Auswirkungen der Tatsache, dass die USA bislang nicht in der Lage waren, eine Entscheidung zu treffen.“ Vor allem Munitionsmangel macht den ukrainischen Streitkräften allmählich zu schaffen.
CDU-Experte Florian Hahn findet, die Biden-Jahre seien trotz neuer Bedrohungen an der NATO-Ostgrenze nicht wirklich genutzt worden, um eine stärkere Rolle Europas im Bündnis vorzubereiten. „Das kann sich schon bald rächen, wenn nämlich Putin spürt, dass Europa nicht in der Lage ist, sich konventionell selbst zu verteidigen.“
NATO hat sich nach Beginn von Ukraine-Krieg komplett neu aufgestellt
SPD-Verteidigungsexperte Hellmich sieht es etwas anders. „Die NATO insgesamt hat sich nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine neu aufgestellt. Vor allem die Ostflanke des Bündnisses wurde verstärkt und strukturell verändert“, so Hellmich. „Deutschland steht als europäische Mittelmacht im Zentrum für die Verlegungsfähigkeit von Material und Personal vor allem in Richtung Osten.“
Auch an der NATO-Nordflanke hat sich einiges getan. Mit dem Beitritt Finnlands und perspektivisch Schwedens zur NATO sind die Karten neu gemischt: „Die Rolle Norwegens als Host-Nation und Transitland hat sich verändert“, sagte jüngst Verteidigungsexperte Robin Allers von der norwegischen Hochschule für Verteidigung in Oslo zu IPPEN.MEDIA. „Wenn alliierte Truppen und Material aus den USA, aus Deutschland oder Großbritannien auf dem Seeweg in Norwegen ankommen, können sie künftig direkt durch Schweden durchfahren, nach Finnland, in den Ostseeraum und ins Baltikum.“