Deutsche Strompreise im Visier der EU: Diese Entscheidung hängt wie ein Damoklesschwert über Deutschland
Die EU entscheidet dieses Jahr über die Einteilung des deutschen Strommarktes in zwei Preiszonen. Aus Sicht von Ökonomen ist das bitter nötig – außer es ändert sich etwas anderes.
Brüssel/München – In diesem Jahr wird in Brüssel eine für Deutschland sehr wichtige Entscheidung getroffen. Diese Entscheidung ist von so großer Bedeutung, dass die zuständige Behörde kurzfristig beschlossen hat, einen Bericht nicht vor der Bundestagswahl zu veröffentlichen. Offiziell heißt es, dass noch Diskussionsbedarf besteht und deswegen der Termin verschoben wurde. In Branchenkreisen ist man sich allerdings sicher: Der neue Veröffentlichungstermin im Frühjahr soll verhindern, dass die EU-Entscheidung zum Wahlkampfthema wird.
EU entscheidet über Strompreiszonen in Deutschland: Preise im Süden würden steigen
Die EU wird dieses Jahr darüber entscheiden müssen, ob Deutschland in zwei Strompreiszonen aufgeteilt werden muss. Der Grund: so wie sich die Energiewende hierzulande entwickelt hat, ist ein starkes Gefälle zwischen Nord und Süd entstanden. Im Norden gibt es viel Windkraft, und noch dazu viel Sonne. Im Süden und Westen hingegen gibt es deutlich weniger Windkraftanlagen, sodass der günstige Strom aus dem Norden geholt werden müsste. Müsste deshalb, weil es physikalisch im Moment nicht möglich ist, diese Strommengen von Nord nach Süd zu bringen. Der Ausbau der Netze hält nicht Schritt mit dem Ausbau der Erneuerbaren.
Die Folge: Im Süden werden Kohle- und Gaskraftwerke angeworfen, die teureren Strom erzeugen, damit die Industrie laufen kann. Weil Deutschland aber eine einzige Stromzone ist, bedeutet das: Der Strompreis steigt in ganz Deutschland, obwohl eigentlich nur der Süden dafür verantwortlich ist. Eigentlich müssten Industrie und Haushalte von den günstigen Bedingungen im Norden profitieren können, und niedrige Preise zahlen. Tun sie aber nicht, wegen der einheitlichen Strompreise.
EU-Bericht wird Stromzonentrennung empfehlen, denken Experten
Das ist, so formuliert es der Energieökonom Christof Bauer von der TU Darmstadt, eine Art Sozialisierung. „Alle zahlen zusammen die Kosten für das Engpassmanagement, unabhängig davon, auf welcher Seite des Engpasses sie räumlich angeordnet sind. Denn diese Kosten gehen in die allgemeinen Netzentgelte ein und verteuern sie“, erläutert er.
Die Übertragungsnetzbetreiber der EU wollen daher 2025 entscheiden, wie es in Deutschland weitergeht – und könnten entscheiden, das Land in zwei Strompreiszonen aufzuteilen. Sofern es in 2025 zu keiner einvernehmlichen Entscheidung auf Ebene der Mitgliedsstaaten über eine Beibehaltung der bundeseinheitlichen Zone kommt, liegt die Entscheidung bei der EU-Kommission. Sie müsste dann in Eigenregie vorgehen.

„Die Aufteilung würde dann zwar den Engpässen entgegenwirken, aber auch zu unterschiedlichen Strompreisen auf den beiden Seiten des Engpasses führen. Der Verlierer wäre die Industrie im Süden und Westen, die dann höhere Strompreise zahlen würde“, so Bauer.
Für Unternehmen in diesen Regionen wäre das eine erneute Hiobsbotschaft. Ohnehin klagt die Industrie über hohe Energiepreise, die den Wettbewerb zu anderen Ländern erschwere. Christof Bauer glaubt daher nämlich auch, dass die EU einen Kompromiss mit Deutschland suchen wird, anstatt die Strompreiszonen per Zwang durchzusetzen.
Trennung der Stromzonen würde Preise im Westen und Süden erhöhen: 5 bis 20 Euro MWh/Jahr
Eine Kompromisslösung dürfte aber bei einigen EU-Ländern gar nicht gut ankommen. Schweden zum Beispiel wurde vor etwa zehn Jahren von der EU zu genau diesem Schritt gezwungen – und wird sicher wenig erfreut sein, wenn Brüssel bei Deutschland eine Ausnahme macht. Zumal Schweden von einer Strompreistrennung in Deutschland profitieren würde: Dadurch könnte das skandinavische Land nämlich zu günstigen Konditionen Strom aus Norddeutschland importieren.
Bernd Weber, Gründer und Geschäftsführer der Denkfabrik Epico, geht davon aus, dass die europäischen Netzbetreiber in ihrem Bericht im Frühling eine Stromzonentrennung für Deutschland empfehlen wird. „Das ist die volkswirtschaftlich sinnvollste Möglichkeit. Es nicht zu tun, würde auf praktischen und politischen Gründen beruhen“.
Studien zeigen die Bandbreite, wie viel Unterschied die Trennung ausmachen würde. Im Jahr würden demnach zwischen 5 und 20 Euro pro Megawattstunde mehr auf die Stromrechnung kommen. Für ein Unternehmen mit 100.000 Kilowattstunden Verbrauch im Jahr sind das zwischen 500 und 2000 Euro mehr. Für viele Unternehmen sind das also keine allzu hohen Beträge, die Zusatzkosten werden aber je höher je energieintensiver Unternehmen sind. Trotzdem müssen sich die Firmen auf eine mögliche Veränderung einstellen und in ihren Berechnungen aufnehmen. „Aktuell fehlt da komplett die Planungssicherheit. Irgendetwas muss sich nämlich ändern, um regionalere Strompreise zu bekommen, aber keiner weiß genau wie und was – und kann sich daher auch nicht vorbereiten.“, so Weber.
Alternativen zur Trennung der Stromzonen müssen her – nichts tun ist keine Lösung
Auch wenn die Preiszonentrennung die volkswirtschaftlich sinnvollste Option ist, gibt es Alternativen. Bernd Weber erklärt: „Man könnte die Netzentgelte reformieren und variabel machen, sodass sie höher sind, wenn die Einspeisung erneuerbarer Energien geringer ist oder das Netz stark beansprucht wird. Das würde dann zumindest auf der Nachfrageseite etwas verschieben und sinnvollere Anreize setzen“. Unternehmen würden so ein Preissignal erhalten und ihren Verbrauch reduzieren, solange der Strom teuer ist. Das entlastet das Stromnetz und senkt in der gesamten Strompreiszone den Preis.
„Das ist ökonomisch nicht die beste Lösung. Aber es wäre eine Möglichkeit, das Problem zumindest in Ansätzen zu adressieren. Was wir uns nicht leisten können, ist gar nichts zu verändern“, konkludiert Weber.
Wie sich die EU-Kommission am Ende entscheiden wird, ist natürlich völlig unbekannt. Unternehmen und Politiker sollten sich aber auf die Szenarien einstellen. Die neue Bundesregierung kann es sich schon mal auf ihre lange To-Do-Liste setzen.