„Es ist ganz normal, sich zu verlieben – auch wenn die Beziehung in Ordnung ist“

FOCUS online: Frau Mittermeier, Sie sind Paarberaterin und bezeichnen sich als "Affären-Managerin". Wie kam es zu dieser Berufsbezeichnung?

MittermeierTatsächlich bin ich seit 2009 ausgebildete Paarberaterin. Zum Abschluss der Ausbildung gab es damals ein kostenloses Angebot, erste Praxiserfahrungen zu sammeln. Das Paar, das mir gegenübersaß, zerfleischte sich –  ich war völlig hilflos, überfordert. Ich fragte mich ernsthaft: Was mache ich nur mit denen, damit die sich nicht auf dem Heimweg umbringen? Danach stand für mich fest: Das mache ich nie wieder. Ich war dann erst einmal in der Einzelberatung tätig, unter anderem zum Thema Stressbelastung. Die Affären-Managerin kam dann über Themen aus meiner eigenen Ehe…

Was war los?

Mittermeier: Ich habe mich fremdverliebt. Und die Welt nicht mehr verstanden. Denn mit meinem Mann und mir lief es damals richtig gut. Wir waren uns nah, hatten richtig guten und richtig viel Sex. Die Krise, die uns in den Monaten zuvor beschäftigt hatte, war vorbei.

Was für eine Krise?

Mittermeier: Der Klassiker, fast alle Paare mit Kindern kennen es: Die Lust lässt nach. Meist bei ihr. Der Körper verändert sich, der Hormonhaushalt verändert sich, der Fokus liegt beim Nachwuchs und daneben oft auch beim Job. „Was soll ich denn noch alles machen?“, fragte ich mich, wenn mein Mann mit mir schlafen wollte. Eine Zeit lang dachte ich, mit mir stimmt was nicht. Doch je mehr ich mich mit dem Thema beschäftige, je mehr wissenschaftliche Arbeiten ich zum Thema fand, desto klarer habe ich erkannt: Meine Lustlosigkeit ist normal. Aus mehreren Gründen.

Und die wären?

Mittermeier: Erstens gewöhnt sich unser Gehirn daran, wenn wir häufig mit derselben Person Sex haben. Wir verlieren das Interesse. Es ist ein bisschen so, als würden wir jeden Tag Spaghetti mit Tomatensoße essen. Irgendwann hat man darauf einfach keine Lust mehr. Stress ist ein weiterer Lustkiller. Und meine Belastung war damals, wie die fast aller berufstätigen Mütter, enorm. Schließlich zeigen Studien, dass auch emotionale Verschmelzung eine Lustbremse sein kann. Mein Mann und ich waren sehr eng, nicht nur als Eltern waren wir ein Team. Wo es nichts Fremdes, nichts Geheimnisvolles mehr gibt, lässt logischerweise die Spannung nach. Lustlosigkeit ist eine ganz natürliche Entwicklung in Langzeitlieben. Es sei denn, man steuert bewusst gegen.

Haben Sie das getan?

Mittermeier: Ja, wir haben uns hier und da ganz bewusst voneinander distanziert. Zum Beispiel hat jeder von uns öfter etwas für sich unternommen. Wir haben gelernt, es auszuhalten, wenn der andere dann beim Wieder-Aufeinandertreffen wenig oder auch mal gar nichts erzählt hat. Und wir haben noch etwas gelernt: Wir fingen an, über Sex zu sprechen. Damit kam die Lust zurück.

Und dann kam ein anderer Mann?

Mittermeier: Genau. Dabei hatte ich immer gedacht, dass man sich nur dann verliebt, wenn es in der Beziehung schlecht läuft. Weit gefehlt! 

Erzählen Sie von der Begegnung.

Mittermeier: Ich traf zufällig eine alte Liebe wieder. Auf einem Fest. Gefühlsmäßig war ich ein Stück weit wieder Anfang 20 – also die, die damals mit diesem Typen in einem bayerischen Dorf angebandelt hatte. Im Ausgeh-Kontext. Der Typ hat mich schließlich sitzen gelassen – möglicherweise wollte ich nun unbewusst an das Erlebte anknüpfen. Nach der erneuten Begegnung schrieben wir uns über WhatsApp. Ich war eher die Forcierende, er der Bremser. Ich glaube, er war ängstlich. Vielleicht war er schlicht überfordert…

Von?

Mittermeier: Von meinem Selbstwert, der zu dem Zeitpunkt einfach riesig war. Wie gesagt: Ich wurde geliebt, ich wurde begehrt, ich war sexuell aktiv. So etwas strahlen Menschen aus. Ich dachte, ich sei die Beste, die Tollste… Ich habe wohl gemeint, mir alles nehmen zu können. Dabei passte dieser Typ im Grunde überhaupt nicht zu mir. Ehrlich gesagt, das war ein Depp.

Kam es zu einer Affäre?

Mittermeier: Nein. Und ich kann auch nicht sagen, ob es soweit gekommen wäre, hätte er mitgezogen. Wäre ich wirklich bereit gewesen, den letzten Schritt zu tun? Keine Ahnung. Es blieb beim gedanklichen Durchspielen. Das allerdings tat ich ziemlich intensiv. Wo konnten wir uns treffen? Wo würde ich das Auto parken? Ich überlegte bis ins Detail, wie ich das alles „managen“ konnte. Die Gedanken elektrisierten mich – einerseits. Es war ein richtiger Höhenflug.

Warum nur „einerseits“?

Mittermeier: Weil ich gleichzeitig brutale Schuldgefühle hatte. War die Beziehung mit meinem Mann vielleicht doch im Arsch? War ich ein schlechter Mensch? Zu all diesen Fragen hatte ich in meiner Ausbildung nichts gelernt. In meiner Verzweiflung fing ich an zu googeln. Nach dem Aha-Erlebnis zur Lustlosigkeit ein paar Monate zuvor kam nun die zweite überraschende Erkenntnis: Es ist ganz normal, sich zu verlieben – auch wenn die Beziehung in Ordnung ist, kann sowas passieren. „What the fuck, warum weiß das niemand?“, ragte ich mich. Und beschloss, über das Gelernte in einem Bog zu schreiben. 2014 ging es los, im selben Jahr fing ich in meiner Praxis an, mit Paaren an dem Thema zu arbeiten. 

Ihre Berufsbezeichnung „Affären-Managerin“ lässt aufhorchen. Kann man eine Affäre „managen“?

Melanie Mittermeier: Ja, kann man. Aber vielleicht sollte ich zunächst etwas klarstellen. Viele Leute fragen mich: Besorgst du Menschen Affären? Hilfst du dabei, Seitensprünge zu vertuschen?

Und?

Mittermeier: Nein, das machen, „managen“ die Paare alles selbst. Ich bin diejenige, die dann dabei hilft, den Scherbenhaufen aufzuräumen, wenn das Ganze auffliegt. Die Menschen, die zu mir kommen, wollen wissen: Was bedeutet die Affäre für uns als Paar? Wie steht es um unsere Beziehung? Wäre es besser, diese zu beenden?

Wie fand eigentlich Ihr Mann die Sache mit dem Typen vom Fest?

Mittermeier: Gute Frage. Erst mal habe ich das für mich behalten. Aber bevor ich mit meinem Blog rausging, musste ich ihn natürlich einweihen und schauen, ob er mit meinem Vorhaben einverstanden war. 

Und? Wie hat er auf Ihr Erlebnis reagiert?

Mittermeier: Relativ cool. Klar, ein bisschen komisch hat es sich für ihn schon angefüllt, so im Nachgang einbezogen zu werden. Andererseits hatte die Qualität unseres Sexlebens seit einiger Zeit noch mal ein neues Level erreicht. Wir liebten uns so oft und so intensiv wie am Anfang unserer Beziehung. Mein Mann meinte: „Wenn der Sex so gut ist, wenn man verliebt ist, dann passt das für mich.“

War das von da an eine Regel, die für Sie beide galt?

Mittermeier: Tatsächlich kam von mir postwendend die Frage, ob er auch Lust hätte, mal mit jemandem anderem in die Kiste zu gehen. Eine Zeit lang haben wir unsere Beziehung geöffnet und in verschiedene Richtungen rumprobiert. Dabei haben wir durchaus den ein oder anderen Scherbenhaufen produziert… Bis wir schließlich festgestellt haben, dass uns das zu anstrengend ist. Seit einigen Jahren leben wir nun wieder monogam.

Was genau war anstrengend?

Mittermeier: Vereinfacht: Bei meinem Mann stand an erster Stelle die Harmonie. Bei mir stand die Ehrlichkeit. Mein erster außerehelicher Kontakt war eine Sex-Geschichte mit einem Freund. Im Gespräch mit meinem Mann habe ich Details geäußert, die er so nicht wissen wollte. Als mein Mann sich wenig später umgekehrt fremdverliebte, hätte ich wiederum gerne mehr Einblick gehabt. Mein Mann ist aber nun mal der Typ, der nichts erzählt, beziehungsweise der Dinge heimlich macht.

Aus Eigennutz? Oder vielleicht sogar vielmehr, um Sie zu schützen?

Das heißt?

Mittermeier: Ein gutes Management macht absolut Sinn. Eben, weil es alles andere als easy peasy ist. 

Was verstehen Sie unter einem „guten Affären-Management“?

Mittermeier: Das Ganze muss faktenbasiert sein, ein breites Wissen ist die Grundlage. Klischees, Bauchgefühl, gesellschaftliche Erwartungen oder gar Dogmen haben beim Berater nichts zu suchen. Ich sage es mal so: Kein Manager sitzt vom Hauptschulabschluss weg im Stuhl. Er hat Erfahrungen gemacht, die ihn dorthin gebracht haben, wo er ist. Machen wir uns bitte eines bewusst: Eine Affäre zu managen ist Arbeit. Anspruchsvolle Arbeit. Nicht zuletzt wegen der vorherrschenden Glaubenssätze in unserer Gesellschaft.

Was meinen Sie?

Mittermeier: Nun, ich meine dieses Narrativ, dass eine Affäre einen schlimmen Vertrauensbruch darstellt. Und dass jemand, der sich fremdverliebt, etwa Böses tut. Ich arbeite mit den Paaren auf zwei Ebenen. Wir schauen uns einmal den Mythos an, die Gesellschaft. Und dann schauen wir uns die Beziehung an. Manchmal ist die Affäre das kleinste Problem des Paares.

Inwiefern das?

Mittermeier: Manche Paare, die kommen, haben sich unfassbar weit voneinander entfernt. Da gibt es keinerlei Respekt mehr, der andere wird behandelt wie – sorry – ein Stück Scheiße. Eine Affäre kann den letzten Todesstoß für eine sterbende Beziehung bedeuten. Sie kann aber auch einen Anstoß für noch mehr Tiefe geben. Ich schaue mir die Paarbeziehung sehr genau an: Gibt es Respekt? Ist die Liebe zwar da, aber verschüttet? 

Was ist das Ziel? Eine offene Beziehung?

Mittermeier: Nein, die meisten Paare wollen monogam weitergehen. Nur in ganz wenigen Fällen wird von beiden Partnern die Öffnung angestrebt. In der Regel ist die Affäre spätestens zum Ende der Beratung beendet.

Nach dem Motto: „Sowas passiert nie wieder“?

Mittermeier: Das wäre nicht ehrlich. Natürlich müssen beide damit rechnen, dass es wieder passieren kann.

Gilt das auch für Sie selbst – könnte der Typ vom Fest doch noch mal aktuell werden?

Mittermeier: Nicht mehr in der Form.

Woher wollen Sie das wissen?

Mittermeier: Ich denke einfach, ich würde da nicht mehr so blauäugig rangehen, würde dem Dopamin nicht mehr so auf den Leim gehen.

Was meinen Sie?

Mittermeier: Letztlich geht es um Hirnchemie. Kurz gesagt: Wenn wir verliebt sind, schüttet das Gehirn den Botenstoff Dopamin aus. Dopamin macht, dass wir uns lebendig fühlen. Auch Zustände wie Trauer oder Schmerz rücken dann zum Beispiel in den Hintergrund. Wenn das Dopamin knallt schaltet das Großhirn ab, sage ich immer. Mein Großhirn würde vermutlich sagen: Das ist nur ein Hanswurst. Nur ein Mensch. Entspann dich, komm runter.

Auf den Höhenflug müssten Sie damit aber verzichten, oder?

Mittermeier: Den versuchen wir, mein Mann und ich, innerhalb der Beziehung zu finden.

Wie?

Mittermeier: Einmal haben wir einen Besuch im Swingerclub ausprobiert. Meins war das nicht, der Sex stand für mich zu sehr im Vordergrund. Kinky-Partys, bei denen das Tanzen und der Club im Zentrum stehen, gefallen mir besser. Die ausgewiesenen Bereiche, in denen sexuelle Handlungen stattfinden dürfen, sind so etwas wie eine Ergänzung. Letztendlich geht es weniger darum, das Fremde „lecker“ zu finden, als füreinander interessant zu bleiben. Wir spielen sehr bewusst mit den Elementen Nähe und Distanz, mein Mann und ich. Eben habe ich meinen Mann zum Beispiel zum Flughafen gebracht. Er fährt zwei Wochen lang Rad, das macht er öfter. Ich finde es spannend, ihn mal ein paar Tage nicht zu hören, ihn zu vermissen. Und mich darauf zu freuen, dass er wieder nach Hause kommt. Ihm geht es ganz ähnlich, wenn ich unterwegs bin.

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Wieland Stolzenburg, Regina Heckert, Nina Grimm, Wera Aretz, Stefan Woinoff (v.r.n.l.) FOCUS online

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