Aufgeheizte Bürgergeld-Debatte: „Können nicht mitten im Galopp das Pferd wechseln“
Andrea Nahles zeigt sich in der Bürgergeld-Diskussion „irritiert“. Zudem räumt die BA-Chefin damit auf, dass sich Bürgergeld mehr lohne als arbeiten.
Nürnberg – Die Diskussionen um das Bürgergeld reißen nicht ab. Auf der einen Seite sorgt eine mögliche Nullrunde bei der Bürgergeld-Erhöhung für Aufregung. Dabei fechten Finanzminister Christian Lindner und Arbeitsminister Hubertus Heil ihren Ampel-Zoff über die Medien aus. Auf der anderen Seite zeigt die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, ihr Unverständnis über die aufgeheizte Stimmung in der Debatte um das Bürgergeld.
Aufgeheizte Bürgergeld-Debatte: BA-Chefin ist „irritiert“ über Arbeitslosen-Diskussion
„Wir haben immer noch eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten seit der Wiedervereinigung“, sagte Nahles im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über die außerordentliche Schärfe in der Bürgergeld-Debatte. „Angesichts der Debatte könnte man aber meinen, wir hätten im letzten halben Jahr eine Verdopplung gehabt. Darüber bin ich, ehrlich gesagt, irritiert.“
Darüber hinaus ließ die BA-Chefin auch kein gutes Haar an der CDU und CSU. Die Union hatte die hohen Arbeitslosenzahlen von geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer moniert und verfolgt beim Bürgergeld eigene Pläne. Die damit einhergehenden Aussagen zum Bürgergeld hält Nahles offenbar für wenig zielführend.
Bürgergeld-Debatte über Ukrainer: Nahles attackiert Aussagen von Friedrich Merz und der CDU
Nach Aussage der BA-Chefin seien „die Arbeitsmarktquoten von Ukrainern verschiedener europäischer Länder nicht vergleichbar“. Daher wies sie einen der zentralen Kritikpunkte der Union, dass die Arbeitsanreize für Ukrainer in Deutschland zu niedrig seien, weil das Bürgergeld zu hoch sei, entschieden zurück. „Dafür haben wir keine statistischen Belege.“ Dennoch will die CDU ukrainischen Flüchtlingen das Bürgergeld „bis hin zum Leistungsentzug“ kürzen.

Aus Sicht von Nahles, die bei der Kindergrundsicherung mehr Tempo von der Ampel-Koalition fordert, sei diese Form der Bürgergeld-Debatte „auch nicht ganz fair“. Schließlich habe man „den Ukrainerinnen und Ukrainern gesagt, dass sie erstmal Deutsch lernen sollen. Hunderttausende haben das gemacht.“ Des Weiteren sagte sie dem RND: „Wir können nicht mitten im Galopp das Pferd wechseln und den Leuten auf einmal vorwerfen: ‚Hey, ihr habt keine Arbeit aufgenommen.‘ Dass jemand grundständig Deutsch sprechen kann, ist wichtig. Das haben jetzt viele erreicht. Den Rest kann er oder sie aber auch während der Beschäftigung lernen.“
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„Integration muss besser werden“: Nahles weist Kritik am Bürgergeld dennoch zurück
Nahles machte jedoch auch deutlich, dass Deutschland bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt besser werden müsse. „Der Fokus muss auf Arbeit liegen. Mit dem Jobturbo gehen wir jetzt zu mehr ‚Nebeneinander‘ über: Vermittlung in Arbeit direkt nach dem Integrationskurs – und dann laufen Beschäftigung und Spracherwerb parallel weiter.“
Unabhängig von der Diskussion um geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainern unternahm Nahles auch den Versuch, mit der Kritik aufzuräumen, dass das Lohnabstandsgebot durch das Bürgergeld nicht ausreichend gewahrt sei und Arbeitslose zumutbare Arbeit verweigern.
BA-Chefin lässt Bürgergeld-Kritik kalt: „So wenig wie seit 2015 nicht mehr“
„Der Lohnabstand ist durch den deutlichen Anstieg des Mindestlohns größer geworden“, sagt die BA-Chefin über einen weiteren Diskussionspunkt bei der Bürgergeld-Kritik. „Es lohnt sich aus unserer Sicht immer, zu arbeiten. In der Öffentlichkeit wurde behauptet, dass das Bürgergeld so attraktiv sei, dass Leute ihren Job gekündigt hätten, um stattdessen Bürgergeld zu beziehen.“
Nahles, die bereits am Sinn von Heils Bürgergeld-Sanktionen gezweifelt hatte, nennt hierfür Zahlen, um ihre Aussage zu belegen. „Das sehen wir in der Statistik nicht. 2023 sind 341.200 Menschen aus Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt in das Bürgergeldsystem gerutscht. So wenig wie seit 2015 nicht mehr.“
Bürgergeld-Erhöhung als Zankapfel im Hinblick auf die Lücke im Haushalt 2025?
Dennoch werden die Diskussionen um das Bürgergeld wohl auch in Zukunft nicht abreißen. Während jüngst Bundeskanzler Olaf Scholz zur aktuellen Bürgergeld-Debatte Stellung bezog, blicken einige in der Politik bereits in die Zukunft. Vor allem das Haushaltsloch und mögliche Sparmaßnahmen spielen in den Gedankenspielen eine Rolle.
Angesichts einer mutmaßlich milliardenschweren Finanzlücke im Bundeshaushalt für 2025 fordert beispielsweise der FDP-Haushaltsexperte Torsten Herbst Kürzungen in allen Ressorts. „Jedes Fachministerium muss nun echte Einsparungen liefern, ganze Projekte und Aufgaben infrage stellen“, sagte Herbst der Bild-Zeitung vom Samstag. Zusammenfegen reiche nicht mehr aus. Die FDP bestehe auf „echter Prioritätensetzung“.
Ganz oben auf Liste scheint das Bürgergeld für 2025 zu stehen. Seiner Ansicht nach käme eine weitere Erhöhung des Bürgergelds „sicherlich nicht sonderlich gut an“.