Neues Medikament kann Ihnen jahrelange Zahnbehandlung ersparen

Über Jahrzehnte galt eine eiserne Regel: Geht ein Zahn verloren, ist er weg – für immer. Doch aus Japan kommt nun eine Meldung, die dieses Dogma infrage stellt. Forscher testen ein Medikament, das den Körper anregen soll, neue Zähne wachsen zu lassen. 

Klingt nach Science-Fiction, hat aber reale, klinische Grundlagen. Bahnt sich hier die Revolution an, die Zahnersatz überflüssig macht? Die Wahrheit ist faszinierend – und komplizierter, als es scheint.

Spritzen statt Implantat – ein Traum der Zahmedizin 

Statt teurer und häufiger Zahnarztbesuche für Zahnersatz (wie zum Beispiel Implantate oder Knochenaufbau) einfach eine Spritze – und der Zahn wächst nach. Genau an diesem Traum arbeitet ein Team um Katsu Takahashi, Leiter der Zahn- und Kieferchirurgie am Kitano Hospital in Osaka und Forscher an der Universität Kyoto.

Dort haben bereits klinische Studien am Menschen (!) begonnen, mit dem Ziel einer Markteinführung um das Jahr 2030. 

Ein stiller Schalter im Kiefer

Im Mittelpunkt steht ein Eiweiß namens USAG-1 – eine Art "Wachstumsbremse" für die Zahnentwicklung. Normalerweise verhindert dieses Protein, dass sich beim Menschen ein dritter Satz Zähne bildet. Dabei schlummern im Kiefer tatsächlich Reste solcher "Zahnkeime", evolutionär zurückgebildet, aber noch vorhanden.

Japans Forscher fanden einen Weg, diese Bremse auszuschalten. Ihr Medikament TRG-035 nutzt Antikörper, die USAG-1 blockieren. Dadurch wird das natürliche Wachstumssignal im Körper wieder aktiv – und schlafende Zahnkeime beginnen, neue Zähne zu bilden. In Tierversuchen bei Mäusen und Frettchen funktionierte das bereits: Nach einer einzigen Dosis wuchsen gesunde, funktionsfähige Zähne nach.

Erwachsene müssen noch warten – im Gegensatz zu Kindern

Die Vision, dass Erwachsene bald Implantate durch Injektionen ersetzen, bleibt allerdings vorerst ein Traum. Die aktuellen Studien in Kyoto prüfen jetzt nur die Sicherheit bei 30 erwachsenen Männern mit Zahnverlust.

Das eigentliche Zielpublikum der kommenden Jahre sind Kinder mit angeborenem Zahnmangel (Anodontie oder Oligodontie) – schwere, seltene Erbkrankheiten, bei denen Zähne gar nicht erst entstehen. Für sie wäre das Medikament eine echte Erlösung. Die japanischen Behörden haben TRG-035 deshalb als "Orphan Drug" eingestuft – ein Status, der die Entwicklung für seltene Leiden beschleunigt.

Die Prognose "Marktstart 2030" gilt also nur für diese junge Patientengruppe. Für Erwachsenenfälle – etwa Zahnverlust durch Parodontitis, Karies oder Unfall – stehen noch viele Jahre Forschung bevor. Implantate werden also so bald nicht verschwinden.

Viel besser als ein Implantat: Nachgewachsene Zähne wären unschlagbar

Auch wenn moderne Implantate technisch ausgefeilt sind, bleiben sie "tot". Ihnen fehlt ein entscheidendes Element: der Zahnhalteapparat mit Nervensignalen und feinfühligem Druckempfinden.

Ein natürlich nachgewachsener Zahn wäre lebendig, mit Blutgefäßen und Nerven verbunden – und würde dem Gehirn beim Kauen das vertraute Gefühl echter Zähne zurückgeben. Genau das macht den Ansatz aus Japan so aufregend: Es geht nicht um das Füllen einer Lücke, sondern um die Wiederherstellung eines echten sensorischen Organs.

Vor der Zulassung muss das Nieren-Dilemma geklärt werden

So elegant die Idee klingt, sie hat eine Hürde – und die liegt außerhalb des Kiefers. 

USAG-1 ist vor allem in den Nieren aktiv und reguliert dort fundamentale Wachstumsprozesse. Wer das Protein im ganzen Körper blockiert, greift also in hochsensible biochemische Systeme ein. 

Interessanterweise deuten Tierversuche darauf hin, dass eine Blockade sogar Nierenschäden heilen könnte. Doch das Risiko liegt in der Unkontrollierbarkeit: Wie lässt sich sicherstellen, dass nur die Zähne wachsen – und sonst nichts? Genau das wird derzeit geprüft. Erst wenn diese Frage geklärt ist, darf überhaupt über eine breitere Zulassung gesprochen werden.

Fazit: Revolution ja– aber mit Geduld 

Die Idee verlorene Zähne einfach nachwachsen zu lassen ist keine Fantasie mehr sondern greifbare Vision. Die japanischen Forscher sind auf dem besten Weg die Zahnmedizin grundlegend zu verändern. Doch der Weg von der Labor-Sensation zur Alltagstherapie ist lang.

Wahrscheinlich werden zuerst wenige Kinder profitieren, die bisher keine Chance auf echte Zähne hatten. Für alle anderen gilt: Die Ära der Implantate ist noch nicht vorbei. Aber vielleicht beginnt gerade ihr langsames Ende.

Dr. med. dent. Moritz Göde arbeitet seit fast drei Jahren als Zahnarzt mit Tätigkeitsschwerpunkt Kieferorthopädie bei California Smile in und bei München. Seit Anfang 2024 ist der ebenfalls studierte Kommunikationswissenschaftler Standortleiter der Praxis "California Smile - Grafing bei München". Der geprüfte Heilpraktiker steht vor Beendigung eines nebenberuflichen Master-Studiengangs (M.Sc. Orthodontics) in Österreich sowie einer schlafzahnmedizinischen Zusatzausbildung. Seine durch internationale Fortbildungen geformten Spezialgebiete neben der klassischen Kieferorthopädie liegen auf der nichtchirurgischen Behandlung von Gummy-Smiles ("Zahnfleischlächeln") und Airway-Störungen bei Kindern wie auch Erwachsenen. Getreu seinem Motto "Humor ist das beste Gleitmittel für Information" steht der Unterfranke als erfolgreicher Science Slammer regelmäßig auf Deutschlands Bühnen, um sein Wissen mit dem Publikum zu teilen.