„Über den Tisch ziehen lassen“: Hartes Urteil über Merz zu Sondervermögen und Sondierungen

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Friedrich Merz will mehr Geld für Bundeswehr und Infrastruktur. Letzter Punkt sei „zweifellos ein Zugeständnis an die SPD“, meint Politexperte Jürgen Falter.

Mitte März kommt es im Bundestag zu einem ungewöhnlichen Ereignis. Die Parlamentarier kommen zusammen, um über die Finanzierung von Ausgaben für Bundeswehr und Infrastruktur zu beraten. Die Debatte führt allerdings nicht der bei der Bundestagswahl neugewählte Bundestag – sondern der alte. Für den 13. März wurde extra eine Sondersitzung terminiert. „Üblich ist das nicht“, sagt der Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter von der Uni Mainz der Frankfurter Rundschau. „Aber rechtlich durchaus zulässig.“

Merz und sein Sondervermögen: „Schnell noch etwas unter Dach und Fach bringen“?

Die entscheidende Frage laut Falter: Ist es legitim, „sehr weit reichende“ Entscheidungen zu fällen, „nachdem der neue Bundestag mit anderen Mehrheiten gewählt worden ist“, so Falter. „Das ist eine Frage der politischen Abwägung.“

In Bevölkerung und Medien herrsche dabei vor allem ein Bild vor: „Viele fassen die Operation als den Versuch auf, schnell noch mit den alten Mehrheiten sehr weit reichende, kommende Parlamente finanziell stark einschränkende Entscheidungen zu treffen“, beobachtet Falter. „Das heißt: schnell noch etwas unter Dach und Fach zu bringen, was im neuen Bundestag höchstwahrscheinlich keine Mehrheit erhielte.“ Tatsächlich soll Merz’ Sondervermögen im Eiltempo durch den Bundestag geboxt werden.

Der renommierte Politikwissenschaftler Jürgen Falter
Der renommierte Politikwissenschaftler Jürgen Falter arbeitete als Professor an der Hochschule der Bundeswehr München, der Freien Universität Berlin und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. © IMAGO / Hoffmann (Archivfoto)

Sondervermögen als SPD-Zugeständnis: „Friedrich Merz hat sich über den Tisch ziehen lassen“

Doch so einfach sei es nicht, sagt Falter. Zumindest bei den Ausgaben für die Verteidigungspolitik handle es sich „um ein zeitlich außerordentlich dringendes Problem, dessen Lösung schon aus symbolischen Gründen keinen Aufschub verträgt“. Bei den angedachten Ausgaben für die Infrastruktur sei das anders. Sie sind laut Falter „nicht so drängend gewesen wie die Loslösung der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse“.

Der Politologe sieht vielmehr ein vorgezogenes Koalitionsgeschenk in Richtung Sozialdemokratie. „Es handelt sich hier zweifellos um ein Zugeständnis an die SPD als wahrscheinlichem kommenden Koalitionspartner.“ Union und SPD treffen sich derzeit zu Sondierungen über einer schwarz-roten Koalition.

Dieses Zugeständnis scheint von der SPD „allerdings nicht honoriert zu werden, wenn man sich die Äußerungen von Lars Klingbeil und anderen über mögliche flächendeckende Grenzkontrollen oder über eine Begrenzung der Sozialausgaben ansieht“, glaubt Falter. Führende SPD-Vertreter hatten öffentlich angekündigt, den harten Asyl- und Anti-Bürgergeld-Kurs der Union nicht mittragen zu wollen. „Ich fürchte, Friedrich Merz hat sich über den Tisch ziehen lassen“, meint Falter.

Pocht in den Sondierungen auf seinen Migrationsplan: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU).
CDU-Chef und Bald-Kanzler Friedrich Merz im Gespräch mit Lars Klingbeil und Olaf Scholz. Klingbeil hatte zuvor öffentlich erklärt, die SPD werde keine faktischen Grenzschließungen mittragen. Die Union fordert aber eine Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen. Die CSU hatte einen strengeren Asylkurs gar zur Bedingung für Regierungsbildung gemacht. © Guido Bergmann/dpa

Sondervermögen von Union und SPD: Für Schuldenbremse-Ende braucht es Zweidrittelmehrheit

Der wahrscheinliche Bald-Kanzler Friedrich Merz und sein womöglich künftiger Koalitionspartner, die SPD, wollen mehr Geld für die Verteidigung sowie ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur und einen höheren Verschuldungsspielraum für Länder und Kommunen. Weil sie für Teile der Pläne die Schuldenbremse aufweichen müssen, braucht es eine Grundgesetzänderung. Für die ist wiederum eine Zweidrittelmehrheit nötig.

CDU, CSU und SPD wollen diese Zweidrittelmehrheit mit der alten Zusammensetzung des Bundestags erreichen. Das hängt wohl auch mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2025 zusammen. Im neuen Parlament ist nun die AfD zweitstärkste Kraft und hätte gemeinsam mit der Linken eine sogenannte Sperrminorität. Gegen die Stimmen beider Fraktionen könnte das Grundgesetz dann nicht mehr geändert werden.

Neuer Newsletter „Unterm Strich“

Was? Exklusive Einblicke in den Politik-Betrieb, Interviews und Analysen – von unseren Experten der Agenda-Redaktion von IPPEN.MEDIA
Wann? Jeden Freitag
Für wen? Alle, die sich für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft interessieren
Wo? Direkt in ihrem E-Mail-Postfach
Wie? Nach einer kurzen Registrierung bei unserem Medien-Login USER.ID hier kostenlos für den Newsletter anmelden

Im Wahlkampf hatte Merz noch gebetsmühlenartig versichert, die Schuldenbremse beihalten zu wollen. „Merz verstößt hier, wenn auch unter dem Druck der Umstände, gegen seine eigenen Ankündigungen“, sagt Falter.

Auch interessant

Kommentare