„Narrenfreiheit“ für Klimakleber in Österreich? Minister-Zoff eskaliert – „Angriff auf die Justiz“
Die bayerische Klimaaktivistin Anja Windl ist wieder frei. Darüber streitet die österreichische Regierung. Die ÖVP warnt vor einer „ideologisch motivierten“ Intervention.
Wien – Der gescheiterte Versuch, die deutsche Klimaaktivistin Anja Windl in Untersuchungshaft zu nehmen, erregt die österreichische Öffentlichkeit. Der Streit hat die Führungsebene der Regierungskoalition aus der rechtskonservativen ÖVP und den Grünen erreicht.
Die wohl mächtigste Frau der ÖVP, Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, zeigte sich „höchst irritiert“ und beklagte per Aussendung „Narrenfreiheit“ für Klimaaktivisten. Generalsekretär Christian Stocker unterstellte „ideologisch motivierte Intervention“ durch die grüne Justizministerin Alma Zadić. Er warf der Ministerin vor, mit „zweierlei Maß“ zu messen und forderte deshalb „dringend Aufklärung“.

Justizministerin Zadić wirft der ÖVP im Streit um Klimakleber „Angriff auf die Justiz“ vor
Stein des Anstoßes war eine Weisung des grünen Justizministeriums, das „rechtsrichtige“ Aufhebungsurteil des Landesgerichtes Wien nicht anzufechten. Zadić betonte stets, sich herausgehalten zu haben. Auf Anfrage der Tageszeitung Standard erklärte ihr Ministerium, dass es eine Entscheidung der Fachabteilung gewesen sei und der Stab der Ministerin über den Vorgang lediglich „informiert“ worden war.
Die Äußerungen des Koalitionspartners nannte die Justizministerin beim Fernsehsender Puls24 einen „Angriff auf die Justiz“. Der Jurist Christian Stocker müsste „eigentlich wissen, wie das System funktioniert“. Er unterstelle der Justiz „politisches Agieren“, sagte Zadić, das halte sie „in einem demokratischen Land nicht für in Ordnung“.
Klimaaktivistin Anja Windl in Österreich wegen „gelinderen Mitteln“ freigelassen
Klimaktivistin Windl wurde Ende November bei einer Protestaktion auf der Wiener Stadtautobahn verhaftet. Die Aktivistin der „Letzten Generation“ hatte sich mit einer Mischung aus Sand und Sekundenkleber an die Fahrbahn geklebt, um auf die Gefahren ausgelöst durch den Klimawandel hinzuweisen. Die Polizei entfernte sie mit schwerem Gerät, daraufhin wurde Windl wegen schwerer Sachbeschädigung angezeigt. Die Staatsanwaltschaft beantragte Untersuchungshaft.
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Nach knapp vier Tagen in Polizeigewahrsam und Haft ordnete das Landesgericht Wien Windls Freilassung an. Dem Rechtsgrundsatz des „gelinderen Mittel“ folgend, sei Windl eingeschärft worden, „die Ermittlungen nicht zu erschweren und das Vorgeworfene künftig zu unterlassen“, sagte Gerichtssprecherin Christina Salzborn.
Aktuell läuft gegen Windl auch noch ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer „kriminellen Vereinigung“. Die Staatsanwaltschaft Wien versucht, diese umstrittene Einstufung für die Letzte Generation durchzusetzen.

An dem Fall zeigt sich auch einer der großen Streitpunkte, der österreichischen Innenpolitik: Die Unabhängigkeit der Justiz. Staatsanwaltschaften der Alpenrepublik sind weisungsgebunden. An ihrer Spitze steht die Justizministerin Zadić, die über die Aufnahme und Einstellungen von Ermittlungen entscheiden kann. Diese Macht wollte sie sich eigentlich selbst entziehen und eine weisungsfreie Generalstaatsanwaltschaft schaffen. Bisher war das in der Koalition mit der ÖVP nicht durchzusetzen.
ÖVP in Teilen selbst unter Verdacht der Beeinflussung
Die ist gerade selbst Vorwürfen der Beeinflussung der Justiz ausgesetzt. In einer kürzlich an die Öffentlichkeit geratenen heimlich erstellten Aufnahme belastete der ehemalige Chef der Strafrechtsabteilung im Justizministerium, Christian Pilnacek, die Konservativen schwer. Er sei unter anderem von Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) unter Druck gesetzt worden. Der habe ihm vorgeworfen, „versagt“ zu haben, weil Pilnacek die zahlreichen Ermittlungen gegen die ÖVP „nie abgedreht“ habe, berichtete der ORF.
Ähnliche Vorwürfe erhob der Verstorbene gegen weitere Personen aus der Partei. Sobotka sagte im Parlament, all das würde „in keinster Weise der Wahrheit“ entsprechen. Mitte Dezember wurde seine Abgeordneten-Immunität aufgehoben, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt nun in einer weiteren der zahlreichen österreichischen Korruptionsaffären. In dem Fall nimmt die Staatsanwaltschaft an, Sobotka habe versucht, eine Steuerprüfung bei einer ÖVP-nahen Stiftung zu unterbinden. Der Parlamentspräsident bestreitet das. (kb)