China beschaffte 2023 weltweit die meisten Atomwaffen – Der Grund sind die USA
China rüstet weltweit am stärksten atomar auf. Es will die USA auf Abstand halten. Abschussanlagen hat die Volksrepublik bereits mehr als Amerika.
Peking – China ist laut dem jüngsten Bericht des Stockholmer Instituts für Internationale Friedensforschung (Sipri) der Staat, der im vergangenen Jahr die meisten neuen Atomsprengköpfe angeschafft hat: Anfang 2023 waren es noch 410, nun sind es 500. Das entspricht einem Zuwachs von knapp 22 Prozent. „China baut sein Nukleararsenal schneller aus als jedes andere Land“, kommentierte Sipri-Forscher Hans Kristensen die Daten.
Die Volksrepublik unter der Führung von Xi Jinping besitzt bereits mehr bodengestützte Abschusssysteme für nuklearfähige Interkontinentalraketen als die USA. Das teilte im Oktober 2022 das für die Atomstreitkräfte zuständige Strategische Kommando der Vereinigten Staaten (USSTRATCOM) dem US-Kongress mit. Die genaue Anzahl ist unbekannt, doch Amerika hat laut Defense News 450 solcher Systeme. Während im Kalten Krieg zunächst Langstreckenbomber das Mittel der Wahl in Sachen nuklearer Vernichtung waren, sind ballistische Raketen heute als wichtigste Trägerplattform für Atomwaffen anzusehen.

China hat 2023 mehr Atomwaffen angeschafft als jeder andere Staat
Im Sipri-Report heißt es nun, China könnte bis zum Ende dieses Jahrzehnts auch über genauso viele Interkontinental-Raketen verfügen wie die USA oder Russland. Ein Pentagon-Bericht warnte bereits im Oktober 2023, dass China ein neues, konventionell bestücktes Interkontinentalraketen-System entwickle, das es Peking erlauben könnte, „mit konventionellen Schlägen gegen Ziele auf dem amerikanischen Festland, auf Hawaii und in Alaska zu drohen.“
Einsatzfähige Nuklearsprengköpfe
Länder | 2023 | 2024 | Prozentuale Veränderung |
Russland | 4.489 | 4.380 | – 2,4 % |
USA | 3.708 | 3.708 | = 0,0 % |
China | 410 | 500 | + 22,0 % |
Frankreich | 290 | 290 | = 0,0 % |
Großbritannien | 225 | 225 | = 0,0 % |
Indien | 164 | 172 | + 4,9 % |
Pakistan | 170 | 170 | = 0,0 % |
Israel | 90 | 90 | = 0,0 % |
Nordkorea | 30 | 50 | + 66,7 % |
In demselben Bericht teilte das Pentagon seine Einschätzung mit, der zufolge China sein nukleares Arsenal schneller ausbaue, als bisher erwartet – ein Urteil, das konform mit dem aktuellen Sipri-Bericht ist. Sollte das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt in dieser Geschwindigkeit weitermachen, so wird es aller Wahrscheinlichkeit nach bis 2030 1.000 Nuklearsprengköpfe besitzen. Dieses Ziel der chinesischen Führung nahm das US-Verteidigungsministerium bereits 2021 an.
Die USA fürchten die nukleare Aufrüstung Chinas
Mehr noch als Russlands Angriffskrieg in der Ukraine scheint die rapide atomare Aufrüstung Chinas US-amerikanische Nuklearstrategen in Unruhe zu versetzen. So hieß es 2023 etwa von der Kongress-Kommission für die Strategische Haltung der Vereinigten Staaten, Chinas Anstrengungen auf diesem Gebiet sollten amerikanische Entscheidungsträger dazu bewegen, „die Größe und Zusammensetzung der US-Nuklearstreitkräfte neu zu bewerten.“
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Besonders beunruhigt sind amerikanische Militärs von Chinas nuklearfähigen Hyperschall-Raketen, weil sie fürchten, auf diesem Gebiet von China überholt worden zu sein. China testete 2021 eine solche Waffe, die erst einmal um die Erde flog, bevor sie ihr Testziel knapp verfehlte. Sie „fliegen niedriger und können im Flug manövrieren, was es schwieriger macht, sie aufzuspüren und zu zerstören“, so der Professor des Massachusetts Institute of Technology Taylor Fravel gegenüber der Financial Times.
China will sich mit Atomwaffen aus amerikanischer Bevormundung lösen
Bis in die 2000er-Jahre blieb der Umfang des chinesischen Atomwaffenarsenals relativ stabil bei etwa 200 Sprengköpfen. Seit Mao Zedong gilt die defensive Nukleardoktrin des Verzichts auf den Ersteinsatz. Das bedeutet, China wird Atomwaffen nur zur Verteidigung einsetzen, wenn es angegriffen wird. Die USA halten sich dagegen den Erstschlag offen, negieren aber gleichzeitig Chinas Recht, ihre Doktrin des möglichen Erstschlags zu übernehmen. Das ist einer der Punkte, in dem China ihnen doppelte Standards vorwirft.
Der Nuklearwaffen-Experte Tong Zhao schrieb in dem Magazin Foreign Affairs, die chinesische Führung baue ihr nukleares Arsenal jetzt aus, weil sie sich davon größeren geopolitischen Einfluss erhoffe. Maßgeblich sei Staatschef Xi Jinping für diesen Politikwechsel verantwortlich, so Zhao, da er aus verschiedenen Gründen überzeugt sei, dass Amerika dem chinesischen Aufstieg feindlich gegenübersteht. Xi wolle den USA also signalisieren, dass es ein starkes China nicht eindämmen könne.
Um im Angesicht eines möglichen gegnerischen Erstschlags dennoch ein glaubhaftes Abschreckungspotenzial aufrechtzuerhalten, entwickelt China neuerdings auch seine nukleare Triade. Laut Zhao baue es neben der bestehenden Abschusssysteme an Land mehr U-Boote, die in der Lage sind, Atomwaffen abzufeuern, und schaffe die Fähigkeit zum nuklearen Zweitschlag aus der Luft.
Die Zeichen stehen nicht auf atomare Abrüstung
Eine weitere Neuerung besteht darin, dass China Sipri zufolge 2023 erstmals 24 Sprengköpfe in hoher Alarmbereitschaft auf ballistischen Raketen gehalten habe. Das ist zwar nur ein Bruchteil der rund 2.100 Sprengköpfe, die insgesamt vor allem in Russland und den USA auf diese Weise für den Einsatz bereitstanden. Dennoch passt diese Entwicklung zum chinesischen Politikwechsel im Hinblick auf die eigenen Atomwaffen.
Man sollte sich jedoch von den Zahlen nicht täuschen lassen: Auch wenn Russland weniger atomare Sprengköpfe hat als vergangenes Jahr und die USA ebenso viele wie zuvor, so rüsten sie trotzdem ebenfalls auf. Beide nuklearen Superschwergewichte modernisieren ihre Massenvernichtungswaffen und entledigen sich alter Modelle aus dem Kalten Krieg. „Weggeschmissen“ wird nur, was alt und entbehrlich ist – Abrüstung ist jedenfalls nicht das Ziel.