„Was du nicht ankettest, ist weg!“ - Kunden klauen immer mehr in Restaurants, „Dehoga“-Vize: „Moralischer Verfall“
„Das Problem hat zugenommen“, sagt Jens Stacklies, Hamburgs Vizepräsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). „Es wird alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest ist.“ Von einem „moralischen Verfall“ ist die Rede.
Die Mopo erklärt den erstaunlichen Grund für den Anstieg, welche skurrilen Dinge schon eingesteckt wurden, wie Erwischte reagieren – und mit welchen Tricks die Gastronomen sich zur Wehr setzen.
Diebstahl im Restaurant: „Ein Klassiker sind auch die Zuckertütchen, die es zum Kaffee gibt“
Die Steinkrüge sind besonders beliebt. Sie werden im Brauhaus „Gröninger“ (Hamburg-Altstadt) am häufigsten geklaut. Dabei können die Gäste sie hier sogar kaufen, für 12 Euro das Stück. Auch Salz- und Pfeffermühlen aus Acrylglas (24 Euro), Blumentöpfe, Duftkerzen und Klopapier sind schon weggekommen.
„Ein Klassiker sind auch die Zuckertütchen, die es zum Kaffee gibt. Da schütten sich einige Gäste den ganzen Ständer mit 20 Stück in die Tasche. So füllen sie sich ihren Vorrat zu Hause auf“, sagt Inhaber Jens Stacklies.
Der 63-Jährige ist nicht nur Vize-Chef des „Dehoga“, sondern betreibt selbst auch drei Restaurants. Den neuen Rosé-Wein als Werbung am Eingang dekorieren? Keine gute Idee.
„Dann fehlt plötzlich eine Flasche“, sagt er. Diebstahl in Hamburgs Lokalen: Was immer schon vorkam, sei in letzter Zeit noch stärker zu beobachten.
„Je netter ein Restaurant ausgestattet ist, desto mehr kommt weg“
Auch Top-Gastronom Patrick Rüther (51), Inhaber des „Überquell“ auf St. Pauli, erzählt: „Die meisten Gäste klauen natürlich nicht, aber Diebstahl ist an der Tagesordnung. Was du nicht fest montierst oder ankettest, wird mitgenommen.“
Bei ihm seien schon Kunstwerke von den Wänden gestohlen worden. Auch Pizza-Messer, hochwertige Seifenspender und Speisekarten mit Ledereinband (40 Euro pro Stück) seien begehrt.
„Je netter ein Restaurant ausgestattet ist und je größer die Terrasse, desto mehr kommt weg“, so Rüther. Denn draußen fühlen die Gäste sich unbeobachteter.
Wärmelampe über dem Baby-Wickeltisch abmontiert und mitgenommen
Selbst in den Restaurants von Sterne-Gastronom Fabio Haebel (38) auf St. Pauli wurden schon „Terrassenstühle, Silberbecher und handgefertigte Holzteller aus Dänemark“ gestohlen.
Und das Absurdeste: Jemand hat im „Haebel“ mal die Wärmelampe über dem Baby-Wickeltisch abmontiert und mitgenommen. Bei einzelnen Dingen sei der Gastronom versichert, bei anderen nicht.
Und all das sei keine Lappalie: Die Gastronomen hätten durch gestiegene Lebensmittelpreise und die Mehrwertsteuer von 19 Prozent ohnehin mehr zu kämpfen als früher.
„An einem Gast, der für 50 Euro konsumiert, bleiben mir zwischen 2,10 und 3,20 Euro Gewinn netto – nach allen Abzügen. Das heißt, wenn jemand ein Messer im Wert von sieben Euro klaut, nimmt er mir damit den Gewinn von etwa drei Gästen weg“, sagt Patrick Rüther.
„Moralischer Verfall“ der Besucher
Wer klaut? Es sei von jungen Gästen bis zum Rentner-Pärchen alles dabei – „du siehst es niemandem an der Nasenspitze an“, so Haebel. Grundsätzlich passiere der Diebstahl wohl nicht aus Armut, sagt Patrick Rüther. „Sonst wären die Gäste kaum im Restaurant essen gewesen.“
Jens Stacklies spricht von einem „moralischen Verfall“: „Durch die gestiegenen Preise in den Restaurants haben einige Menschen ein Anspruchsdenken entwickelt.
Sie meinen: ,Die haben jetzt so viel an mir verdient, da muss ja wohl ein Glas drin sein.’“
„Wir können sie ohnehin nicht zwingen, uns in ihre Tasche gucken zu lassen“
Einige Gäste würden sich nicht mal schämen, wenn sie erwischt werden. „Sie geben die Dinge wieder her, aber nur 50 Prozent entschuldigen sich“, sagt Jens Stacklies. Doch die Gäste auf den Diebstahl anzusprechen, sei nicht immer optimal, sagt Patrick Rüther.
„Wir können sie ohnehin nicht zwingen, uns in ihre Tasche gucken zu lassen. Dann wird es laut und unangenehm, das ist auch für die anderen Gäste blöd.“
Diebstahl in Restaurants: „Dehoga“-Vize spricht von „moralischem Verfall“
Die Gastronomen versuchen, sich mit Tricks zu schützen. So werde das Steak in Tim Mälzers „Bullerei“ (Sternschanze) auf einem Brett mit integriertem Magneten serviert, damit das teure Messer gut daran haften bleibt, erzählt Patrick Rüther, früherer Mit-Betreiber.
„Das ist die Erinnerungsstütze für die Servicekräfte. So können sie beim Abräumen immer gezielt nach dem Messer fragen, wenn es fehlt.“
„Am Ende schadet jeder Diebstahl kollektiv den Gästen“
Jens Stacklies lässt seine kleinen Gläser (6,50 Euro pro Stück) nicht mehr mit dem Restaurant-Logo bedrucken – denn die sind bei „Sammlern“ besonders beliebt. 30.000 Euro Gläserkosten habe er mit seinen Lokalen im Jahr: „30 Prozent davon gehen auf Diebstahl zurück.“
Schließlich bliebe den Gastronomen nichts anderes übrig, als den Diebstahl in ihre Preise mit einzukalkulieren.
Bei Rüther sind das 2000 Euro im Jahr. Auch Fabio Haebel sagt: „Am Ende schadet jeder Diebstahl also kollektiv den Gästen.“
Von Silvia Risch
Das Original zu diesem Beitrag "Immer mehr Gäste klauen in Hamburgs Restaurants: „Was du nicht ankettest, ist weg!“" stammt von Hamburger Morgenpost.