„Kranker Mann“ und „das werde ich nicht tun“: Scholz erntet bei Siko offene Sticheleien – Selenskyj Emotionen

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Flammender Appell, ausweichende Antworten: Wolodymyr Selenskyj und Olaf Scholz liefern sehr unterschiedlichee Siko-Auftritt. Der Kanzler erntet Unmut.

München – Die Münchner Sicherheitskonferenz hat ihren zweiten Tag mit einem hochkarätigen Doppelschlag eröffnet: Erst betrat Kanzler Olaf Scholz (SPD) die Bühne für Rede und Interview – unmittelbar danach übernahm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Podium.

Die Diskrepanz zwischen zwei der Schlüsselfiguren im Ukraine-Krieg hätte nicht viel größer ausfallen können: Scholz betonte einen „Silberstreif“ in der aktuellen Lage und musste sich kritische Fragen anhören – eine ausweichende Antwort zum Thema Taurus-Marschflugkörper quittierte Moderatorin Hadley Gamble mit einem trocken ausgesprochenen Wort: „Politiker“. Selenskyj hingegen warnte, mahnte, forderte, äußerte sich recht emotional zu Verlusten im Krieg. Dennoch lieferte der Präsident der Ukraine auch einen Lacher.

Selenskyj und Scholz bei der Siko in München: Ukrainer sieht nur zwei mögliche Schicksale für Putin

Selenskyj trat nicht im Anzug, sondern im Pullover mit dem ukrainischen Dreizack auf – und äußerte einige drastische Warnungen. „Es gibt niemanden unter uns, für den der laufende Krieg in Europa keine Gefahr ist“, sagte der ukrainische Präsident. Werde Wladimir Putin nicht Einhalt geboten, drohe eine globale „Katastrophe“. Geheimdienstkreise seien sich dessen gewahr. Der Kremlchef sei ein „Monster“, das nicht nur in der Ukraine, sondern etwa auch in Tschetschenien und Syrien habe Menschen abschlachten lassen.

Spätestens seit dem „Mord an Alexej Nawalny“ sei es „absurd“, Putin als legitimes Staatsoberhaupt Russlands wahrzunehmen. Zugleich rechtfertige der Kremlchef mittlerweile Hitlers Zweiten Weltkrieg. Putin hatte in einem Interview mit dem hart rechten US-Moderator Tucker Carlson Polen eine Mitschuld an dem deutschen Überfall auf das Land gegeben. Für den Autokraten gebe es nur zwei denkbare Schicksale erklärte Selenskyj: Einen Prozess in Den Haag, oder den Tod durch die Hand eines seiner eigenen Handlanger.

Selenskyj spricht über Verluste in Awdijiwka – Gelegenheit zum Appell an die USA schlägt er aus

Selenskyj wich in dem auf seine Rede folgenden Gespräch mit CNN-Moderatorin Christiane Amanpour einigen Fragen aus, tat das aber auf eher nahbare Art. Die Frage nach einer weiteren Mobilisierung sei „komplex“ erklärte er etwa. Er könne mit den Zuhörern leider keine Erkenntnisse über Verluste teilen, sagte er mit einem angedeuteten Seufzen. Für die Ukraine seien Menschenleben aber wichtig – anders als für Putins Russland. Deshalb habe man sich auch aus Awdijiwka zurückgezogen. Dort liege das Verhältnis an Verluste etwa bei „sieben zu eins“, für einen ukrainischen Soldaten verliere Russland sieben Kämpfende.

Olaf Scholz (li.) und Wolodymyr Selenskyj lieferten sehr unterschiedliche Auftritt bei der Münchner Siko.
Olaf Scholz (li.) und Wolodymyr Selenskyj lieferten sehr unterschiedliche Auftritt bei der Münchner Siko. © Montage: Sven Hoppe/picture-alliance/dpa/fn

Die Gelegenheit zu einem Appell an den US-Kongress für weitere Hilfen schlug Selenskyj aus. „Das werde ich nicht tun“, sagte er. Er verwies auf folgende persönliche Gespräche – und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit im „Team“. Er lud Donald Trump an die Front ein, um den „echten Krieg“, nicht dessen „Instagram“-Version zu erleben. Auch Momente der Gelöstheit gab es auf der Bühne zu sehen. Selenskyj beantwortete Amanpours Interviewfragen auf Ukrainisch – dabei gab es Verwirrung um die Simultandolmetschung. „Hmm, das brauche ich nicht“, sagte Selenskyj unter Lachen des Publikums, nachdem er sich die Kopfhörer aufgesetzt hatte. Letztlich nutzte er die technische Unterstützung.

Politiker.

Sehr offenbar wurden Unterschied zwischen Selenskyj und Scholz nicht nur rhetorisch, sondern vor allem beim Gesamtblick auf die Lage im Krieg. Wolodymyr Selenskyj forderte weitere Hilfe; die Ukraine brauche Sicherheit durch Luftabwehrsysteme und Waffen mit großer Reichweite – Russland müsse unter anderem die Lufthoheit genommen werden.

Scholz weicht bei der Siko Fragen aus – und erntet Unmut auf offener Bühne

Der Kanzler lobte indes die Einigkeit der Nato und die bisherigen Waffenlieferungen. Für das laufende Jahr habe Deutschland seine Militärhilfe auf mehr als sieben Milliarden Euro nahezu verdoppelt; Zusagen für die kommenden Jahre in Höhe von sechs Milliarden kämen hinzu. Er wünsche sich sehr, „dass ähnliche Entscheidungen in allen EU-Hauptstädten getroffen werden“. 

Scholz wich der Frage aus, ob Deutschland noch Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern wird. Deutschland tue bereits sehr viel für die Ukraine, sagt er. Man müsse die Produktion erhöhen, vor allem bei der Munition. „Schritt für Schritt entscheiden wir dann je nach Lage, was getan werden muss zum richtigen Moment“, fügt er hinzu – eine jedenfalls in Deutschland bestens bekannte Phrase des Kanzlers. Gamble reagierte mit hörbarem Unmut.

Ohnehin sah sich Scholz einigen kritischen Fragen ausgesetzt. Hadley erkundigte sich, ob Deutschland als „kranker Mann“ weiterhin die Hilfen aufrechterhalten könne. „Das sind wir nicht“, konterte Scholz. Er verwies auf hohe Beschäftigungszahlen im Land und große Investitionen aus der und für die Wirtschaft. Mit einer Frage aus dem Plenum nach einem Nato-Beitritt der Ukraine noch vor Ende des Kriegs hatte Scholz zu kämpfen: Er rang um Worte.

Letztlich verwies Scholz auf den Beschluss des Nato-Gipfels in Vilnius. Das dort Formulierte nehme man sehr ernst, sagte Scholz. Damals hieß es, es werde eine Beitrittseinladung ausgesprochen, wenn die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllt seien. (fn)

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