Nachwuchs-Lehrer müssen kuriosen Brauch mitmachen – Jurist: „Das macht mich wirklich fassungslos“

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Eine merkwürdige Sitte an Schulen macht jungen Lehrkräften zu schaffen. Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott spricht von „Anfüttern“ – und vermutet solch ein Ritual eher in ganz anderen Ländern.

Berlin – Brötchen, Kaffee und O-Saft sollten bei einer Abschlussprüfung höchstens dann eine Rolle spielen, wenn man Azubi in der Lebensmittelbranche ist. Und doch beschäftigen sich viele angehende Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland mit der Frage, welches Frühstück sie ihren Prüfern am besten servieren sollten. Dahinter steckt ein merkwürdiges Ritual: An zahlreichen Schulen werden Prüflinge und ihre Referendarskollegen dazu angehalten, am Prüfungstag Brötchen zu schmieren und die Prüfungskommission mit Obst, Süßigkeiten und Saft zu versorgen. Eine junge Lehrerin bezeichnete diese Praxis im Gespräch mit IPPEN.MEDIA als demütigend, ein anderer nannte sie eine „Riesensauerei“.

Frühstück für die Prüfer – Lehrer: „Es hieß, das könne sich auf das Ergebnis auswirken“

Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg.
Prof. Dr. Michael Fuhlrott ist Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg. © privat

Es gibt keine offizielle Anweisung zu diesem Ritual, aber oft wird von den Ausbildern suggeriert, dass ein solches Frühstück einfach dazugehöre. „Es hieß, das könne sich auf das Ergebnis auswirken“, erzählt ein junger Lehrer, der anonym bleiben möchte. Und eine Kollegin ergänzt, man habe dazu geraten, besser „was Ordentliches“ zu servieren. Und sei es bloß indirekt: Im Zweifel haben die Nachwuchs-Lehrkräfte die Wahl zwischen einem gut gelaunten Prüfer und einem, dem der Magen knurrt.

Nach Auskunft der Lehrergewerkschaft GEW hat das Frühstücksritual in den letzten Jahren immer größere Ausmaße angenommen. Dabei ist es verboten, wie das NRW-Bildungsministerium klarstellt. Aus guten Grund, weiß Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Hamburg. „Das macht mich wirklich fassungslos, da greife ich mir an den Kopf“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Sowas würde ich in irgendwelchen Ländern mit korrupten Systemen erwarten, aber nicht hier.“

Verdacht der Vorteilsannahme bei Lehrerprüfung

Aus rechtlicher Sicht ist der Frühstücksbrauch kein Pappenstiel. Stichwort: Vorteilsannahme und Bestechlichkeit. Zwar darf man bezweifeln, dass Beamte sich mit einem belegten Brötchen und einer Tasse Kaffee bestechen lassen. Aber: „Hier ist mindestens der Verdacht der Vorteilsannahme gegeben“, so Fuhlrott. Bei der Vorteilsannahme geht es darum, dass ein Amtsträger etwas annimmt, ohne dass eine konkrete Gegenleistung explizit gefordert wird. Der Rechtsexperte erklärt, dass man in diesem Zusammenhang auch von „Anfüttern“ spricht - im Falle des Frühstücksrituals kann man das durchaus wörtlich nehmen.

Eine Anzeige kann nach einem Urteil zu empfindlichen Geldstrafen führen, im schlimmsten Fall sogar zu Haftstrafen. „Gerade bei Beamten ist der Staat besonders empfindlich. Klar, man darf mal einen Kaffee annehmen oder einen Kugelschreiber. Aber dann hört es auch schon auf“, so Fuhlrott. Vor einigen Jahren musste eine Lehrerin aus Berlin eine Strafe von 4000 Euro zahlen, weil sie ein Geschenk ihres Abiturjahrgangs angenommen hatte. Solche Abschlussgeschenke von Schulklassen an Lehrerinnen und Lehrer gibt es häufig. Sie seien gut gemeint, jedoch: „Das bringt die Lehrer in eine unangenehme Situation“, so Fuhlrott.

Lehrer-Brauch hat sich zu einem kuriosen Teufelskreis entwickelt

Die Sache mit dem Frühstück am Prüfungsmorgen noch einmal ganz anders zu bewerten. „Es geht um eine konkrete Prüfungssituation, von der eine Karriere abhängt. Den Verwerflichkeitsgrad schätze ich hier deutlich größer ein, als wenn ein Lehrer ein Abschiedsgeschenk annimmt“, betont der Arbeitsrechtler. Dies gelte insbesondere, wenn das Frühstück von den Prüfern sogar eingefordert wird. In den meisten Fällen mag das nicht einmal der Fall sein – wenngleich eine Prüferin, die anonym bleiben möchte, im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erklärte, dass sie an einem anstrengenden Prüfungstag durchaus dankbar für Brote, Süßigkeiten und Kaffee sei. „Ich prüfe selbst auch“, sagt Michael Fuhlrott, der als Professor für Arbeitsrecht an der Hochschule Fresenius in Hamburg lehrt. „Das Prüfungsamt stellt uns einen Kaffee hin, den bezahlen wir hinterher. Wenn da morgens ein Prüfling mit belegten Broten ankäme, das würden wir niemals annehmen.“

An einigen Schulen hat sich dieses Ritual aber längst zu einem kuriosen Teufelskreis entwickelt: Die Prüflinge gehen davon aus, dass das Ritual erwartet wird, und bereiten morgens die Prüfer-Brote vor. Wenn das üppige Frühstück dann einmal serviert wird, fällt es manchen Prüfern vielleicht schwer, noch nein zu sagen. Daher ist es umso wichtiger, dass die Schulleitung diesen seltsamen Brauch von Anfang an unterbindet. Auch im eigenen Interesse, denn wie Fachanwalt Michael Fuhlrott betont: „Wenn eine Schulleitung so etwas nur duldet, macht sie sich nicht zwingend strafbar. Aber es ist eine Verletzung der Dienstpflicht und kann unter Umständen disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.”

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