„Selbstmordmission“: Ukraine–Armee steht wegen waghalsigen Angriffen schwer in der Kritik

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Berichte häufen sich, wonach die ukrainischen Streitkräfte am Dnipro in der Region Cherson schwere Verluste erleiden. Dennoch gibt Kiew nicht nach.

Cherson – Während sowohl als auch die Einwohnerinnen und Einwohner in Cherson versuchen, ein möglichst normales Leben zu führen, wird wenige Kilometer weiter unter erheblichen Verlusten getötet und gestorben. Und zwar Tag für Tag. Cherson mit seinen rund 290.000 Einwohnern wurde im Frühjahr 2022 zu Beginn der völkerrechtswidrigen russischen Invasion durch die Truppen von Kreml-Autokrat Wladimir Putin besetzt.

Am östlichen Dnipro-Ufer: Ukrainische Armee erleidet in Region Cherson wohl hohe Verluste

Im November 2022 befreiten die Streitkräfte der Ukraine die Stadt am südlichen Delta des riesigen Flusses Dnipro unter großem Jubel der einheimischen Bevölkerung wieder. Donezk steht dagegen schon seit Anfang 2015 unter der Besatzungsverwaltung Russlands. Seit Wochen rennen russische Verbände gegen die ukrainischen Verteidiger wenige Kilometer nordwestlich bei Awdijiwka ins Verderben.

Währenddessen erleidet offenbar die ukrainische Marineinfanterie am östlichen Dnipro-Ufer, auf der gegenüberliegenden Flussseite der Stadt Cherson, massive Verluste. Jetzt hat sogar das regierungsfreundliche ukrainische Medienprojekt The Kyiv Independent eben jene Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj und den Generalstab für die dort waghalsigen Missionen deutlich kritisiert.

„Ukrainische Soldaten, die das Ostufer des Dnipro stürmen, befürchten, dass ihre Mission aussichtslos ist“, titelte das Onlinemedium am Montag (18. Dezember). Es reihte sich damit in kritische Stimmen zum so wichtigen Frontabschnitt in Schlagdistanz zur symbolträchtigen Krim ein, während die Streitkräfte Kiews laut Bild im Winter zur brutalen Taktik übergegangen sind, so viele russische Soldaten wie möglich zu töten.

Am Dnipro bei Cherson: Ukrainische Soldaten stehen schwer unter Beschuss

Am Dnipro stehen die Ukrainer dagegen selbst unter heftigem Beschuss. Ein Soldat hatte sich Mitte Dezember in einem viel beachteten Interview mit der britischen BBC über mangelnden Nachschub und eine schlechte Versorgungssituation der zuletzt am östlichen Ufer des Dnipro gelandeten ukrainischen Truppen beklagt.

„Hier sollten mehrere Brigaden stationiert werden, nicht einzelne Kompanien – wir haben einfach nicht genug Männer“, erklärte er. Offenbar ist ihre Lage brisanter als aus Kiew kommuniziert. „Wir haben einen Großteil unserer Ausrüstung selbst bezahlt – Generatoren, Powerbanks und warme Kleidung gekauft. Jetzt, wo der Frost kommt, wird es nur noch schlimmer – die wahre Situation wird vertuscht“, sagte er der Nachrichten-Website des britischen Senders.

Die gesamte Flussüberquerung steht unter ständigem Beschuss. Ich habe gesehen, wie Boote mit meinen Kameraden an Bord nach einem Treffer einfach im Wasser verschwanden.

„Als wir am Ufer ankamen, wartete der Feind. Die Russen, die wir gefangen nehmen konnten, sagten, ihre Streitkräfte seien über unsere Landung informiert worden, sodass sie bei unserer Ankunft genau wussten, wo sie uns finden könnten. Sie warfen alles auf uns – Artillerie, Mörser und Flammenwerfer. Ich dachte, ich würde nie rauskommen“, erzählte er der BBC weiter: „Die gesamte Flussüberquerung steht unter ständigem Beschuss. Ich habe gesehen, wie Boote mit meinen Kameraden an Bord nach einem Treffer einfach im Wasser verschwanden.“

Dnipro-Front in der Ukraine: Russen versenken Schnellboote im Fluss

Seine Erzählungen decken sich mit Drohnen-Videos russischer Militärblogger, die diese – etwa unter dem Hashtag #Cherson - wiederholt bei X (vormals Twitter) teilen. Zu sehen sind mutmaßlich ukrainische Marineinfanteristen, wie ihre Schnellboote auf dem Dnipro durch Artillerie beschossen werden oder durch die Russen mit Kamikaze-Drohnen angegriffen werden. Ein jüngstes Beispiel (siehe Tweet oben) soll zeigen, wie ein mutmaßlich ukrainisches Schlauchboot zum Kentern gebracht wird, indem eine Drohne eine Granate fallen lässt. Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen lassen sich nicht unabhängig verifizieren. Der Account schrieb von einer „Selbstmordmission“.

Ein russischer Mehrfachraketenwerfer „Grad“ feuert in der Region Cherson mutmaßlich in Richtung ukrainischer Stellungen am Dnipro.
Ein russischer Mehrfachraketenwerfer „Grad“ feuert in der Region Cherson mutmaßlich in Richtung ukrainischer Stellungen am Dnipro. © IMAGO/Alexander Polegenko

Mörser seien das erste Hindernis, die die ukrainischen Soldaten begrüßen, „die das Glück haben, den Fluss Dnipro lebend zu überqueren“, schreibt nun The Kyiv Independent. „Russische Drohnen sind immer auf der Jagd, Bootsmotoren sind laut und geeignete Landeplätze gibt es nur wenige“, heißt es in dem auffallend kritischen Bericht. Kritisch, weil das Medium in seiner Berichterstattung normalerweise eher auf positive Nachrichten von der Armee setzt – zum Beispiel mit Verweis auf neue Langstrecken-Drohnen der Ukrainer.

Ukraine-Krieg: Beschwerden über hohe Verluste am Dnipro in der Region Cherson

Würden die ukrainischen Einheiten das östliche Ufer des gewaltigen Flusses erreichen, so würden sie Abstand zueinander halten, schreibt das ukrainische Online-Portal weiter, „sodass mindestens einer von ihnen überlebt und eine Evakuierung veranlassen kann“. So groß die Bemühungen an diesem Frontabschnitt auch sind, sie sind seit Wochen festgefahren. „Selenskyj hatte eine wirklich miserable Woche“, schrieb der Korrespondent für Sicherheitspolitik, Nick Paton Walsh, jüngst in seiner Analyse für die amerikanische CNN und verwies in seiner Argumentation auf die Verluste am Dnipro. Diese haben auch die Ukrainer längst zur Kenntnis genommen. (pm)

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