Kurswechsel beim Kanzler – 400.000 neue Wohnungen sind nicht genug
Ursprünglich wollte die Bundesregierung 400.000 neue Wohnungen bauen. Verbände hatten gewarnt, dass diese Zahl lange nicht ausreiche. Nun meldet sich Kanzler Olaf Scholz – und schwenkt um.
Stahnsdorf – Erst Mitte Januar hatte die Frage nach dem sozialen Wohnungsbau für Furore gesorgt. Das renommierte Pestel-Institut, das sich seit Jahrzehnten mit dem Wohnungsmarkt beschäftigt, hatte in einer Studie festgestellt, dass in Deutschland über 910.000 Sozialwohnungen fehlen. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) wollte das nicht wahrhaben. In der ARD sagte sie: „Die Zahlen haben sich die Kollegen ausgedacht“. Die Regierung peilte jährlich 400.000 Wohnungen an. Nun, fast einen Monat später, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz einen Sinneswandel.
Von der Regierung angepeilte Neuwohnungen | 400.000 pro Jahr |
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Davon staatlich geförderte Wohnungen | 100.000 |
Aktuelle Prognose für 2024 | 265.000 Wohnungen |
Kurswechsel beim Kanzler – 400.000 Wohnungen „eher zu wenig als zu viel“
Bei einem Bürgerdialog im brandenburgischen Stahnsdorf wich Scholz von der ursprünglichen Zielmarke ab. Eigentlich wollte die Ampel-Koalition jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen – diese Zahl kursierte lange, schien aber angesichts der aktuellen Bauleistung utopisch. Der Kanzler sprach nun davon, dass die 400.000 Wohnungen eher die „untere Grenze des Bedarfs“ markieren. Bei dieser Bauleistung würden „eher zu wenig als zu viel“ Wohnungen entstehen.

Warum dieses Ziel bislang unerreicht geblieben war, hat laut Scholz mehrere Gründe. Einer davon sei ein „psychologisches Problem“ durch den zu schnellen Zinsanstieg in den vergangenen Jahren. Allerdings bemängelte er auch eine „unglaubliche Fehlkalkulation“ durch den Bau zu vieler teurer Wohnungen.
Bundesbauministerin muss Bürokratie abbauen
Eine teils überbordende Bürokratie sei ein weiteres Problem. Bauministerin Klara Geywitz müsse einige Vorschriften Schritt für Schritt abbauen. Außerdem nahm Scholz die Kommunen mit in die Pflicht. „Mehr Wohnungen gibt es nicht ohne mehr Bauland, nicht ohne mehr Verdichtung“, sagte Scholz – und für die Ausweisung von Bauland seien nun einmal die Kommunen verantwortlich.
Das müssen keineswegs durchweg „frische“ Bauflächen sein. Gemeinden und Städte können sanierungsfähige Gebäude auf kaum genutzten Grundstücken abreißen, um durch einen Neubau eine bessere Grundstücksausnutzung zu erreichen. Matthias Günther vom Pestel-Institut glaubt nicht daran, dass die Städte innerhalb der nächsten zehn Jahre „frische“ Flächen für den Wohnungsbau bereitstellen werden. Stattdessen soll sich der Wohnungsbau „komplett“ in den Bestand verlagern. „Nachverdichtungen, Aufstockungen oder Umnutzungen etwa von Büro- oder Einzelhandelsflächen sollten ausreichend Raum bieten, um den notwendigen Wohnungsbau zu schaffen“, erklärte Günther.
Baubranche warnt vor Wohnungsmangel
Bei Vertretern der Baubranche herrscht seit längerer Zeit Pessimismus. Schätzungen des Münchner Ifo-Instituts zufolge entstehen 2024 rund 225.000 neue Wohnungen. Verglichen mit 2023 wäre das ein Rückgang um 45.000 Wohnungen. Bundesbauministerin Geywitz geht von rund 265.000 fertigen Wohnungen im Jahr 2024 aus – dabei bezog sich die SPD-Politikerin auf eine Prognose des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
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Diese Zahlen liegen nicht nur weit hinter der eigentlichen Zielmarke der Bundesregierung, sondern noch weiter hinter denen, die das Bündnis Sozialer Wohnungsbau im Januar vorgestellt hatte. „Die Politik hat den sozialen Wohnungsbau über Jahrzehnte vernachlässigt“, fasste Matthias Günther vom Pestel-Institut zusammen. Das Bündnis forderte ein Sonderbudget über 50 Milliarden Euro, die notwendig wären, um die Pläne der Bundesregierung umzusetzen.
Mit Material von dpa