50 Milliarden Euro für Sozialwohnungen gefordert – ist überhaupt genug Bauland da?

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Deutschland fehlen über 900.000 Sozialwohnungen. 50 Milliarden Euro sollen die Lücke schließen. Ein Branchenexperte bezweifelt, dass die Regierung neues Bauland zur Verfügung stellen wird.

Berlin – Die Politik habe „den sozialen Wohnungsbau über Jahrzehnte vernachlässigt“, resümierte Matthias Günther vom renommierten Pestel-Institut bei der Vorstellung der jährlichen Studie zum sozialen Wohnungsbau. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Mitgliedern des Bündnisses „Soziales Wohnen“ forderten die Anwesenden ein Sonderbudget über 50 Milliarden Euro. Doch ist überhaupt genug Bauland vorhanden? Und was würde mit dem Geld dann geschehen?

Fehlende Sozialwohnungen (nach Pestel-Institut) 910.000
Neubau an Wohnungen (von Bundesregierung geplant) 400.000
Limit des Flächenverbrauchs bis 2030 30 Hektar

Bündnis „Soziales Wohnen“ fordert 910.000 Sozialwohnungen

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie scheinen alarmierend. Ein „dramatischer Mangel an sozialem Wohnraum“ sei vorhanden. Berechnungen der Wissenschaftler zufolge fehlen bundesweit mehr als 910.000 Sozialwohnungen. „Um bedürftigen Haushalten das Wohnen überhaupt noch zu ermöglichen, ist der Staat mittlerweile gezwungen, stetig steigende Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt zu akzeptieren“, sagte der Studienleiter Matthias Günther vom Pestel-Institut dazu.

Das sei vor allem darum ein Problem, weil der Staat teils Mieten zahle, die „deutlich über der Durchschnittsmiete“ liegen. Günther sprach von einer regelrechten Explosion der notwendigen staatlichen Ausgaben für das Wohngeld und für die Kosten der Unterkunft. „Am Ende profitieren davon allerdings vor allem die Vermieter.“

Es braucht 1.600 Hektar Bauland für Wohnungen in Deutschland

Neben den finanziellen Mitteln für ein solches Bauvorhaben spielt eine Rolle, ob überhaupt genügend Platz zum Bau der geforderten Sozialwohnungen vorhanden ist. Auf Anfrage teilte Matthias Günther vom Pestel-Insitut gegenüber Ippen.Media mit, dass er hier von 60 Quadratmetern pro Wohnung und einem Grundstücksbedarf von 0,7 Quadratmetern Grundstück pro Quadratmeter Wohnfläche ausgeht.

Mietwohnungen im Kölner Wohnsiedlung Kölnberg. Die Inflation liegt auf hohem Niveau. Beim Blick auf Mieterhöhungen oder
50 Milliarden Euro für Sozialwohnungen – so viel fordert das Bündnis Soziales Wohnen. Bauland ist genug da. Ein Experte bezweifelt, dass die Bundesregierung kurzfristig „frisches“ Land für den Bau einsetzen wird. © IMAGO / Panama Pictures

Um die Pläne der Bundesregierung, noch innerhalb der laufenden Legislaturperiode 400.000 Sozialwohnungen neu zu bauen, zu verwirklichen, fehlen aktuell 377.500 Sozialwohnungen. 225.000 Wohnungen hatte die Regierung bereits bauen lassen. Günther rechnet hier mit einer benötigten Gesamtfläche von rund 1.600 Hektar. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 wurde bundesweit rund 10.900 Hektar Bauland gehandelt.

Zehn Jahre lang keine neuen Wohnungen mehr auf „frischen“ Flächen

Allerdings müsse der Bau von Sozialwohnungen nicht auf „frischen“ Baulandflächen passieren. Gemeinden und Städte könnten sanierungsfähige Gebäude auf wenig bis nicht genutzten Grundstücken abreißen, um mit einem Neubau an der Stelle eine bessere Grundstücksausnutzung zu erreichen. „Dies ist in vielen Ballungsräumen bis zur Zinswende durchaus üblich gewesen“, sagte Günther dazu.

Hier kommt jedoch die Frage nach der Finanzierung ins Spiel. In vielen großen Städten haben sich die Baulandpreise nach Experteneinschätzung seit 2010 mehr als verdoppelt. Der Experte vom Pestel-Institut geht davon aus, dass die Städte innerhalb der kommenden zehn Jahre keine „frischen“ Flächen mehr für den Wohnungsbau bereitstellen werden. Der Wohnungsbau werde sich „komplett“ in den Bestand verlagern. Matthias Günther schätzt: „Nachverdichtungen, Aufstockungen oder Umnutzungen etwa von Büro- oder Einzelhandelsflächen sollten ausreichend Raum bieten, um den notwendigen Wohnungsbau zu schaffen.“

Bundesregierung plant 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr

Die Bundesregierung gab sich diesbezüglich noch optimistisch. Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) zeigte, dass in Städten und Gemeinden potenziell bebaubare Flächen von rund 99.000 Hektar zur Verfügung stünden. Zwei Drittel davon seien durch die kommunale Planung für das Wohnen vorgesehen.

„Es gibt ausreichend Bauland in Deutschland“, sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) dazu. „Das ist das Potenzial, das wir brauchen, um 400.000 Wohnungen jährlich, davon 100.000 Sozialwohnungen, zu bauen.“ Über die Hälfte dieses „enormen Flächenpotenzials“ sei kurzfristig bebaubar. Die Studie ist allerdings von 2022 – auf Anfrage, wie die konkreten Zahlen mittlerweile aussehen, hatte sich das BMWSB noch nicht gemeldet.

Kann Deutschland das Bauland ausgehen?

Aktuell strebt die Bundesrepublik das sogenannte 30-Hektar-Ziel an. Bis 2030 will die Regierung den Flächenverbrauch auf unter 30 Hektar pro Tag verringern. „Die Probleme liegen weniger im Geschosswohnungsbau“, verriet Matthias Günther, vielmehr sei es der Bau von Einfamilienhäusern und Gewerbeflachbauten, die das Ziel „regelmäßig“ überschreiten.

„Wir haben die größte Wohnungskrise seit 30 Jahren“, fasste Janina Bessenich, Geschäftsführerin Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, die Ergebnisse der eingangs erwähnten Studie zusammen. Eine der Forderungen des Bündnisses betrifft den Wohnraum für Menschen mit Behinderungen. Für diese sollten zehn Prozent aller neu gebauten Sozialwohnungen reserviert werden.

Im Nachhinein meldete sich auch Bauministerin Geywitz zu der Studie – und bezeichnete die vorliegenden Zahlen als erfunden.

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