„Bis zum letzten Ukrainer“: Russland wirft Scholz geheime Taurus-Agenda vor

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Russland will ein vertrauliches Gespräch abgehört haben – jetzt reagiert die Staatsduma. Der Vorwurf aus Moskau: Olaf Scholz verschleiere Deutschlands Absichten.

Moskau – Trotz der unmissverständlichen Position von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Taurus-Debatte sorgen die angeblichen Enthüllungen des jüngsten Bundeswehr-Abhörvorfalls weiterhin für Wirbel: In Deutschland ist eine Diskussion über die Kommunikationswege der Bundeswehr entbrannt ist. Russland schlachtet unterdessen die Veröffentlichung des augenscheinlich internen Gesprächs deutscher Bundeswehr-Offiziere durch die russische Plattform RT aus. Die Staatsduma wird der Bundesrepublik jetzt wohl vorwerfen, die wahren Absichten im Ukraine-Krieg zu verschleiern. Russlands Parlament will daher im Bundestag wohl direkt adressieren.

Verschleiert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine wahren Absichten im Ukraine-Krieg?
Verschleiert Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine wahren Absichten im Ukraine-Krieg? © IMAGO/Björn Trotzki

Laut dem Leiter des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, Leonid Slutsky, wurde der Staatsduma am Donnerstag (7. März) der „Entwurf für einen Appell an den Bundestag im Zusammenhang mit dem durchgesickerten Gespräch deutscher Offiziere“ vorgelegt. Das berichtet die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass. Darin gehe es, so die Agentur, um die „Beteiligung Deutschlands an den Verbrechen des Kiewer Regimes gegen die Zivilbevölkerung und der Beschädigung der zivilen Infrastruktur auf dem Territorium der Russischen Föderation“ – also um eine Involvierung in den Ukraine-Krieg.

„Die wahren Ziele der deutschen Politik in Richtung Ukraine“ – Verschleiert Scholz seine Absichten?

Die Ukraine sei „durch die Bemühungen westlicher Politiker in ein blutiges Testgelände verwandelt“ worden. Auf diesem erprobten jetzt „die Armeen der NATO-Länder und westliche Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes verschiedene Waffen und militärisches Gerät“. Das Land leide „heute am meisten unter dem Wunsch der NATO-Schirmherren in Kiew“ „einen Krieg mit Russland ‚bis zum letzten Ukrainer‘“ zu führen.

„Die Behauptungen von Bundeskanzler O. Scholz über die Unzweckmäßigkeit der Lieferung von Langstreckenraketen an die Ukraine“ ließen daher „berechtigte Zweifel aufkommen“. Ihr Zweck sei, „die wahren Ziele der deutschen Politik in Richtung Ukraine zu verschleiern“.

In dem Dokument wird laut Tass dargelegt, dass es „allen Grund“ gebe, von einer „Glaubwürdigkeit und extremen Gefährlichkeit der von der Bundeswehrführung ausgeheckten Pläne“ auszugehen. Immerhin würden „zahlreiche Fakten“ sowohl den Einsatz „westlicher Waffen und Munition durch die Ukraine“ belegen, als auch die Beteiligung der Soldaten von Nato-Ländern „einschließlich Deutschlands“ als Ausbilder und bei der Wartung von militärischem Gerät. Daher fordere das Papier den Deutschen Bundestag zum Handeln auf. Dieser solle jetzt „eine objektive Untersuchung der Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an Kampfhandlungen in der Ukraine“ durchführen.

Bekannte Fakten über den Ukraine-Krieg: Viele von Russlands Anschuldigungen sind längst bekannt

Teilweise stimmen die Behauptungen aus dem Papier – sind aber gleichzeitig kein Geheimnis. Nicht nur „zahlreiche Fakten“ belegen den Einsatz westlicher Waffen und Munition in der Ukraine, es ist geradezu unmöglich, der öffentlichen Debatte über sie zu entkommen.

Auch, dass die ukrainischen Einsatzkräfte von den westlichen Verbündeten des Landes ausgebildet werden, ist seit längerer Zeit bekannt. Insgesamt 24 Nationen beteiligen sich an der EU-Trainingsmission zur Unterstützung der Ukraine – darunter Deutschland. „Die Bundeswehr leistet dabei einen wesentlichen Beitrag zur einsatzorientierten Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte“, heißt es auf der Website der Bundeswehr.

Was wurde während des angeblich abgehörten Gesprächs besprochen?

Der etwa 40-minütige Mitschnitt gibt angeblich Einblick in ein Gespräch hochrangiger Bundeswehroffiziere, die darüber beraten, wie sie Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) über die Bedingungen für einen möglichen Einsatz des deutschen Taurus in der Ukraine informieren sollen. Der Generalleutnant der Luftwaffe, Ingo Gerhartz, diskutiert dies den Aufnahmen zufolge mit drei Offizieren, allesamt Experten für den besagten Marschflugkörper.

Der Fokus des Gesprächs liegt auf der Frage, wie man Taurus mit den für die Zielprogrammierung und Flugbahnbestimmung notwendigen Daten versorgen kann. Die Offiziere entwerfen verschiedene Szenarien, darunter die direkte Übermittlung der Daten über Leitungen aus dem Luftwaffenstützpunkt Büchel, die jedoch als potenzielle rote Linie für die Politik betrachtet wird. Alternativen wie die Lieferung über die Herstellerfirma oder die persönliche Überbringung per Auto in die Ukraine werden ebenfalls erörtert, jedoch letztendlich verworfen.

Aus dem Gespräch geht hervor, dass die Bundeswehroffiziere lediglich Hintergrundinformationen sammeln und Optionen präsentieren, ohne konkrete Empfehlungen abzugeben. Die finale Entscheidung obliege der Politik. Der heikelste Punkt des Gesprächs betrifft die Diskussion über die Einsatzmöglichkeiten der Waffe. Aufgrund ihrer enormen Reichweite könnten Taurus, wohl auch die Kertsch-Brücke treffen, über die die russischen Besatzungstruppen auf der Krim versorgt werden.

Die russische Propaganda hat den Austausch der deutschen Militärs über diese Möglichkeit als konkrete Angriffsplanung dargestellt. Im Gespräch ist jedoch nicht erkennbar, dass die Offiziere einen Angriff auf die Brücke empfehlen oder als sinnvoll erachten. Es wird wiederholt betont, dass ihre Aufgabe darin besteht, der Politik Entscheidungsalternativen aufzuzeigen.

Weniger eindeutig ist, welche Nato-Länder Soldaten auf ukrainischem Boden haben. Zwar sorgen die Überlegungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron über die Entsendung von Bodentruppen in den Ukraine-Krieg noch immer für Gesprächsbedarf unter den Nato-Staaten. Alle weiteren – bis auf Tschechien – haben sich allerdings gegen ein solches Vorgehen ausgesprochen. „Was von Anfang an miteinander vereinbart wurde, gilt auch für die Zukunft, nämlich dass es keine Bodentruppen, keine Soldaten auf ukrainischem Boden geben wird, die von europäischen Staaten oder NATO-Staaten dorthin geschickt werden“, stellte Scholz vor vergangene Woche klar.

Eine „kleine Anzahl“ britischer Soldaten – Angeblich haben alle Nato-Länder Personal in der Ukraine

Trotzdem bestätigte der britische Premier Rishi Sunak die Behauptung aus dem angeblich mitgeschnittenen Gespräch, britische Truppen seien in der Ukraine im Einsatz, um beim Einsatz der gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper zu helfen. Diese „kleine Anzahl“ britischer Armeeangehöriger bedeute jedoch nicht, dass es „Pläne für einen groß angelegten Einsatz“ gebe, so Sunak. In Großbritannien sorgte Äußerungen Scholz‘ über britische Soldaten für Zorn.

Auch Soldaten aus Frankreich werden auf ukrainischem Boden vermutet. Die Zeitung Le Monde wertete Macrons Äußerung, dass es bei seinem Vorschlag bezüglich der Entsendung von Nato-Truppen um eine „offizielle, überlegte und genehmigte Weise“ gehe, als Geständnis für die Präsenz westlicher Mitarbeiter auf ukrainischem Boden.

Eine anonyme ukrainische Quelle sagte der Zeitung, dass „alle verbündeten Staaten“ in der Ukraine präsent seien. Dabei gehe es nicht um Kampfeinheiten, sondern „zum Beispiel Vertreter jedes Geheimdienstes“ sowie „Fachleute“, die den Einsatz gelieferter Waffen und neuer Ausrüstung überwachten. „Wenn es Waffenlieferungen gibt, muss es auch Leute geben, die vor Ort Informationen über die Verwendung der Ausrüstung geben“, erklärte die Quelle weiter. Die Präsenz deutscher Techniker wäre demnach, angesichts der gelieferten Leopard-2-Panzer aus deutscher Produktion, nicht unwahrscheinlich.

Olaf Scholz betont klare Taurus-Linie – Was bezweckt Russland mit der Veröffentlichung?

Bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gibt es aber einen Unterschied. Solange man die Kontrolle haben wolle, betonte Scholz am Montag (4. März), gehe das nur „wenn deutsche Soldaten beteiligt sind“ – was auf stärkere Involvierung Deutschlands in den Krieg hinauslaufen könnte. Daher gelte nach wie vor: „Das ist für mich ausgeschlossen“. Zumindest vonseiten Scholz‘ lässt sich eine Verschleierung der „wahren Ziele der deutschen Politik in Richtung Ukraine“ daher bislang nicht erkennen – auch wenn einige Bundestagsabgeordnete eine versteckte Agenda wohl begrüßen würden.

Offen ist aber, was Russland mit der Veröffentlichung und deren propagandistischem Einsatz bezweckt. Es gehe darum, das Vertrauen in die Institutionen zu erschüttern, urteilte der Spiegel. Zumindest die Union sei mit ihrer harschen Kritik am Bundeskanzler ein bisschen auf die Taktik hereingefallen, meint das Nachrichtenmagazin. (tpn)

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