"Zerstört Existenzen“: Erbpachtnehmer sitzen in Kirchenfalle, nun gibt's Protest

Gespräche haben keine Lösung gebracht, jetzt ziehen niedersächsische Erbpachtnehmer gegen die Klosterkammer auf die Straße: Kürzlich haben rund 50 Betroffene aus Osnabrück, Hildesheim, Lüneburg und Hannover ihren Frust am Sitz der Sonderbehörde für die früheren Kirchengrundstücke ausgelassen.

Erbpachtnehmer sitzen in der Kirchen-Falle

Denn in den kommenden Jahren laufen zahlreiche Erbpachtverträge aus. Die Angebote der Klosterkammer für eine Verlängerung beinhalten enorme Kostenaufschläge. Statt wie bisher wenige Hundert Euro im Jahr verlangt die Eigentümerin der Grundstücke in manchen Fällen mehr als 2000 Euro pro Monat, damit die Hausbesitzer auf ihren Grundstücken bleiben dürfen.

Die Berechnungsgrundlage für den Erbbauzins ist zwar gleichgeblieben. Allerdings sind die Grundstückswerte insbesondere in den vergangenen zehn Jahren in die Höhe geschossen. Wer nun seinen Vertrag für die kommenden 80 Jahre verlängern muss, ist von diesen Preissteigerungen überproportional betroffen. Die Demonstranten fordern deshalb unter anderem, für ein bezahlbares Wohnen den bisherigen Zinssatz und damit die Zahllast zu senken.

Martin Busch, Vertreter eines Bündnisses von Erbbaunehmern aus Osnabrück, spricht allein in seiner Region von rund 2100 Familien, die von den drohenden Erhöhungen betroffen wären. Dazu zählen auch Valentina und Alexander Daniel. Sie können noch immer nicht glauben, welche Zahlen in dem Angebot der Klosterkammer stehen. Das Paar hat erst vor drei Jahren das neue Eigenheim bezogen. Von der günstigen Erbpacht von jährlich 850 Euro profitieren sie auch noch mehr als zehn Jahre.

Erbpachtvertrag: Klosterkammer will Mega-Erhöhung

Doch ob sie sich ihr Haus danach noch leisten können, ist offen. In einem Angebot zur vorzeitigen Verlängerung des Erbpachtvertrags verlangt die Klosterkammer 4805 Euro im Jahr; mehr als das Fünffache der bisherigen Summe. Und das ist schon ein reduziertes Angebot. „Die Klosterkammer hat genug Geld, zuerst wollten sie das Zehnfache“, echauffiert sich Alexander Daniel über das ursprüngliche Angebot: „Das ist unverschämt!“.

Bei ihren Eltern, die eine Eigentumswohnung in einem Mehrfamilienhaus  haben, sei die Lage noch verzwickter, erzählt Valentina Daniel. Damit potenzielle Käufer einen Bankkredit erhielten, müsse der Erbpachtvertrag noch mindestens zehn Jahre laufen. Weil den neuen Konditionen aber alle Parteien zustimmen müssten, sei ein Verkauf aktuell unmöglich. „Viele wollen verkaufen aber können nicht, weil der Pachtvertrag abläuft“, sagt sie. Auf der anderen Seite seien junge Familien gezwungen, die horrenden Forderungen zu akzeptieren.

Landeskirche spricht von „marktüblichen Preisen“

Die Klosterkammer Hannover ist nach eigenen Angaben größte Ausgeberin von Erbbaurechten in Deutschland und hat 16.700 Baugrundstücke vergeben. „Wir verstehen die Sorgen der Erbbauberechtigten, dürfen aber das uns anvertraute öffentliche Vermögen und die damit verbundenen Aufgaben, neben den aktuell gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen, nicht außer Acht lassen“, sagt Klosterkammer-Präsidentin Thela Wernstedt. In mehr als 2500 Fällen sei das Modell mit vergünstigten Konditionen auch schon erfolgreich angewendet worden.

Eine Sprecherin der evangelischen Landeskirche Hannover verweist auf die bekannten Maßstäbe und „marktübliche Preise“: Die Kirchengemeinden seien „verpflichtet, mit ihren Vermögenswerten und den Einnahmen aus der Kirchensteuer verantwortlich und im Interesse aller zu verfahren“. Die Einnahmen aus Erbbauverträgen seien wichtig, um die Angebote und Aufgaben der Kirchengemeinden zu finanzieren. Zudem könnten für Bewohner mit geringem Einkommen individuelle Zinssätze festgelegt werden, um sie nicht übermäßig zu belasten.

Für die steigenden Grundstückswerte sieht die Kirche indes andere in der Verantwortung. „Die Entwicklung der Bodenpreise sind ein riesiges Problem, das politisch gelöst werden muss“, sagt Klosterkammer-Präsidentin Thela Wernstedt dazu. Mit dem zuständigen niedersächsischen Kultusministerium arbeite die Klosterkammer deshalb daran, die Regelungen für Neuvergaben zu überarbeiten.

Manfred Arndt ist aus Bad Iburg bei Osnabrück angereist und wohnt ebenfalls auf einem Erbpacht-Grundstück. „Das übernimmt meine Enkeltochter bald“, sagt er. Wie hoch der Erbbauzins künftig bei ihm liegen könnte, wisse er noch nicht. Doch auch der Nachwuchs solle bezahlbar wohnen können.

Arndt warnt zudem vor einer enormen Belastung für die öffentlichen Kassen: In seiner Heimat stünden zahlreiche Einrichtungen auf dem Boden der Klosterkammer – ob das historische Schloss, die Grundschule oder das Freibad. Hier drohten ebenfalls enorme Kostensteigerungen. 

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Anwohner am Molanusweg in Hannover-Kirchrode FOL / Niklas Golitschek

Erbbaurecht: Eigentlich für Familien mit geringem Einkommen gedacht

Dabei sollte das Erbbaurecht einst Bodenspekulationen durch die langen Vertragslaufzeiten vorbeugen. Ziel war, dass auch Familien mit weniger Einkommen ein Eigenheim errichten können. Die Verlängerung zu Rekord-Grundstückswerten kommt daher zur Unzeit für die Betroffenen.

Bei den geforderten Summen weiß die Klosterkammer zwar das Gesetz auf ihrer Seite, bringt die Bewohner aber gegen sich auf. „Das ist unethisch, unfair und zutiefst ungerecht“, kritisiert der Sprecher des Osnabrücker Erbbau-Bündnisses, Martin Busch, und warnt vor einer Vertreibung der Erbbaunehmer: „Wir können nicht einfach neu anfangen.“ Denn wenn sie das Angebot ablehnen, greift eine andere Klausel, der sogenannte Heimfall: Die Klosterkammer kann ihnen das Haus zu einem Preis in Höhe von zwei Dritteln des Verkehrswerts abkaufen. Die ebenso alten wie bescheidenen Immobilien sind inzwischen allerdings teilweise weniger wert als der Boden, auf dem sie stehen.

„Existenzen werden gefährdet und zerstört!“

Annegret Kühne aus Lüneburg bemängelt die nur bedingte Kompromissbereitschaft der Klosterkammer: „Existenzen werden gefährdet und zerstört!“ Dabei schmücke sich die Sonderbehörde gerne mit einem sozialen Mantel. Die Erbbaunehmer, oft mit geringem Einkommen, könnten sich die Preissteigerungen schlicht nicht leisten – ebenso wenig wie Häuser auf dem freien Markt. „Die Klosterkammer macht keinen Finger krumm, sie muss nur das Geld einsammeln“, merkt Elisabeth Stichnoth aus Hildesheim an. Verpflichtungen wie Grundsteuerzahlungen, Pflege und Unterhalt der Grundstücke blieben dagegen bei den Erbbaunehmern hängen.

Die Demonstranten fordern daher ein Einlenken der Klosterkammer als Eigentümerin der Grundstücke. Am besten soll die Politik gleich die rechtliche Grundlage ändern. Nach der Kundgebung zieht die Gruppe deshalb zum niedersächsischen Landtag, kommt mit mehreren Politikern ins Gespräch und überreicht ihre Petition. „Das war klasse, wir haben eine Menge erreicht“, freut sich Mitorganisatorin Astrid Houghton aus Hannover über die Resonanz. Die SPD wolle bis Jahresende einen Entschließungsantrag zur Neuregelung des Erbbaurechts auf den Weg bringen. „Dann können wir die Kirche vielleicht zum Umdenken bewegen“, so ihre vage Hoffnung. Auch mit Vertretern von CDU und Grünen hätten die Demonstranten gute Gespräche geführt.