Es ist ein bisschen paradox: Ausgerechnet der deutsche Hersteller, der sich am konsequentesten gegen das Verbrenner-Verbot der EU ausspricht, bringt in den kommenden Jahren die spannendste Elektroauto-Palette und mit dem BMW iX3 einen der am meisten erwarteten Stromer. Die Zahl der Vorbestellungen soll größer sein als erwartet, so dass die Münchner das geplante Produktionsvolumen fürs erste Jahr schon nach oben korrigiert haben.
Die Vorschusslorbeeren, die das Auto auch während der IAA bekommen hat, muss es sich nun in der Praxis verdienen. Schafft der BMW iX3 das? FOCUS online hat den Wagen erstmals getestet.
Karosserie und Innenraum
Die Optik des fast 4,8 Meter langen Elektro-SUV polarisiert, wie man das von BMW gewohnt ist – wenn auch nicht so stark wie einst der BMW iX. Die Front mit der schmalen Niere erinnert tatsächlich ein wenig an den alten BMW 1500 und hebt sich wohltuend von der Monster-Niere eines BMW XM ab. Beim Platzangebot geht es großzügig zu und im Kofferraum warten 520 Liter Gepäckvolumen. Unter der Fronthaube kommt noch der "Frunk" dazu, der neben dem Ladekabel ein paar Kleinigkeiten schlucken kann.
Innen geht es zwar schick und modern zu, vor allem der ungewöhnlich geformte Monitor fällt ins Auge. Doch Details wie die Hartplastik-Tasten in der Mittelkonsole mit dem schwarzen Lautstärken-Regler (früher war sowas wenigstens verchromt) offenbaren auch den Sparstift, den man bei einem in Top-Ausstattung rund 85.000 Euro teuren SUV nicht unbedingt sehen möchte. Auch dass BMW die Haltegriffe im Dachhimmel weggespart hat, ist ärgerlich.
In der Mittelkonsole gibt es ein Doppel-Fach für zwei Smartphones, wobei nur der linke Teil auch mit drahtlosem Laden ausgestattet ist. Immerhin funktioniert das dank Belüftung von unten und magnetischer Ausrichtung sehr schnell und störungsfrei, weil das Telefon nicht so schnell heiß wird.
Bedienung und Infotainment
Erinnert sich noch jemand an das iDrive-Desaster von BMW? Eingeführt im 7er der vierten Generation ab 2001, ließ sich das Infotainmentsystem mit einem damals revolutionären Dreh-Drück-Mechanismus bedienen. Das Ganze startete äußerst holprig. Erst nachdem BMW das System verbessert und um einige Schnellzugriffstasten ergänzt hatte, waren die meisten Kunden mit iDrive zufrieden.
Mit dem „Panoramic iDrive“ betritt BMW nun wieder Neuland, und wenn vor der ersten Testfahrt ein BMW-Ingenieur den nicht gerade unerfahrenen Autojournalisten zehn Minuten das System erklärt, ist das in der Regel kein gutes Zeichen. Und ja: Der iDrive-Ersatz mit Touchscreen-Bedienung ist anfangs so gar nicht intuitiv und erfordert von allen, die den eigentlichen iDrive gewohnt sind, eine radikale Umstellung. Dass hier der chinesische Kunde im Vordergrund stand, der sein ganzes Autofahrer-Leben auf Touchscreens verbringt, wird überdeutlich. Viele Funktionen, die bisher schnell erreichbar waren, sind nun in verschachtelten Menus vergraben.
Um das etwas zu entschärfen, sollte man die Funktion „Routinen“ nutzen. So kann man programmieren, mit welcher Klimatisierung man seine Fahrt starten will und ob man zum Beispiel bei jeder Fahrt die mittlerweile von der EU vorgeschrieben Geschwindigkeitswarnung deaktivieren will.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum es eigentlich „Panoramic iDrive“ heißt, was ja so schillernd klingt wie die Begriffe, mit denen amerikanische Hersteller wie Cadillac oder Buick in den 1950er Jahren ihre neuesten Gimmicks anpriesen. Nun, bei BMW befinden sich statt einer zentralen Instrumententafel unterhalb der Windschutzscheibe kleine Digitalanzeigen, und das über die gesamte Cockpit-Breite. Ergänzt wird das durch ein klassisches Head-Up-Display. Das Ergebnis, und das muss man den BMW-Entwicklern wirklich lassen, ist ein Fahrerlebnis, bei dem man kaum von der Straße abgelenkt wird, weil die wesentlichen Informationen entweder im Head-Up-Display zu finden sind oder mit einem kurzen Blick an den unteren Rand der Windschutzscheibe.
Automatisiertes Fahren und Parken
Der iX3 hat die neueste Version des „Autobahn & City Driving Assistant Plus“ an Bord, dessen Funktionen man sich auch nachträglich freischalten lassen kann (gegen Aufpreis, versteht sich). Dann hält der Wagen nicht nur automatisch Abstand zum Vordermann und passt die Geschwindigkeit dem jeweiligen Tempolimit an, sondern übernimmt bis 130 km/h auch das Fahren selbst. Voraussetzung ist, dass der Fahrer entweder immer wieder die Hände ans Lenkrad nimmt oder – und das ist die eigentlich interessante Funktion, wenn einen so etwas nicht stört – dass der Fahrer per Kamera permanent überwacht wird. Schaut man regelmäßig auf die Straße, fährt der Wagen weiter von selbst. Sogar der Spurwechsel geht dann automatisch: Man muss nur kurz blinken und/oder in den Rückspiegel schauen und wenn alles frei ist, überholt der Wagen automatisch den Vordermann und schert dann wieder rechts ein.
Ist man dagegen stark abgelenkt, fordert Kollege Computer irgendwann und plötzlich sehr schnell, dass man wieder das Steuer übernimmt. Alles in allem wirkt das noch nicht so hundertprozentig überzeugend, ist aber immerhin schon deutlich weiter als ein herkömmlicher Abstandsregeltempomat mit Spurführung. Und der BMW kann noch etwas, nämlich vollautomatisch einparken. Dazu fährt man an die Parklücke heran, aktiviert das System, steigt dann aus und kontrolliert den Vorgang per App auf dem Smartphone. Ganz ohne Fahrer zieht der Wagen in die Parklücke.
Motor und Antrieb
Der iX3 50 ist mit zwei Motoren ausgestattet, der größere von beiden sitzt an der Hinterachse. Die maximale Leistung des Elektro-Allradlers liegt bei 345 kW / 469 PS. Der gleiche Antriebstrang wird künftig auch in anderen Modellen der „Neuen Klasse“ von BMW eingesetzt.
Mit 2250 Kilogramm ist der iX3 deutlich schwerer als ein X3 mit Benzin- oder Dieselmotor. Beim maximalen Drehmoment von 645 Newtonmetern ist das aber letztlich egal, denn der iX3 zischt ab wie einer Rakete. In 4,9 Sekunden geht es von 0 auf 100 km/h, auf der Autobahn sind maximal 210 Sachen drin – auf Wunsch im Sport-Modus mit einer Art Turbinen-Sound wie schon beim i5. Allerdings hat der iX3 dabei nicht diesen simulierten Gangwechsel-Sound.
Auf einer abgesperrten Rennstrecke konnte man dem iX3 schon mal die Sporen geben, und für ein Fahrzeug dieser Größen- und Gewichtsklasse sind die Fahrleistungen beeindruckend. Vor allem die minimale Seitenneigung ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Wagen ein normales Stahlfahrwerk ohne adaptive Dämpfer hat. Der allerletzte Kick bei der Beschleunigung fehlt noch, aber BMW hat den Wagen mehr auf Reichweite statt auf Beschleunigung optimiert. Man will ja die eigene M-GmbH nicht arbeitslos machen, die mit dem Antriebsstrang der Neuen Klasse noch ganz andere Sachen vorhat.
Verbrauch, Reichweite und Laden
Und wie weit kommt man nun mit dem weißblauen SUV-Geschoss? Mehr als 800 Kilometer Reichweite seien möglich, so das Versprechen der Münchner. Die Aussagen zur Praxisreichweite sind mit etwas Vorsicht zu genießen, denn die ersten Testfahrten fanden in Spanien mit zu dieser Jahreszeit immer noch milden Temperaturen um 20 Grad statt. Auf spanischen Autobahnen ist bei 120 km/h Schluss (der iX3 schafft 210) und bei der Ausfahrt war das Fahrzeug auch nur mit zwei Personen befrachtet. Trotzdem zeigen die erfahrenen Verbrauchswerte (den Rennstrecken-Verbrauch mit drei Vollgas-Runden haben wir dabei herausgerechnet), wie groß der Sprung von der letzten zur aktuellen sechsten Generation von BMWs Elektro-Architektur ist:
- Nach 240 gefahrenen Kilometern waren bei der ersten Testfahrt noch 549 Kilometer übrig. Der BMW iX3 kommt also deutlich weiter als 700 Kilometer und auch die versprochenen 800 km sind möglich. Selbst unter für ein E-Auto „schlechteren“ Bedingungen (Autobahnfahrten über 130 km/h, Winterbetrieb) wird das SUV mindestens 500, eher 600 km weit kommen.
- Unser Durchschnittsverbrauch lag mit 18,3 kWh bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 56,3 km/h zwar über der Werksangabe (15,1 bis 17,9 kWh), aber für ein SUV dieser Größenordnung immer noch in einem sehr guten Bereich.
- Das Herausragende war für uns aber die Rekuperation (Bremsenergierückgewinnung). Die Testfahrt enthielt einige Gebirgspassagen, wo es je zur Hälfte bergauf und wieder bergab ging. Bergauf zieht der Wagen naturgemäß ordentlich Strom aus dem Akku, bergab speist er satt in die Batterie ein – bei unserer Fahrt 22 Kilowattstunden. Der iX3 gewann also mehr als 100 km Extra-Reichweite allein durch Rekuperation. Kein China-Auto, das wir bislang gefahren haben, kann das, schon gar nicht in Verbindung mit vergleichbarer Power und Fahrspaß.
Die Rekuperation war dabei übrigens entweder auf „Niedrig“ oder „Adaptiv“ eingestellt. Dieser Modus funktionierte schon beim Quasi-Vorgänger BMW iX sehr gut und stellt die Stärke der Rekuperation automatisch ein. So kann man den Einsatz von Gas und Bremsen minimieren und das Auto einfach machen lassen.
Der BMW iX3 hat einen 108 Kilowattstunden großen Akku (netto), 800 Volt-Technologie und eine maximale Gleichstrom-Ladeleistung (DC) von 400 kW. Von 10 auf 80 Prozent dauert die Akku-Füllung dann rund 20 Minuten. Ob das in der Praxis immer realisierbar ist, hängt von vielen Faktoren ab, doch in Verbindung mit der Praxisreichweite von 700 Kilometern aufwärts ist so ein Fahrzeug schon sehr nah am Verbrenner und könnte für BMW tatsächlich ein Gamechanger werden.
Wenn das Auto zum Stromspeicher wird
Dazu kommen Optionen, die der Verbrenner nicht hat. An der heimischen Wallbox lädt der iX3 mit maximal 22 kW und beherrscht auch das bidirektionale Laden. Das heißt, dass das Auto als mobiler Stromspeicher dienen und mit einem Extra-Ausgangskabel elektrische Geräte antrieben kann. BMW bietet zudem mit E.ON einen gemeinsamen Stromtarif an. Mit diesem V2G-Laden („Vehicle to Grid“), dessen rechtliche Grundlagen die Bundesregierung gerade gelegt hat, wird der Wagen dann Teil des Stromnetzes und man kann die in Deutschland wegen der Energiewende absurd hohen Stromkosten im Idealfall deutlich drücken. BMW spricht von 720 Euro im Jahr; da bislang noch keine Erfahrungen zum V2G-Betrieb in der Praxis existieren, kann man diese Angabe noch nicht bewerten.
Damit das Auto übrigens während einer Bedarfsphase nicht vom Stromanbieter leergesogen wird, lässt sich einstellen, welche Akkukapazität mindestens im Auto verbleiben muss. Der ganze V2G-Spaß setzt allerdings voraus, dass man das große „Charging Paket“ von BMW als Sonderausstattung bestellt.
Fahrwerk und Fahrverhalten
Ehe wir es vergessen: Ja, die "Freude am Fahren" kommt beim iX3 nicht zu kurz. Die bärige Allrad-Power bringt das Auto jederzeit kontrolliert und mit nahezu null Seitenneigung auf die Straße. Erst als es wirklich auf die Rennstrecke und ans Limit ging, merkte man, dass man eben doch in einem mehr als zwei Tonnen schweren SUV sitzt. Wir hätten die gleiche Strecke für einen direkten Vergleich gern in einem BYD oder XPeng absolviert. Diese China-SUV fahren sich aber schon auf deutschen Autobahnen und Landstraßen irgendwo zwischen "ziemlich gut" und "schwangeres Nilpferd".
Kosten und Ausstattung
Der BMW iX3 50 xDrive ist ab 68.900 Euro zu haben. Dafür bekommt man eins der aktuell Reichweiten-stärksten und schnellsten Elektro-SUV, aber mit all den schicken Extras (M-Paket, großes Charging-Paket, alle Assistenzsysteme etc.) lag zum Beispiel das von uns getestete Modell schon bei rund 85.000 Euro. Eine Menge Holz für ein Familien-SUV und auf dem Level eines Porsche E-Macan. Einen chinesischen XPeng G9, der noch ein bisschen mehr Platz als der BMW bietet, bekommt man mit großem Akku, vergleichbarer Allrad-Power und Vollausstattung schon ab 71.600 Euro. Klar, man muss beim Kauf immer den höheren Wertverlust chinesischer Automarken mit einrechnen. Doch die Zeit, in der die großen X-Boliden von BMW nur Audi oder Mercedes als Gegner hatten, sind definitiv vorbei.
Fazit
Vergleicht man die Premium-Autobauer BMW, Mercedes, Audi und Porsche, haben die Münchner aktuell das überzeugendste E-Modell im Angebot. Reichweite und Verbrauch sind für ein SUV Benchmark. Fahrleistungen und Fahrspaß stimmen auch und wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, entdeckt man schnell die Funktionsvielfalt des neuen BMW-Infotainmentsystems. In den kommenden Jahren wird BMW mehrere Dutzend neuer Elektroautos mit der Technik der Neuen Klasse auf den Markt bringen und die Plattform für verschiedene Strategien anpassen – etwa für die M GmbH.
Allerdings sind die Preise des neuen BMW-Stromers schon abenteuerlich hoch. Und die Konkurrenz von allen Seiten wird immer stärker. Auch könnte es durchaus Kunden geben, für die die Bedienung des neuen Infotainmentsystem ein zu starker Sprung weg vom gewohnten iDrive ist. Das Problem der Münchner ist jedenfalls nicht, ein sehr gutes E-Auto zu bauen, sondern das künftig auch zu wettbewerbsfähigen Konditionen zu tun und noch genügend Gewinn dabei einzufahren. Gebaut wird der neue BMW in Ungarn, wo Energiepreise und Lohnkosten viel attraktiver sind als in Deutschland.
Der Autor reiste auf Einladung des Herstellers
Technische Daten BMW iX3 50 xDrive
- Motor: Zwei E-Motoren an Vorder- und Hinterachse
- Leistung: max. 345 kW / 469 PS
- Max. Drehmoment: 645 Nm
- Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h
- Beschleunigung 0 – 100 km/h: 4,9 Sekunden
- Antrieb: Allradantrieb
- Leergewicht: 2250 kg
- Normverbrauch: 15,1 - 17,9 kWh / 100 km
- Reichweite (Herstellerangabe): max. 805 km
- Preis: ab 68.900 Euro
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