Schweden macht es vor: Warum die Wehrpflicht dort funktioniert – und bei uns scheitern könnte

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Die Bundeswehr hat ein Personalproblem. Eine Lösung bietet Verteidigungsminister Pistorius und will Halbfreiwilligkeit nach dem Schweden-Modell.

Berlin – Am Mittwoch (27. August) billigte das Kabinett ein Gesetzespaket zur Stärkung der Bundeswehr. Es setzt dabei auf verpflichtende Wehrerfassung und Musterung junger Männer, aber auf Freiwilligkeit im Dienst. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bezeichnete den Entwurf zur Einführung eines neuen Wehrdienstes als „Riesenschritt nach vorne“. Wenn der Bundestag zustimmt, soll das Gesetz zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.

Wehrdienst in Deutschland: Fragebogen für Männer ab Jahrgang 2008

Für Männer ab dem Jahrgang 2008 bedeuten die Pläne: Sie müssen vom 1. Januar 2026 an in einem Fragebogen Auskunft geben, ob sie zu einem Wehrdienst fähig und bereit sind. Dies ist Teil der Wehrerfassung. Junge Frauen können die Fragebögen ausfüllen, sind aber nicht dazu verpflichtet. Doch kann damit das Problem der Personalnot bei der Truppe gelöst werden? So mancher ist skeptisch und sieht in der Freiwilligkeit den großen Haken. Vielen scheint der Dienst an der Waffe auch kein attraktives Lebensmodell.

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, beklagte diesbezüglich gegenüber der dpa: „Der Gesetzentwurf ist im Vergleich zur letzten Legislaturperiode zwar eine Verbesserung, greift aber bezogen auf die strategische Herausforderung der Personalgewinnung und -bindung immer noch zu kurz.“ Befürworter verweisen hingegen auf Schweden, wo eine ähnliche Form der Freiwilligkeit seit 2017 praktiziert wird.

Schweden und Deutschland in Sachen Wehrpflicht schlecht zu vergleichen

Das sogenannte Schwedische Modell verpflichtet ab dem Geburtsjahrgang 2000 Männer und Frauen, einen Fragebogen zu Motivation, Fähigkeiten und Interessen auszufüllen. Auf dieser Basis sollen etwa 11.000 Personen zur Musterung geladen werden, um sie einem körperlichen Test zu unterziehen. 2019 wollte Schweden 4000 Rekruten verpflichten, jedoch wurden nur Männer und Frauen eingezogen, die am Dienst an der Waffe interessiert waren. Wären nicht genügend interessiert gewesen, wären demnach auch Leute eingezogen worden, die eigentlich nicht bereit sind. Insofern ist dort Freiwilligkeit im Zweifel an Pflicht gekoppelt.

Hintergrund zum Wehrdienst

Neue Soldatinnen und Soldaten können ihre Dienstzeit flexibel wählen – von sechs bis 23 Monaten. Zunächst erhalten alle eine einheitliche Ausbildung zum Wach- und Sicherungssoldaten und werden zum erweiterten Heimatschutz befähigt. Ab einer Verpflichtungszeit von zwölf Monaten erfolgt weitere Ausbildung, etwa das Training an den bestimmten Waffensystemen.

Wie viel Sold sollen die Freiwilligen bekommen?

Der Sold liegt nach Angaben von Minister Pistorius bei rund 2300 Euro netto im Monat; Unterkunft und Krankenversicherung werden gestellt. Hinzu kommen der Zugang zu Sprachkursen und anderen individuellen Fortbildungsmaßnahmen sowie Zuschüsse zum Erwerb des Führerscheins. Alle Wehrdienstleistenden sollen künftig als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit berufen werden – und erhalten damit mehr Geld als die bisher freiwillig Wehrdienstleistenden.

Die Legal Tribune Online (LTO) hat eine Rechnung aufgestellt und Deutschland an dem Schweden-Modell gemessen. Da hier achtmal soviel Menschen geboren werden, wie im skandinavischen Land, müssten entsprechend 32.000 Rekruten eingezogen werden – aber ob sich tatsächlich so viele Freiwillige finden? Und um zu verpflichten, braucht es zudem eine Gesetzesänderung, die die Aussetzung der Wehrpflicht von 2011 rückgängig macht.

Bundeswehr
Der neue Wehrdienst betrifft auch Tausende Männer. (Symbolbild) © Sina Schuldt/dpa

Schwedenmodell kennt deutsche „Wehrgerechtigkeit“ nicht

Das jedoch ist nicht die größte Hürde, da es sich hier um eine politische Entscheidung handelte. Die LTO führt noch einen anderen Begriff ins Feld, den der Wehrgerechtigkeit. Hintergrund ist ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln von 2004, „das die Wehrpflicht im Rheinland aussetzte, weil weniger als 50 Prozent eines Jahrgangs Wehr- oder Ersatzdienst“ leisteten, wie das Portal erklärt. Es ging um eine Änderung, die keine Männer einberief, die den Musterungsgrad T3 erhielten, über 23 Jahre alt oder verheiratet waren.

Debatte um Wehrdienst: „Erforderlich wären komplizierte wehrpflichtrechtliche Konstruktionen“

Die Gesetzgeber schrieben diese Regeln ins Wehrpflichtgesetz, womit sich zwar die Anzahl der tatsächlich rekrutierbaren jungen Männer verringerte, aber wieder 90 Prozent als Einberufungsgrad vorgewiesen werden konnten. Ein Trick, der vom Bundesverwaltungsgericht als „sachgerechte Neuregelung der Verfügbarkeitskriterien“ bezeichnet wurde, der für die „Wiederherstellung verfassungsgemäßer Zustände“ gesorgt habe, wie die LTO zitiert.

Insofern sind die Voraussetzung in Deutschland verfassungsrechtlich betrachtet andere, da die Einschränkungen jetzt schon vielfältig und einklagbar sind: „Erforderlich wären komplizierte wehrpflichtrechtliche Konstruktionen“ (LTO) oder eine Verfassungsänderung, die eine neue Form der Wehrpflicht juristisch festschreibt.

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