Als Amthor zur Vorrede ansetzt, ist Lanz völlig überrascht: „Was ist denn mit Ihnen los?“
Wohlstandsverlust und „unfeministische“ 40-Stunden-Woche? Bei Markus Lanz überrascht erst Amthor mit seiner Einleitung – dann wird es irritierend.
Hamburg – Faule Generation, Wohlstandsverlust, Rezession? Deutschlands Wirtschaft schwächelt – die Gründe sind vielfältig, ebenso wie die Meinungen dazu. Die besprach auch Markus Lanz in seiner Talkshow in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag mit seinen Gästen, CDU-Politiker Philipp Amthor und Grüne-Jugend-Chefin Katharina Stolla. „Eine Paarung, die es in sich hat“, kündigte der Moderator direkt an. Und er sollte Recht behalten.
Besonders im Fokus des Talks: Die Diskussionen um eine mögliche Vier-Tage-Woche in Deutschland. Stolla etwa hatte dazu bereits vorab geäußert, an der 40-Stunden-Woche festzuhalten, sei „unfeministisch“, eine Arbeitszeitreduzierung sei positiv. Eine mindestens polarisierende Aussage. Wenig überraschend, dass CDU-Mann Amthor, seines Zeichens eher Karriere-Tier, als Arbeitsmuffel, da anderer Meinung ist. Bevor er diese kundtat, setzte der Bundestags-Politiker allerdings zu einer kleinen Vorab-Rede an. Und diese darf man zumindest als überraschend ansehen.
„Was ist denn mit Ihnen los?“ – Lanz wird von Amthors Vorrede völlig überrascht
Amthor, der behauptet, „anstrengungsloser Wohlstand“ sei eine grüne „Traumkategorie“, vertritt da eher die Meinung, die Vier-Tage-Woche schade Deutschland lediglich. Auch Lanz spielt darauf an, dass „dieses Land auf Fleiß aufgebaut“ ist. Amthor bestätigt, dass auch ihn die damaligen Aussagen Stollas zur Vier-Tage-Woche empört hätten. Dann startet er eine Mini-Vorrede. Da er davon ausgehe, dass im Talk noch einige Kontroversen folgen werden, wolle er einen „persönlich-verständnisvollen Satz“ vorausschicken: „Eins muss uns bei all der Diskussion schon klar sein: Das Leben ist auch mehr als nur Arbeit. Arbeit ist ein Mittel zum Zweck für ein gelingendes Leben“. Eine Aussage, die Lanz scheinbar völlig überrascht zu einem „was ist denn mit Ihnen los?“ bringt.
Der CDU-Politiker geht sogar noch weiter, nennt die Gedanken aus persönlicher Sicht gar „verständlich“, dass die Arbeitswelt belastend sein kann. Lanz nimmt den Ball humoristisch auf, will direkt wissen, ob Friedrich Merz wisse, dass Amthor so denkt. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und fragt, ob das schon eine Vorbereitung auf eine schwarz-grüne Koalition werde. Dann kommt das erwartbare „aber“ – und Amthor fällt in gewohnte Muster zurück.
Weniger Arbeit gleich weniger Wohlstand? Bei Lanz nennt Amthor Alternativ-Anreize zur Vier-Tage-Woche
„Zwei Ebenen“ habe die Diskussion nun mal. Persönlich sei Verständnis da. Politisch wie volkswirtschaftlich müsse allerdings klar sein, dass man nicht aus bequemer Haltung agieren könne. Da stehe eben das Wohl Deutschlands im Fokus. Und das Land stehe eben in einem internationalen Standortwettbewerb. Daher Amthors radikale Gegenantwort: „Weniger Arbeit bedeutet für uns weniger Wohlstand“. Große Wünsche an den Staat – Amthor nennt als Beispiele die steigende Anzahl an Sozialleistungen, mehr Fokus auf Bildung und Aufstiegsmöglichkeiten – seien nur umsetzbar, wenn Deutschland wirtschaftlich stark bleibe. Ein Wohlstandsverlust kann sich dieses Land daher aktuell „nicht leisten“, so Amthor.
Eingeständnisse macht er trotzdem, sagt, seine Partei sei durchaus bereit, Vorschläge für mehr Flexibilität innerhalb der Wochenarbeitszeit anzugehen. Auch andere Vorschläge, wie Steuerfreiheit für Überstunden von Vollzeitbeschäftigten oder Aktivrente für Menschen, die im Alter noch dazuverdienen wollen, bringt er an – Beispiele, die bei Grüne-Jugend-Chefin Stolla nur Kopfschütteln auslösen. Beim Thema Mehrarbeit belohnen gehen die Meinungen weit auseinander.
„Unfeministische“ 40-Stunden-Woche: Grüne-Jugend-Chefin polarisiert bei Lanz
Lanz, der erst kürzlich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in die Mangel nahm, bringt ein weiteres Zitat Stollas auf: „Wofür soll ich mich in einem kaputten Land kaputt arbeiten, wenn ich nicht mal die Aussicht auf eine sichere Rente habe?“ Dazu und auch mit Bezug auf Amthor geht die Grüne zuerst einmal auf die Belohnung für Überstunden ein. „Mehr als die Hälfte der Überstunden in Deutschland werden nicht bezahlt“, stellt sie klar. Anstatt „Ideen in den Raum zu werfen“, wie man noch mehr Überstunden attraktiv machen könnte, wünscht sie sich „Vorschläge, die mal eine Idee davon haben, wie man diese Überstunden gescheit ausbezahlt bekommt.“ In Frankreich sei eine derartige Steuerentlastung für Überstunden eingeführt worden, das Arbeitsvolumen sei dennoch nicht gestiegen. Für sie also „ein Vorschlag, der jeglicher Evidenz entbehrt“.
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Kurz darauf wird es erneut irritierend. Dafür sorgt die polarisierende Aussage, eine 40-Stunden-Woche sei „unfeministisch“. Es gebe ein „großes Potenzial, das ungenutzt ist“ auf dem Arbeitsmarkt, erklärt Stolla. Eine aktuelle Vollzeit-Arbeit könnten viele Frauen mit Haushalt und Kindern etwa nicht leisten. Das zu beheben, sei wichtig, um auch den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Lanz hakt irritiert nach. Stolla führt aus, dass „unfassbar viele Frauen“ eben Teilzeit oder gar nicht arbeiten. Wie viele denn „unfassbar viele Frauen“ sind, will der Moderator wissen. Eine Frage, auf die Stolla keine genaue Antwort hat.
Als Grünen-Politikerin Lanz‘ Frage nicht beantwortet, platzt es aus Moderator heraus: „Das muss man doch ungefähr wissen“
„Das muss man doch ungefähr wissen“, platzt es aus Lanz heraus. Stolla kann nur antworten, dass es „insgesamt sechs Millionen Menschen umfasst“ und ein großer Teil davon Frauen seien. „Was die ganz genauen Zahlen sind, können wir gleich nochmal nachlesen, das macht den Braten jetzt auch nicht fett“, tut Stolla gereizt ab – und kassiert ein ungläubig lachendes „ich finde schon“, von Lanz. „Ich bin wirklich baff und erstaunt“, stieg auch Amthor mit ein, dem die „Wünsch-dir-was-Vorstellung sondergleichen“, eine reduzierte Arbeitszeit könne das Fachkräfteproblem in Deutschland lösen, ebenfalls sauer aufstieß.
Auf einen Nenner kommen die Talk-Kontrahenten an diesem Abend kaum. Sie bestätigen aber Lanz‘ Einstiegssatz wunderbar: „Diese Paarung hat es in sich“. (han)