60 Autos rollen stündlich aus dem Bauch der gigantischen Chery-Fabrik im chinesischen Wuhu. Überall schwenken Roboterarme, Sensoren blinken, ein Algorithmus koordiniert alles. 90 Prozent des Prozesses laufen automatisiert. In einer Halle, so groß wie 120 Fußballfelder, steht die Zukunft der Autoindustrie – nur eben diesmal nicht in Wolfsburg oder Stuttgart, sondern 9000 Kilometer weiter östlich.
Autos aus diesem Werk machen sich täglich auf den Weg nach Afrika, Südamerika und seit Kurzem auch nach Europa. Eine Fabrik auf europäischem Standard, digitalisiert, vernetzt, nahezu vollständig automatisiert. Für die deutschen Autobauer, deren Bänder vielerorts langsamer laufen, ist das eine klare Kampfansage.
Chery hat nun Journalisten eingeladen, um die neuen Autos zu testen, die Fabriken zu besichtigen und um den Westen zu zeigen: „Wir kommen“. Was steckt hinter diesem Konzern?
Der Aufstieg des Drachen
Noch vor 20 Jahren spielte China in der globalen Autoindustrie kaum eine Rolle, heute gibt China auf einigen Märkten schon den Ton an. 2005 verließen 5,7 Millionen Fahrzeuge die chinesischen Produktionsbänder, 2024 waren es bereits über 31,4 Millionen – fast 40 Prozent der weltweiten Autoproduktion. Zum Vergleich: Deutschland baute im selben Jahr rund 4,1 Millionen Fahrzeuge.
Während deutsche Hersteller noch mit Lieferketten, Energiepreisen und Bürokratie kämpfen, baut China längst Exportimperien auf. Über 5,8 Millionen Fahrzeuge wurden 2024 aus der Volksrepublik in alle Welt verschifft – ein Anstieg um 19,3 Prozent zum Vorjahr. Marktführer sind Sie vor allem bei „NEVs“ – New Energy Vehicles – also Elektroautos, Hybride und Plug-in-Hybride.
In China selbst verdrängen Marken wie BYD, Geely oder SAIC Motors westliche Hersteller aus ihren angestammten Segmenten. Volkswagen ist nicht mehr Marktführer. Der einst lukrativste Absatzmarkt der Welt entgleitet den Deutschen – während der Drachen weiter aufsteigt.
Chery: Vom Provinzhersteller zum Weltkonzern
Chery spielt dabei eine besondere Rolle, denn im Gegensatz zu BYD, wo man nur noch auf Akku-Autos setzt, bietet Chery alles an - E-Autos, Hybride und ganz normale Verbrenner. Dazu muss man wissen: China hat im Gegensatz zur EU kein Verbrenner-Verbot. Es werden parallel mehrere Antriebsarten nicht nur gebaut, sondern auch neu entwickelt.
Chery wurde 1997 in Wuhu gegründet, beschäftigt heute über 100.000 Mitarbeiter und gilt als größter Autoexporteur Chinas. Der Konzern verkauft in mehr als 80 Ländern, exportierte 2024 über eine Million Fahrzeuge und liegt in der Fortune Global 500 inzwischen auf Rang 233 – Tendenz steigend.
Unter dem Dach des Konzerns tummeln sich zahlreiche Marken: Tiggo und Arrizo für den Massenmarkt, Exeed für Premiumkunden, Jetour und iCar für Familien und urbane Mobilität – und die jüngsten Zugpferde: Omoda und Jaecoo. Beide Marken sollen Chery den Weg nach Europa ebnen, mit der Behauptung: Design, Technik und Reichweite auf deutschem Niveau, aber zu deutlich niedrigeren Preisen.
Frankfurt wird zur Schaltzentrale
Mit der Gründung der Omoda & Jaecoo Deutschland GmbH in Frankfurt am Main hat Chery nun seinen wichtigsten Schritt in Europa vollzogen. Die Gesellschaft, geführt von Xin Wu, übernimmt Vertrieb, Marketing und Kundendienst für beide Marken.
„Autokauf ist eine Frage des Vertrauens“, sagt Wu beim internationalen User Summit im Stammwerk in Wuhu. Dieses Vertrauen wollen sie durch ein klassisches Händlernetz erlangen.
Zum offiziellen Marktstart im Dezember 2025 will das Unternehmen 45 Händlerbetriebe in Deutschland eröffnen, bis 2027 soll sich das Netz auf rund 180 Standorte vervierfachen.
Ersatzteile, Service und Garantie? Auch das ist geregelt. In Rheinland-Pfalz hat Omoda/Jaecoo ein großes Zentrallager eingerichtet, betrieben in Kooperation mit Kühne + Nagel. Laut Hersteller sollen bereits zum Verkaufsstart 96 Prozent aller Ersatzteile vorrätig sein, der Rest innerhalb von 24 Stunden lieferbar. Falls doch einmal ein Teil fehlt, gibt’s laut Omoda einen kostenlosen Ersatzwagen. Dazu kommen sieben Jahre Garantie (bzw. 150.000 Kilometer) auf das Fahrzeug - genau wie bei Kia aus Korea - und acht Jahre bzw. 160.000 Kilometer auf die Batterie - genau wie bei den meisten anderen E-Auto-Herstellern.
Omoda – jung, urban, digital
Der Omoda 5 BEV („Battery Electric Vehicle“ also reines Elektroauto) ist das Aushängeschild der Marke. Mit seiner coupéartigen Silhouette, den schmalen LED-Scheinwerfern und der klaren Linienführung wirkt er wie eine Antwort auf den VW ID.4 – nur etwas mutiger.
Im Innenraum dominiert ein breiter Touchscreen, flankiert von echten Knöpfen für Klima und Lautstärke – eine Wohltat für alle, die sich über die reinen Touchflächen deutscher Premiumhersteller ärgern.
Technisch liegt der Omoda 5 eher im Mittelfeld, davor brauchen VW, Hyundai und Co. jednefallös keine Angst zu haben:
- 58,9 kWh LFP-Batterie, 155 kW Leistung, 430 Kilometer Reichweite (WLTP),
- 0–100 km/h in 7,2 Sekunden, Schnellladezeit (30–80 %) in 32 Minuten.
Der Stromer richtet sich laut den Chinesen an junge Berufstätige zwischen 25 und 35 Jahren, die Wert auf Nachhaltigkeit, Konnektivität und Design legen. Auch das kennt man von vielen anderen Herstellern. Und der Preis? Da wird es spannend: Laut Omoda soll das Einstiegsmodell unter 30.000 Euro kosten, deutlich günstiger als ein VW ID.4 (ab rund 45.000 Euro) oder ein Opel Mokka Electric (ab 37.000 Euro). „Viele Kunden sind frustriert, weil Autos einfach zu teuer geworden sind“, sagt Geschäftsführer Bajram Bekirovski von der Levy Motor Company Rheinland. „Wenn Omoda hält, was es verspricht, wird das ein Hit.“
Jaecoo – der „coole Jäger“
Während Omoda den urbanen Lifestyle bedient, richtet sich Jaecoo an eine reifere Zielgruppe – "35 bis 50 Jahre, Familien, Vielfahrer, Menschen mit Abenteuerlust", heißt es aus Wuhu. Der Markenname kombiniert das deutsche Wort Jäger und das englische Cool – ein Symbol für den Spagat zwischen Offroad-Charakter und Stadtkomfort.
Der Jaecoo 7 Plug-In- Hybrid ist das Flaggschiff:
- "Super-Hybrid-System" mit 150 kW Elektromotor + 105 kW Benzinmotor,
- Rein elektrische Reichweite 90 km, Gesamtreichweite 1200 km,
- 18,3 kWh Batterie, 60 Liter Tank, 0–100 km/h in 8,5 s,
- Verbrauch 0,7 l/100 km, Stromverbrauch 18,7 kWh/100 km (Werksangaben).
Der Innenraum ist großzügig, leise, luxuriös. Ein 14,8-Zoll-Display, Sony-Soundsystem, belüftete Sitze, N95-Luftfiltersystem, 50-Watt-Smartphone-Ladepad. Mit einem voraussichtlichen Preis von rund 38.000 bis 40.000 Euro zielt der Jaecoo 7 direkt auf Konkurrenten wie den Toyota RAV4 Plug-in, Hyundai Tucson PHEV oder VW Tiguan eHybrid.
Aus den Fehlern der Konkurrenz gelernt
Auch wenn Chery durch die jahrzehntelange Erfahrung im Export kein Newcomer ist - in Europa und besonders in Deutschland ist ein Scheitern für die Chinesen immer möglich. Borgward, Aiways, Nio: Sie alle haben den Sprung nach Deutschland versucht. Viele mit technisch starken Fahrzeugen, doch ohne funktionierendes Händlernetz, ohne Ersatzteile, ohne Vertrauen und mitunter auch mit allerlei technischen Problemen. Bislang haben im Wesentlichen zwei Marken relegvante Marktanteile in Europa erobern können - BYD und MG.
Chery kommt später auf den Markt, aber womöglich besser vorbereitet. Drei Punkte sollen den Unterschied machen:
- Ersatzteile & Service:
– Zentrallager in Rheinland-Pfalz, 24h-Lieferung, Ersatzwagen bei Verzögerung. - Vertriebsstrategie:
– 45 Händler zum Start, bis 2027 Vervierfachung geplant. Kein Online-Direktverkauf, sondern klassischer Handel mit Werkstätten. - Zielgruppenverständnis:
– Omoda für die digitale Generation, Jaecoo für Familien und Abenteurer. Beide mit Hybridoption - und damit auf vielen europäischen Märkten besser verkäuflich als reine E-Fahrzeuge.
Nicht alles glänzt bei Chery
Doch auch Chery kämpft mit Startschwierigkeiten. Die Marke hat sich in Europa bereits mehrfach mit Ankündigungen verzettelt, Termine verschoben, Projekte vertagt. Der Einstieg im Dezember wirkt noch etwas planlos und überhetzt, denn das deutsche Team ist auch jung: Der erste Mitarbeiter wurde Mitte 2025 eingestellt. Viele mussten sich in kürzester Zeit in Konzernstrukturen einarbeiten, während die chinesische Zentrale klare, aber kulturfremde Maßstäbe setzt.
Der Konzern muss erstmal zeigen, ob er sich zwischen den beiden Kulturen zurechtfinden kann und dann einen Vertrieb in Deutschland professionell abwickeln kann. Die Marke muss sich außerdem erst einem Namen machen und das ohne Millionen für Werbung zu investieren wie BYD. Selbst der riesige Mutterkonzern Chery ist in Deutschland noch weitestgehend unbekannt.
Der härteste Markt der Welt
Der deutsche Automarkt gilt als einer der anspruchsvollsten überhaupt – wegen der hohen Qualitätsstandards, aber auch wegen der emotionalen Bindung vieler Kunden an „ihre“ Marke. BMW, Mercedes, VW – das sind Traditionsnamen, keine Produkte. Ihre Markenloyalität wird quasi per DNA weitergegeben.
Omoda und Jaecco wollen wo anders punkten: mit Preis, Technologie, Design und Service. Sie wollen die Kunden ansprechen denen Marke egal ist. Sie wollen die Kunden ansprechen, die ein Auto kaufen, das fahren muss und das zu einem günstigen Preis. Dort bieten sie den deutschen Herstellern mehr als nur Konkurrenz.
Ein Angriff mit Ansage
Chery weiß, worauf es sich einlässt. Omoda und Jaecoo kommen nicht, um den Premiumsektor zu erobern – sondern um dort anzugreifen, wo die Deutschen schwächeln: beim Preis-Leistungs-Verhältnis, bei der Verfügbarkeit und beim Service.
Transparenz-Hinweis: Der Autor reiste auf Einladung des Herstellers.
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