Weidel plädiert für Austritt aus der EU: Das ist das „Modell für Deutschland“, das die AfD will

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AfD-Chefin Alice Weidel befürwortet eine Abstimmung über Deutschlands Austritt aus der EU. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, wie verheerend die Folgen wären.

London/Berlin/Brüssel – Wenn die AfD-Vorsitzende Alice Weidel mit ihrem Interview mit der Financial Times für Aufsehen sorgen wollte, dann ist ihr das zumindest gelungen. Im Gespräch mit den britischen Journalisten sprach sie sich nämlich für ein Referendum über den EU-Austritt Deutschlands aus – ein „Dexit“ also. Eine solche Volksabstimmung sollte es nach ihrem Dafürhalten aber nur dann geben, wenn zuvor Versuche, die EU nach den Vorstellungen ihrer Partei zu reformieren, gescheitert seien, sagte Weidel weiter.

Doch allein die Idee eines „Dexit“ ist brandgefährlich. Ein Ausritt aus der EU würde Wohlstand gefährden, darüber sind sich Ökonomen einig. Ein Blick nach Großbritannien und den Folgen des Brexit seit 2020 genügt.

Großbritannien hat sich mit dem Brexit selbst geschadet

2016 hatten bei einem Referendum 52 Prozent der teilnehmenden Briten für den Austritt aus der EU gestimmt, 48 Prozent votierten für den Verbleib. Vollzogen wurde der Austritt Großbritanniens 2020. „Es ist ein Modell für Deutschland, dass man so eine souveräne Entscheidung treffen kann“, wird Weidel von der Financial Times zitiert.

Das „Modell für Deutschland“, das Alice Weidel befürwortet, sieht so aus: Die Kosten durch den Brexit beziffern sich in Großbritannien laut einer aktuellen Analyse von Bloomberg Economics auf 100 Milliarden Pfund (117 Milliarden Euro) pro Jahr. Die Ökonomen schätzten, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) etwa vier Prozent kleiner ausfällt, zudem seien mindestens 370.000 Arbeitskräfte durch den EU-Austritt Großbritanniens verloren gegangen, viele davon im Gesundheitssektor.

Alice Weidel
Fordert eine Reform der EU: Alice Weidel. © Melissa Erichsen/dpa

„Hat das Vereinigte Königreich mit dem Referendum 2016 für einen Akt der wirtschaftlichen Selbstzerstörung gestimmt? Die Beweise legen das aktuell nahe“, schreiben die Ökonomen der Bloomberg-Studie.

Handel, Preise, Investitionen: Die Brexit-Folgen kommen mit voller Wucht an

Und auch andere Berichte und Analysen zeigen immer wieder auf, wie sich Großbritannien mit dem Brexit selbst geschadet hat. Dabei fiel es in den ersten zwei Jahren nach dem Brexit komplizierter aus, als erwartet: Sowohl die Coronapandemie als auch die Energiekrise haben ebenfalls ihre Spuren in der britischen Wirtschaft hinterlassen.

Doch während sich viele vergleichbare Staaten wie die G7 wieder aufrappeln konnte, stimmt das für Großbritannien nicht. „Wir sehen negative Auswirkungen in allen Bereichen, bei Preisen, bei Investitionen, beim Handel, die wir jetzt auf den Brexit zurückführen können. Nicht auf die Pandemie, nicht auf die Energiekrise – das sind eindeutig Brexit-Folgen“, erklärt der Wirtschaftsredakteur Chris Giles in einem Video der Financial Times (FT).

Besonders eindrücklich lässt sich das anhand der Exportzahlen ablesen: Während 2020 der Export überall auf der Welt durch die Pandemie einbrach, hat sich der britische Export aber seitdem nicht wieder auf das Vorkrisenniveau erholt – in vergleichbaren Ländern aber schon. Ein Beispiel aus der Praxis stellt Geschäftsfrau Kiran Tawdey dar, die in einem Kurzfilm der FT zu den Folgen des Brexit für ihren Handel befragt wurde: „In Realität konnten wir zwischen Januar und Juni [2021, Anm. d. Red] nichts in die EU exportieren. Nichts“. Ihre Firma, die Tee verkauft, hatte davor weltweit gehandelt, vor allem aber in die EU. „Bei internationalen Messen kommen EU-Kunden nicht mehr zu britischen Ständen“, berichtet Tawdey weiter. Am Ende habe sie entschieden, ihr Geschäft nach Europa zu verlegen, um Bürokratie und Exportkosten zu senken.

Andere Unternehmen, vor allem kleine Firmen, für die eine Verlegung der Produktion in die EU nicht möglich war, mussten mit einem Abbruch der Handelsbeziehung nach Europa leben.

Dexit wäre für Deutschland „der wirtschaftliche Super-GAU“

Der wirtschaftliche Schaden für Großbritannien ist also enorm – für Deutschland wäre er aber noch größer. „Unsere Verflechtung innerhalb Europas ist so groß, dass ein harter Dexit wirklich sehr, sehr teuer wäre. Das wäre der wirtschaftliche Super-GAU für Deutschland“, sagt der Ökonom Moritz Schularick vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) gegenüber dem Spiegel. Auch Marcel Fratzscher vom Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sagt dem Magazin: „Deutschland ist noch abhängiger von Exporten und der EU als Großbritannien. Deshalb würde ein Dexit Millionen Jobs zerstören und wäre einer der größten Fehler, die man begehen könnte“.

Ohnehin gilt es als unwahrscheinlich, dass Deutschland tatsächlich einen „Dexit“ wagen würde – überhaupt ein Volksentscheid ist hierzulande nicht wahrscheinlich. Um ein solches Referendum überhaupt durchzuführen, müsste es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag geben. In Deutschland sind Volksentscheide auf Bundesebene nämlich im Grundgesetz nicht vorgesehen, außer bei der Neugliederung von Bundesländern. Damit müsste es erstmal eine Änderung des Grundgesetzes geben.

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