Nach Mercedes-Kahlschlag: Autohäuser vom Aussterben bedroht
Mercedes verkauft alle 60 eigenen Filialen und setzt stärker auf Direktvertrieb im Internet – wie Tesla und viele andere Konkurrenten auch. Was das für Kunden und Autohäuser bedeutet.
Stuttgart/München – Die Autowelt steckt voll im Umbruch, nicht nur wegen der Elektromobilität. Auch beim Vertrieb gehen immer mehr Hersteller neue Wege. Mercedes macht dabei jetzt den nächsten Schritt: Der Konzern will alle seine 60 eigenen Filialen in Städten wie München, Berlin oder Hamburg verkaufen. 8000 Mitarbeiter sind dort beschäftigt, über die oft riesigen Niederlassungen wird hierzulande ein Großteil der Fahrzeuge bestellt. Nun will Mercedes seine wichtigsten Autohäuser, die bisher das Rückgrat der Marke sind, loswerden.
Der Kahlschlag im Händlernetz ist Teil einer Verkaufsstrategie, die Mercedes seit Mitte 2023 fährt: dem Direktvertrieb. Statt wie früher Angebote von Händlern zu vergleichen, um Preise zu feilschen und Rabatte herauszuschlagen, sollen Kunden stattdessen direkt im Onlineshop des Herstellers bestellen – und zwar zu einem Festpreis, ohne zusätzlichen Nachlass. Das soll Rabattschlachten verhindern, Vertriebskosten senken und so die Marge des Konzerns aufpolieren.
Mercedes nicht allein: Auch Erzrivale BMW und weitere Konkurrenten schwenken um
Nicht nur Mercedes schwenkt auf diese Strategie um, die der US-Konkurrent Tesla mit nach Europa gebracht hat. Auch BMW, VW, Volvo oder Stellantis mit Marken wie Opel, Citroën, Peugeot oder Fiat haben die Weichen längst in diese Richtung gestellt. Mercedes ist aber schon einen Schritt weiter und hat seine Autohäuser mit den jüngsten Entscheidungen nun doppelt degradiert: Mit dem Schwenk zum Direktvertrieb wurde ihr Handlungsspielraum bereits ab 2023 stark beschnitten. Mit der Ausgliederung aus dem Konzern verschwinden jetzt auch ihre Privilegien als Teil eines Großkonzerns. Die Niederlassungen sollen zwar weitergeführt werden und die Jobs erhalten bleiben. Ob die Angestellten aber unter den neuen Eigentümern weiter nach Tarif bezahlt werden, ist zum Beispiel unklar.
Auch an Bedeutung büßen die Häuser ein. Sie sollen die Marke weiter vertreten, Reparaturen tätigen und auch Autos gegen eine Prämie verkaufen und ausliefern. Das jedoch quasi als Subunternehmer zu Konzernbedingungen – wie bei Franchise-Firmen wie McDonald’s oder Starbucks. Für die Händler ist das „ein Schlag ins Gesicht“, sagte der Betriebsratschef von Mercedes, der auch für die Niederlassungen zuständig ist, nach der Entscheidung. Die Autohäuser des Konzerns hätten seit Jahren immer wieder Zugeständnisse gemacht, damit das Unternehmen insgesamt profitabel ist.
Autohäuser im Stimmungstief
Es rumort also – und das nicht nur bei Mercedes. Laut einer Umfrage des Instituts für Automobilwirtschaft in Nürtingen ist die Stimmung unter deutschen Autohäusern schlecht wie nie, was unter anderem an der Veränderung bei den Vertriebswegen liege. „Viele Hersteller dünnen ihr Vertriebsnetz im Zuge der Umstellung auf Direktvertrieb aus, um Kosten zu sparen“, weiß Branchenexperte und Berater Sascha Röwekamp, der selbst viele Jahre in der Geschäftsleitung bei einem der größten deutschen Mercedes-Benz-Händler war. „Nach Bäcker, Metzger oder Schuhgeschäft könnte besonders auf dem Land bald das Autohaus im Nachbardorf verschwinden.“ Viele Autobauer haben bereits angekündigt, Verkaufsflächen zu reduzieren, auch Mercedes.
Doch was bedeutet das für Kunden? „Bei Mercedes ändert sich für sie zunächst wenig“, erklärt Röwekamp. Das liege zum einen daran, dass die Festpreise dort schon seit der Umstellung auf das Agenturmodell vor einem halben Jahr gelten. Ob das die Autos teurer oder günstiger gemacht habe, könne man bisher noch nicht richtig beurteilen. „Da spielen zu viele Einflussfaktoren mit, etwa die Inflation, die Lage am Automarkt, die Konjunktur oder die Finanzierungsbedingungen“, erklärt der Experte. Immerhin seien die Preise jetzt transparent „und es gewinnt nicht mehr der, der am härtesten feilscht“. Zum anderen können die Kunden weiter in die Filialen kommen und dort ihr Fahrzeug bestellen. Das werde auch so bleiben, trotz Direktvertrieb und Konzernausgliederung. Denn: „In der Realität kaufen aktuell sehr wenige Kunden einen Mercedes für 100 000 Euro und mehr von der Couch aus, ohne eine persönliche Beratung oder ihn einmal gefahren zu sein“, sagt Röwekamp. Ganz aussterben wird das Autohaus also wohl doch nicht.