Ich spüre hautnah, wie es um unsere Branche bestellt ist. Was Verbände und Medien berichten, zeigt sich jeden Tag in meinem Arbeitsalltag: Der deutsche Busverkehr steht unter massivem Druck und die Situation wird nicht einfacher.
1. Der Bedarf ist real und er wächst rasant
Die Zahlen sind alarmierend, aber für uns im Berufsalltag sind sie mehr als Statistik: Laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) fehlen bundesweit rund 20.000 Busfahrerinnen und Busfahrer, zusätzlich etwa 3000 Triebfahrzeugführer.
Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) spricht von 7700 unbesetzten Stellen allein im Linien- und Reiseverkehr. Experten prognostizieren, dass bis 2030 bis zu 87.000 Fahrer fehlen könnten, wenn Ausbildung und Arbeitsbedingungen nicht verbessert werden.
Für uns Fahrer bedeutet das: Bereits heute fahren wir oft am Limit. Schichten werden verlängert, Dienste zusammengelegt, Fahrten gestrichen. Morgens im Depot zu erfahren, dass eine Tour ausfällt oder verschoben wird, ist keine Ausnahme, sondern fast schon Normalität. Das wirkt sich direkt auf unsere Arbeit aus und auf die Menschen, die auf den ÖPNV angewiesen sind.
2. Ursachen des Fahrermangels: "Meine Perspektive aus erster Hand"
Viele Ursachen, die Verbände und Medien nennen, sehe ich täglich: Altersstruktur und fehlender Nachwuchs. Ein Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen ist über 50 Jahre alt. Sie sind erfahren, zuverlässig, aber die meisten stehen kurz vor dem Ruhestand. Nachwuchs fehlt.
Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für den Beruf, trotz steigender Nachfrage. Das liegt nicht nur am Beruf selbst, sondern auch an mangelnder Sichtbarkeit und fehlender Berufsorientierung.
Die Qualifikation in Deutschland ist im EU-Vergleich aufwendig: Neben dem Busführerschein sind zahlreiche Pflichtmodule zur Fahrgast- und Berufskraftfahrerqualifikation vorgeschrieben. Viele Interessenten brechen deshalb ab. Die Kosten sind hoch, die bürokratischen Hürden groß. In anderen europäischen Ländern geht es schneller und günstiger.
Corona hat die Lage verschärft. Viele Kolleginnen und Kollegen haben die Branche verlassen, teils dauerhaft. Gründe sind Schichtdienste, hohe Belastung, stagnierende Löhne und steigende Aggressionen im Fahrgastkontakt. Wer einmal gegangen ist, kommt oft nicht zurück.
Diese Faktoren zusammen erklären, warum wir heute eine spürbare Lücke haben, die sich in den kommenden Jahren dramatisch vergrößern wird.
3. Die Folgen für Fahrgäste und den ÖPNV:
Die Auswirkungen des Fahrermangels sind bereits jetzt sichtbar: Weniger Fahrten, längere Wartezeiten. Linien fallen aus, Takte werden reduziert, gerade im ländlichen Raum. Viele Fahrgäste sind frustriert, manche steigen um auf das Auto und verstärken damit die Probleme der Verkehrswende.
Steigender Druck auf uns Fahrer: Weniger Kolleginnen und Kollegen bedeuten mehr Verantwortung und Überstunden. Psychischer und körperlicher Druck steigen, die Belastung im Fahralltag wird größer. Wer ständig Mehrarbeit leisten muss, läuft Gefahr, auszubrennen.
Gefahr für die Verkehrswende: Politik und Gesellschaft setzen auf den ÖPNV als nachhaltige Mobilitätslösung. In der Praxis kämpfen wir darum, den Betrieb überhaupt aufrechtzuerhalten. Wenn die Personallücken nicht schnell geschlossen werden, werden geplante Ausbauprojekte, dichtere Takte und bessere Anbindungen schlicht unerreichbar.
4. Forderungen aus der Branche, was wir Fahrer brauchen:
Die Forderungen des BDO und VDV decken sich mit dem, was wir Fahrer täglich erleben:
Das vorgeschlagene „2-in-1-Modell“: Führerschein und Fahrgastbeförderungsqualifikation kombiniert, schneller und weniger bürokratisch, wäre ein echter Durchbruch. Es würde es jungen Menschen und Quereinsteigern erleichtern, in den Beruf zu kommen.
Bessere Arbeitsbedingungen: Geregelte Schichten, verlässliche Pausen, angemessene Bezahlung und mehr Wertschätzung sind entscheidend, um neue Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen und langjährige Mitarbeiter zu halten.
Die hohen Ausbildungskosten müssen reduziert werden. Zusätzlich brauchen wir gezielte Kampagnen, um den Beruf wieder attraktiv zu machen.
Viele junge Menschen wissen gar nicht, welche Perspektiven der Job bietet: sichere Anstellung, Entwicklungsmöglichkeiten, gesellschaftlich relevante Arbeit.
5. Chancen und Risiken für Neueinsteiger:
Für junge Menschen oder Quereinsteiger bietet die Branche derzeit hervorragende Perspektiven: Wer die Ausbildung erfolgreich durchläuft, hat nahezu garantierte Jobchancen.
Vorteile: sichere berufliche Perspektive, abwechslungsreiche Tätigkeit, sinnvolle Arbeit mit gesellschaftlicher Relevanz.
Risiken: Wenn sich Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Bezahlung nicht spürbar verbessern, drohen massive Einschränkungen im ÖPNV. Fahrgäste verlieren Vertrauen, der Beruf verliert Attraktivität und der Personalmangel verschärft sich weiter.
6. Fazit aus Fahrersicht
Ich erlebe jeden Tag, wie der Fachkräftemangel den Betrieb erschwert. Ohne Reformen bei Ausbildung und Arbeitsbedingungen wird der ÖPNV seine Versprechen: Ausbau, Takte, Mobilität für alle nicht halten können.
Noch ist Zeit zu handeln. Doch wir brauchen echte Veränderungen jetzt, nicht irgendwann. Für uns Fahrer, für die Fahrgäste, für die Verkehrswende.
Martin Binias, bekannt als „Herr Busfahrer“, ist Influencer und aktiver Busfahrer. Mit Humor und Reichweite macht er den ÖPNV nahbar, schafft Verständnis für den Berufsalltag und wurde mehrfach ausgezeichnet. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.