Wie könnte Irans Angriff auf Israel aussehen? Zwei mögliche Szenarien
Nach dem Tod zweier Verbündeter Irans wird ein rascher Vergeltungsschlag gegen Israel erwartet. Diese Szenarios halten Fachleute für möglich.
Tel Aviv – Im Konflikt zwischen Israel und dem Iran scheint eine erneute Eskalation unmittelbar bevorzustehen. Die theokratische Republik zwischen Persischem Golf und Kaspischem Meer macht Israel für die Tode des Hisbollah-Führers Fuad Schukr in Beirut und des Hamas-Politbüro-Chefs Ismail Hanija in Teheran verantwortlich und kündigte bereits Vergeltung an. Ajatollah Ali Chamenei, oberster Führer des Irans, bekräftigte hinsichtlich Hanijas auf seiner Webseite, es werde „eine harte Bestrafung geben“, weil Israel „unseren Gast in unserem Haus ermordet“ habe.
Auch General Hussein Salami, der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), drohte Israel auf dem Webportal der IRGC „mit dem heiligen Zorn der Widerstandsgruppen“. Dieser „Zorn“ könnte schon bald über den jüdischen Staat kommen: US-Außenminister Blinken teilte laut dem Nachrichtenportal Axios seinen G7-Außenminister-Kollegen am 4. August mit, dass Amerika mit einem iranischen Angriff auf Israel innerhalb der nächsten 24 bis 48 Stunden rechne. Der Iran veröffentlichte der Jerusalem Post zufolge bereits eine Warnung für den eigenen Luftraum. Darüber, wie der Vergeltungsschlag aussehen wird, sind sich Fachleute allerdings uneinig.

USA erwarten baldigen Vergeltungsschlag Irans gegen Israel
Es gibt aktuell einige Parallelen zur Lage in der ersten April-Hälfte, als ein mutmaßlich israelischer Militärschlag auf den iranischen Botschaftskomplex in Damaskus 16 Menschenleben gefordert hatte, darunter die zweier Generäle der IRGC. Es folgte der erste direkte Angriff des Iran auf Israel mit etwa 350 Drohnen und Raketen. Bisher hatten die beiden Nahost-Mächte einen Stellvertreter-Krieg geführt.
Wie damals scheint der Iran auch jetzt seine Absichten im Vorhinein kommuniziert zu haben: Der israelische Außenminister Israel Katz sagte der Jerusalem Post zufolge, dass Teheran über den ungarischen Außenminister Péter Szijjártó mitgeteilt habe, „dass er Israel angreifen will.“
Das mag daran liegen, dass beide Kontrahenten eigentlich keinen großen Regionalkrieg wollen; das bekräftigen sie wenigstens ständig. Dennoch suche der Iran diesmal einen Weg, „Israel tatsächliche, reale Kosten aufzuerlegen, um Israel zu zwingen, damit aufzuhören, Ziele der Hisbollah auszuschalten oder Dinge wie die Ausschaltung von Haniyeh in Teheran zu tun“, sagte der Außenpolitik-Experte Jonathan Ruhe vom Jüdischen Institut für Nationale Sicherheit von Amerika gegenüber NatSec Daily.
Szenario 1: Kombinierter Drohnen- und Raketenangriff von iranischem Boden aus
Der pensionierte US-Konteradmiral Mark Montgomery, ehemals politischer Direktor des Senatsausschusses für die Streitkräfte, bezeichnete es deswegen gegenüber der US-Zeitung Politico als unwahrscheinlich, dass der Iran die gleiche Art von Angriff wie im April wiederholen werde. Einem Bericht der New York Times zufolge erwägt die iranische Führung erneut einen solchen kombinierten Drohnen- und Raketenangriff auf militärische Einrichtungen in der Nähe von Tel Aviv und Haifa.
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Allerdings wurden damals 99 Prozent der anfliegenden Geschosse abgefangen. Die Masse der Drohnen sei „von der US-Luftwaffe und anderen Nationen ziemlich stark ausgedünnt“ worden, bevor Israel selbst die verbliebenen Flugkörper im Luftraum von Jordanien abgeschossen habe, so Montgomery. Daher kann er sich Schläge gegen israelische Ziele von iranischem Territorium aus eher unter Verwendung von schnelleren und präziseren ballistischen Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern vorstellen.
Zur Vorbereitung auf ein solches Szenario beorderten die USA die Flugzeugträger-Gruppe USS Abraham Lincoln, zusätzliche zur Raketenabwehr ausgerüstete Marineschiffe sowie ein weiteres Kampfjet-Geschwader in den Nahen Osten. Doch diesmal könnte die Militärkoalition der Verteidiger Israels bröckeln: Ägypten, das im April Unterstützung bei der Abwehr des iranischen Angriffs geleistet hatte, kündigte laut dem pan-arabischen Medium al-Araby al-Jadeed an, dafür nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
Szenario 2: Raketen-Sperrfeuer pro-iranischer Milizen aus den Nachbarländern
Außenpolitikexperte Ruhe hält es im Rahmen eines zweiten Vergeltungs-Szenarios für möglich, dass hauptsächlich Raketen von pro-iranischen Stellvertreter-Milizen im Libanon, in Syrien und im Irak abgefeuert werden, der sogenannten „Achse des Widerstands“, um dem israelischen Militär und seinen Verbündeten weniger Zeit zu geben, die Projektile abzuschießen. Ein solcher Angriff, so Ruhe weiter, wäre darauf ausgelegt, die israelische Verteidigung zu überwältigen.
In diese Richtung zielte wohl auch IRGC-Kommandeur Salami, als er vom „heiligen Zorn der Widerstandsgruppen“ sprach. Die größte Bedrohung dürfte in einem solchen Fall die libanesische Hisbollah darstellen. Eine Analyse des Center for Strategic and International Studies kam im März 2024 zu dem Schluss, dass die Terror-Miliz über mindestens 120.000 Raketen jeglicher Art sowie etwa 30.000 aktive Kämpfer und um die 20.000 Reservisten verfüge. „Weil sie einen Kampf mit allen angezettelt haben, wissen sie nicht, woher die Antwort kommen wird“, warnte Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah laut CNN am Donnerstag.
Israelische Führung diskutiert Bereitschaft, „in einen allumfassenden Krieg einzutreten“
Irans Vertreter bei den Vereinten Nationen kündigte am Samstag an, die Hisbollah werde Israel auch „in der Tiefe“ angreifen und sich „nicht auf militärische Ziele beschränken“. Von den Huthi-Rebellen im Jemen kamen ähnliche Töne. Sie deuteten dem Magazin Newsweek zufolge an, dass die Reaktion deutlich stärker ausfallen werde als im April: „Wir neigen in dieser Zeit dazu, wenig zu reden und viel zu handeln“, so ihr stellvertretender Informationsminister Nasreddin Amer.
Israels Sicherheitskräfte rechneten selbst damit, dass der Vergeltungsschlag „über mehrere Fronten“ gleichzeitig erfolgen werde, so der israelische Fernsehsender Channel 12. Mögliche Antworten, die aktuell von der israelischen Führung diskutiert würden, schlössen auch „die Bereitschaft, in diesem Zusammenhang in einen allumfassenden Krieg einzutreten“ mit ein, hieß es bei Channel 12 weiter. (Michael Kister)