Posse um Entsendung von Bodentruppen: Macron wollte Scholz wohl zu härterem Ukraine-Kurs drängen

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Der französische Präsident Macron wollte Bundeskanzler Scholz vor seinem jüngsten Vorstoß im Ukraine-Krieg laut Berichten zu einem Kurswechsel bewegen – ohne Erfolg.

Paris – Als der französische Präsident Emmanuel Macron Ende Februar den künftigen Einsatz Nato-Bodentruppen in der Ukraine nicht ausschließen wollte, sorgte das für große Aufregung. Sein Vorstoß nach einer Ukraine-Hilfskonferenz in Paris bedeutete einen einschneidenden Politikwechsel Frankreichs im Krieg in der Ukraine und stieß auch die Verbündeten vor den Kopf. Die hatten beim Pariser Gipfel vorher schließlich ausführlich über die westliche Strategie diskutiert – und offenbar ganz andere Ansichten als Macron.

So betonten mehrere Nato-Staaten sogleich, dass eine Entsendung von Bodentruppen für sie nicht infrage komme, und auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte klar: „Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden. Die Nato ist – und wird – keine Kriegspartei. Dabei bleibt es“, schrieb er bei X.

Innereuropäisches Gerangel: Macron sieht laut Insidern die Rollenaufteilung an der Spitze Europas gefährdet.
Haben derzeit offenbar andere Ansichten in der Frage der westlichen Strategie im Ukraine-Krieg: Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz. © Michael Kappeler/dpa

Macron wollte laut Bericht Scholz und Biden von Kurswechsel in Ukraine-Krieg überzeugen

Mit seiner Aussage habe Macron die militärische Einheit Europas gespalten und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Vorteil verschafft, mahnte später auch ein hochrangiger US-Beamter: Putin wisse nun, wo die Grenzen der NATO lägen, lautete der Vorwurf aus den USA. Sollte die Kritik zutreffen, könnte Macron genau das Gegenteil von dem erreicht haben, was er ursprünglich geplant hatte. Wie das Wall Street Journal am Mittwoch (3. April) berichtete, wollte der französische Präsident Russland über ebenjene „roten Linien“ des Westens künftig nämlich eigentlich im Unklaren lassen und schlug einen entsprechenden Strategiewechsel US-Präsident Joe Biden sowie Scholz vor.

In „vertraulichen Gesprächen“ mit den beiden Verbündeten habe Macron den Grundstein für einen Gipfel legen wollen, der die Strategie der westlichen Staaten im Ukraine-Krieg auf den Kopf gestellt hätte. Die Verbündeten sollten die Grenzen des westlichen Engagements nicht mehr öffentlich festlegen, sondern stattdessen eine Position der Zweideutigkeit gegenüber Russland einnehmen, die „alle Optionen auf dem Tisch“ lassen würde, schreibt das Magazin mit Verweis auf Offizielle.

Biden und Scholz sollen Vorschlag von Macron über Umgang mit Russland abgelehnt haben

Erfolg hatte Macron laut Wall Street Journal nicht. Biden soll eine mögliche Eskalation des Konflikts befürchtet haben und auch Scholz habe die Idee angelehnt. Er soll vor einer Spaltung der Verbündeten gewarnt haben. Der französische Vorschlag riskiere, die NATO-Länder zu Konfliktparteien zu machen, habe der Bundeskanzler gesagt.

Macron war dabei nicht der Erste, der den deutschen Regierungschef zu einem entschlosseneren Auftreten gegenüber Russland aufgefordert hat. Immer wieder muss Scholz sich seit Beginn des Krieges rechtfertigen. Ob Kritik vom amerikanischen Bündnispartner für die lange Diskussion vor der Lieferung der Leopard-Panzer, hitzige Debatten über die deutsch-schwedischen „Taurus“-Marschflugkörper im Bundestag oder jüngst ein Historiker-Brandbrief, in dem mehr Härte gegen Putin gefordert wurde – vielen Menschen handelt der Kanzler zu zögerlich.

Macron änderte Position im Laufe des Krieges

Das galt ursprünglich auch für Macron. Er war der letzte westliche Staatschef, der in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn einen direkten Kontakt mit Putin hatte, und präsentierte sich als Vermittler im Konflikt. Regelmäßig telefonierte Macron im Wechsel mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Das half ihm bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich, führte in Europa aber auch zu viel Kritik. Ob er denn auch mit Hitler oder Stalin verhandeln würde, teilte etwa der damalige polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki gegen Macron aus.

Wie das Wall Street Journal aufzeigt, wandelte sich die Position Macrons jedoch im Laufe des Krieges. Er sei einer der ersten Befürworter eines möglichen Beitritts der Ukraine in die EU und zur NATO gewesen, habe im Mittelpunkt einiger diplomatischer Bemühungen um zusätzliche Militärhilfe für die Ukraine gestanden und Großbritannien bei der Entsendung von Marschflugkörpern unterstützt. Und nachdem Frankreich in den ersten beiden Kriegsjahren deutlich weniger Militärhilfe (635 Millionen Euro laut Kiel Institut für Weltwirtschaft) als Deutschland (17,7 Milliarden Euro) oder die USA (42,2 Milliarden Euro) an die Ukraine gezahlt habe, unterzeichnete das Land schließlich ein bilaterales Sicherheitsabkommen. Demnach habe Paris zusätzliche Militärhilfe in Höhe von 3 Milliarden Euro zugesagt.

Das Wall Street Journal sieht darin eine Metamorphose Macrons von einer der „ersten Tauben des Krieges“ zum „führenden Falken“. Mit „düsterer Rhetorik“ bereite er die Franzosen auf die Möglichkeit einer direkteren Konfrontation mit Russland vor. Die europäische Strategie, eine Eskalation zu vermeiden und öffentlich „rote Linien“ festzulegen, sei für Macron nach hinten losgegangen. Seit dem Fall der ukrainischen Stadt Awdijiwka läuteten in Paris die Alarmglocken.

Andere Staaten lehnen Macrons Vorschlag alle Optionen offenzuhalten ab

Die westlichen Hauptstädte sollten aufhören, militärische Optionen auszuschließen, habe Macron zu Scholz und Biden gesagt – ohne Erfolg. Der Kanzler und die anderen Staats- und Regierungschefs müssten das ablehnen, kündigte Scholz laut Wall Street Journal an und riet Macron dringend davon ab, den Vorschlag auf dem Pariser Gipfel vorzustellen.

Macron tat es dennoch und traf größtenteils auf Ablehnung der Vertreter der 19 anderen teilnehmenden Staaten. Während diese sich nach dem Ende des Gipfels in ihre Hotelzimmer begaben, habe sich Macron dann vor die Presse gestellt und erklärt, dass man in der Frage einer möglichen Truppenentsendung uneinig sei, er dies aber nicht ausschließen wolle.

Scholz habe laut Beteiligten in seinem Hotelzimmer ungläubig darauf reagiert. Das hat laut Bericht auch mit der Wortwahl Macrons zu tun. „Viele Leute, die heute sagen: ‚Nie, nie‘, waren dieselben, die vor zwei Jahren sagten: ‚Nie, nie Panzer, nie Flugzeuge, nie Langstreckenraketen‘. Ich erinnere Sie daran, dass vor zwei Jahren viele an diesem Tisch sagten: ‚Wir werden Schlafsäcke und Helme anbieten‘“, zitiert das Magazin Macron.

Diese eindeutige Anspielung auf die damals stark kritisierte Helmlieferung der Bundesregierung Anfang 2022 habe Scholz gestört. Er antwortete mit einem Post in den sozialen Medien. „Wir sind uns gestern in Paris einig gewesen, dass alle mehr für die Ukraine tun müssen. Sie braucht Waffen, Munition und Luftverteidigung. Daran arbeiten wir. Klar ist: Es wird keine Bodentruppen europäischer Staaten oder der NATO geben. Das gilt“, schrieb Scholz.

Bericht: Russland plant laut Memo Kampagne gegen Macron

Wenngleich sich andere Regierungschef ebenso äußerten, begann diese Ablehnung des Vorschlags von Macron allerdings etwas zu bröckeln. So lehnte der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski Truppen seines Landes in der Ukraine zwar jüngst ab, begrüßte zugleich aber auch den Ansatz des französischen Präsidenten, dies nicht auszuschließen. Und auch Kęstutis Budrys, leitender nationaler Sicherheitsberater des litauischen Präsidenten, habe in einem Interview gesagt, dass er Macrons Vorstoß unterstütze, militärische Optionen auf dem Tisch zu lassen, schreibt das Wall Street Journal. Durch die öffentliche Festlegung roter Linien hätten die Verbündeten Moskau nun wichtige strategische Informationen signalisiert.

Die Spaltung mache sich der Kreml nun zunutze, heißt es im Bericht. Laut einem internen Memo, das das Wall Street Journal eingesehen habe, plane Moskau eine diplomatische Kontakt- und Einflusskampagne zu starten, um die Kluft über Macrons Haltung zu verstärken und die öffentliche Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Die Kampagne ziele darauf ab, Macron als Abenteurer darzustellen, der eine militärische Konfrontation zwischen dem Westen und Russland auslösen könnte. (Florian Neuroth)

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