Nachruf auf Franz Beckenbauer: Wie schön er spielte, wie herrlich er wütete
Franz Beckenbauer ist im Alter von 78 Jahren verstorben. Mit ihm geht ein ganz Großer, sowohl auf als auch neben dem Fußballplatz.
München – Als er ganz oben war, traf Franz Beckenbauer auch mit Leuten zusammen, die die größten Unternehmen Deutschlands leiten. Wie mit Henning Schulte-Noelle, dem wichtigsten Mann bei der Allianz AG als Vorstands- und später Aufsichtsratsvorsitzender.
Franz Beckenbauer | |
---|---|
Geboren: | 11. September 1945 (München) |
Spiele für den FC Bayern (Tore): | 582 (74) |
Spiele für den DFB (Tore): | 103 (14) |
Beckenbauer: Einer der berühmtesten Deutschen
Man plauschte – naheliegend – über Fußball, doch zwischen den beiden Männern gab es noch ein anderes verbindendes Element: die Firma eben, die Allianz. Franz Beckenbauer war, bevor er in seine große sportliche Karriere einstieg, beim Münchner Versicherungskonzern Lehrling gewesen. Jahrzehnte später sagte er zu Schulte-Noelle in dessen Büro kokett: „Sie haben Glück gehabt, dass ich von der Allianz weggegangen bin, denn sonst würde ich jetzt hier auf ihrem Platz sitzen.“ Der Herr Schulte-Noelle, so erzählte es Beckenbauer im Jahr 2009, als er die Präsidentschaft des FC Bayern an Uli Hoeneß übergab, habe „etwas gequält gelächelt“.
Doch einen Franz Beckenbauer lässt man gewähren und eben reden. Zumindest war es damals so. Gab es einen berühmteren Deutschen als ihn? Papst Benedikt, den vielleicht. Aber ganz sicher war Beckenbauer die deutsche Weltmarke. Ein Mann, der auch für die Geschichte der Bundesrepublik stand. Des Nachkriegs-Deutschland. Passenderweise war er am 11. September 1945 geboren worden.
Weltmeister als Spieler und als Trainer – Beckenbauer war der zweite
Er erlebte und bestimmte Geschichte mit. Als Bub lief er im Juni 1954 zum Münchner Hauptbahnhof, wo die Fußballweltmeister-Mannschaft von Bern im Sonderzug ankam. 1974 war er selbst Weltmeister, Kapitän eines Teams, das beim WM-Turnier im eigenen Land dem Erwartungsdruck standgehalten hatte.
Der nächste Welttitel war ebenfalls ein Beckenbauer-Werk. Nun das des Trainers, der sich Teamchef nannte – eine neue Bezeichnung, so wie er als Spieler nicht mehr ein biederer Ausputzer (letzter Abwehrspieler), sondern der erste Libero gewesen war, ein Freigeist, der die gewöhnlichen Aufgaben delegierte. 1990 spazierte Franz Beckenbauer, 44-jährig, immer noch mit seinem Jungengesicht, aber schon lichtem Haar über den Rasen des Olympiastadions von Rom. Alle feierten den Endspielsieg gegen Argentinien. Ließen sich gehen, Franz Beckenbauer zog sich im Trubel zurück. Nun sahen die Menschen in ihm auch noch den Philosophen. Spätestens da war die Überhöhung des Fußball-Kaisers nicht mehr aufzuhalten.
Beckenbauer holt die WM 2006 nach Deutschland
Was konnte noch kommen, wenn man die Sehnsüchte eines Landes in zwei Funktionen und auf zwei Wegen erfüllt hat? Es war noch nicht vorbei, Franz Beckenbauer legte ein weiteres Mal los. Eine Weltmeisterschaft auszurichten, so der Plan, würde die Republik voranbringen: wirtschaftlich, gesellschaftlich. Sein Vermächtnis. Das WM-Turnier 2006 kam also nach Deutschland, Franz Beckenbauer, der Vorsitzende des Organisationskomitees, richtete sogar noch das Wetter („Sommermärchen“) und flog im Helikopter von Stadion zu Stadion. Zwischen Vorrunde und Achtelfinale brachte er noch seine dritte Hochzeit unter.
Meine news
Nach 2006 müsste die Geschichte ausklingen, in einen Ruhestand, in dem er den Namen nachwirken lässt und es wegschmunzelt, dass die Deutschen sich lustig machen über seine kommerzielle Dauerpräsenz. Ein paar Jahre ging die Geschichte auch so, im Herbst 2015 drehte sie sich, kurz nach seinem 70. Geburtstag, zu dem noch die üblichen Elogen geschrieben worden waren: Wie elegant er gekickt hatte, wie unfassbar fleißig er als Trainer tatsächlich gewesen war hinter der Fassade der Lässigkeit, wie unwiderstehlich er netzwerken konnte: Im Juli 2000, als man in Zürich final um das WM-2006-Austragungsvotum des FIFA-Exekutivkomitees warb, stand bei der Präsentation Beckenbauer vorne und sprach zu den Entscheidern. Hinter ihm, daumendrückend und Staffagen ohne Textbeitrag: die schöne Claudia Schiffer (Model) und der mächtige Gerhard Schröder (Bundeskanzler). Ein Fußballmann war Deutschlands Nummer eins.
Beckenbauer und die Zahlung rund um die WM 2006
Dann 2015 die Enthüllungen, die Zweifel an Beckenbauers Integrität. Es entstand ein verändertes Bild. Das eines Mannes, der vorgab, unabhängig zu sein und alles ohne Entlohnung zu tun, weil er von seinem Glück einfach abgeben wollte, stimmte nicht – er hielt die Hand auf, Sponsoren, die mit der WM warben, mussten auch ihn bezahlen. Zudem: Rund um die WM 2006 liefen dubiose Geldströme über seine Konten, 6,7 Millionen Euro flossen an den katarischen Strippenzieher Mohamed Bin-Hamamm. Auf Dokumenten stand Beckenbauers Unterschrift. Er gab sich ahnungslos, er franzelte: Ja mei, wenn er alles durchgelesen hätte vor dem Unterzeichnen, dann würde er immer noch im Büro sitzen.
Die Vorgänge sind kompliziert, der Untersuchungsbericht, den der DFB von einer Rechtsanwaltskanzlei erstellen ließ, ist ein Wälzer; immer wieder muss man sich in die Materie einlesen. Viele Deutsche reagierten gleichgültig auf das, was sie erfuhren, sie argumentieren: Sind 6,7 Millionen nicht ein verdammt guter Preis gewesen, wenn man dafür die WM bekommen habe? Sie hat dem ganzen Land doch so viel gegeben ...
Der Kaiser entzieht sich mehr und mehr der Öffentlichkeit
Um Beckenbauer wurde eine Verteidigungslinie gezogen, doch man konnte auch spüren, wie ihm die Energie entwich. Kurz zuvor war Stefan gestorben, sein drittes Kind von fünfen, der begabteste Fußballer unter seinem Nachwuchs, auch Bundesligaprofi (Saarbrücken) gewesen. Franz Beckenbauer trat den allmählichen Rückzug an: Werbeverträge liefen aus, den jährlichen Debattierclub „Camp Beckenbauer“ im Tiroler Stanglwirt gab es nicht mehr, keine Bild-Kolumne, keine Auftritte bei Sky. Er saß in seinem Haus in Salzburg, draußen standen TV-Teams und Reporter, als die WM-Affäre ihre heftigsten Tage erlebte. Beckenbauer ließ über Anwälte Unterlassungserklärungen verschicken an Redaktionen, die kenntlich gemacht hatten, wo in Salzburg er wohne.
Früher hatte er noch selbst seine Adresse im Fernsehen verraten („In Going am Kaiserweg“), und was geschrieben wurde, verärgerte ihn manchmal, es entstand aber niemals nachhaltiger Groll (außer vielleicht bei der „Spiegel“-Geschichte „Der Firlefranz“, die empfand er als Majestätsbeleidigung). Meist war Beckenbauer jovial gegenüber der Journaille: „Ihr schreibt’s ja eh, was ihr wollt’s“ oder „Ja, gibt’s euer Kasblattl auch noch?“ - Kaiserklassiker bei Interviews.
Einer intensiveren gerichtlichen Nachforschung in der Sommermärchen-Sache entkamen Beckenbauer und mutmaßlich Mitwissende durch die Gnade der Verjährung. Die Corona-Krise beeinträchtigte auch die Arbeit der Justiz, zudem nahm Beckenbauer medizinisch attestierte Nichtverhandlungsfähigkeit in Anspruch. Allerdings: Bei dem bisschen öffentlichen Auftritt, den er sich noch gestattete, sah er wirklich nicht gut aus. Ausgemergelt, grau. Auch seine Stimme hatte an Kraft verloren, sie klang heiser. Seine Endlichkeit wurde spürbar.
Der Kaiser wird immer eine Lichtgestalt des deutschen Fußballs bleiben
Doch wenn wie zuletzt anlässlich seines 75. Geburtstags große Artikel über ihn geschrieben wurde, dominierten die Erinnerung an den Glanz als „Kaiser“ und die Sympathie für seine Lässigkeit und sanfte Wurstigkeit. Man wird von Franz Beckenbauer in Erinnerung behalten, wie schön er spielte, wie herzhaft er wütete, wie charmant er scherzte. Und auch die Kritiker, für die er wegen seiner Verstrickungen den Lichtgestalts-Status verlor, werden anerkennen, dass der Sohn eines Giesinger Postlers nie das Gefühl für die Basis verlor. Einen Autogrammwunsch hat Franz Beckenbauer in seinem Leben nicht abgeschlagen.