Merz’ Israel-Entscheidung sorgt für Streit in der Regierung: Pistorius außen vor – Sondersitzung anberaumt

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Nach dem Stop deutscher Rüstungsexporte an Israel deuten sich Risse in der Union an. Die Reaktionen auf Merz‘ Ankündigung könnten verschiedener kaum sein.

Berlin – Nach der Entscheidung von Israels Führung, die Kontrolle über Gaza-Stadt vorerst vollständig übernehmen zu wollen, verkündete Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am Freitagnachmittag eine Entscheidung beträchtlichen Ausmaßes: Er erklärte Israel einen Lieferungsstop jeglicher Rüstungsgüter, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten.

Fotomontage von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Menschen in Trümmern in Gaza © IMAGO / Frank Ossenbrink und picture alliance/dpa/APA Images via ZUMA Press Wire | Omar Ashtawy

Zwar habe Israel das Recht, sich „gegen Terror der Hamas zu verteidigen“ und die Hamas dürfe künftig „keine Rolle spielen“, doch ließe das erklärte härtere Vorgehen in Gaza „immer weniger erkennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen“, erklärte Merz in einer Mitteilung. Die Reaktionen auf Merz’ Ankündigung könnten kaum weiter auseinander gehen. Vor allem innerhalb der Union tun sich Risse auf. 

Merz wagt mit dem Stop von Rüstungslieferungen eine Kehrtwende seiner Israel-Politik

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte von fast einer halben Milliarde Euro an Israel, wie mitunter das ZDF berichtete. Mit seiner Ankündigung eines Stopps von Rüstungslieferungen an Israel wagt Kanzler Merz einen lange undenkbaren Schritt: In der Historie der deutsch-israelischen Beziehungen sind es die ersten Sanktionen gegen Tel Aviv, und auch der deutschen Staatsräson der Sicherheit Israels scheint Merz’ Ankündigung gefährlich nahe zu kommen. 

Überdies gleich Merz’ Ankündigung einer Kehrwende seiner Haltung zu Israel: Erst Ende Januar im Wahlkampf war vom CDU-Politiker im Zuge einer außenpolitischen Grundsatzrede bekräftigt worden: „Eine von mir geführte Bundesregierung wird auch unsere Beziehungen zu Israel festigen. Künftig wird gelten: Was Israel zur Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts benötigt, wird Israel auch bekommen.“ So werde sich der Begriff ‚Staatsräson‘ „wieder an Taten und nicht nur an Worten messen“, versprach Merz zu jenem Zeitpunkt. Der damaligen Ampel-Koalition um Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Merz darüber hinaus vorgeworfen, Israel wichtige Waffen aus deutscher Produktion vorzuenthalten.

Merz’ Waffenstop gegenüber Israel führt zu gespaltenen Reaktionen in der Union

Verweise auf das Protokoll zu Merz’ Rede vom Januar sollen am Freitagabend die Runde unter Unionspolitikern gemacht haben, berichtete der Spiegel nun. Aus der Union selbst wurden nach der Mitteilung Merz’ unterdessen denkbar verschiedene Reaktionen laut: Klaus Holetschek, CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X: „Ich halte diese Entscheidung für falsch. Gerade in herausfordernden Zeiten müssen wir zu unseren Freunden stehen. Israels Sicherheit ist und bleibt für uns Staatsräson.“

„Aufs Schärfste“ verurteile der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller den Entschluss der Bundesregierung, wie er auf dem Kurznachrichtendienst X schrieb. Er nannte den Entschluss eine „erhebliche Fehlentscheidung“. Sie übersehe, „wie wichtig die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Israel für Deutschland ist, um die Bundeswehr und die Nato zu stärken“. Und ebenfalls auf X schrieb Matthias Hauer (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesforschungsministerium: „Ich halte es für einen schweren Fehler und ein verheerendes Signal, dass Deutschland seine Waffenlieferungen an Israel einschränkt.“ 

Doch es gab auch Stimmen aus der Union, die Merz’ Ankündigung verteidigten, so etwa CDU-Politiker Jürgen Hardt: „Diese Reaktion war unausweichlich, nachdem der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister unsere Bedenken über Monate in hoher Frequenz vortrugen“, sagte Hardt dem Spiegel zufolge. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der Rheinischen Post: „Diese Reaktion ist richtig und durch die jüngsten Entscheidungen der israelischen Regierung leider unausweichlich geworden.“

Entscheidungsfindung zu Israel-Waffenstop wirft Fragen auf – Sondersitzung der Union geplant

Derweil scheint wegen unstimmiger Aussagen unklar, wer konkret an der Entscheidungsfindung des Waffenlieferungsstops gegenüber Israel beteiligt war: Thomas Röwekamp (CDU), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, bezeichnete den Beschluss als Entscheidung der drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD. „Diese Entscheidung ist eine Entscheidung, die die deutsche Bundesregierung gemeinsam getroffen hat und die auch gemeinsam getragen wird“, sagte Röwekamp der ARD. CSU-Angehörige hatten zuvor angeprangert, sie seien an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen und von ihr überrascht worden.

Der Spiegel berichtete unterdessen, am Tag der Entscheidung hätte es kein Kabinettstreffen und überhaupt keinen größeren Austausch darüber in Regierungskreisen gegeben. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sei nicht eingebunden gewesen. So sei der Entschluss „in ganz kleiner Runde“ gefallen, berichtete der Spiegel unter Berufung auf Regierungskreise.

Während die Entscheidungsfindung schwer einsehbar bleibt, wurde der Bild-Zeitung zufolge für Sonntag eine Videoschalte der außenpolitischen Arbeitsgruppe der Unionsfraktion angesetzt. Im Zuge dessen wolle Merz‘ sicherheitspolitischer Berater Günter Sautter die Motive des Kanzlers erläutern. Auch der UN-Sicherheitsrat wird am Sonntag zu einer seltenen Sonntagssitzung zusammen kommen. Anlass sind Israels Pläne zur Kontrollübernahme von Gaza-Stadt, berichtete die Nachrichtenagentur AFP am Samstag unter Berufung auf Diplomatenkreise.(fh)

Auch interessant

Kommentare