Unfallopfer verliert Unterschenkel und Arm: Verhandlung gegen Lkw-Fahrer endet mit Überraschung

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Von einem Sattelschlepper überrollt wurde im Dezember 2023 ein 84-jähriger Geretsrieder. Der Lkw-Fahrer stand nun vor dem Amtsgericht Wolfratshausen. © Sabine Hermsdorf-Hiss/Archiv

Nach einem folgenschweren Unfall in Geretsried musste sich ein Lkw-Fahrer (40) vor dem Amtsgericht verantworten. Die Verhandlung endete – selbst für den Richter – mit einer Überraschung.

Geretsried/Wolfratshausen – Ein Sattelzug überrollt beim Abbiegen einen Fußgänger und schleift diesen einige Meter mit. Der 84-jährige Rentner überlebt schwerverletzt, ihm wurden der linke Unterschenkel und der linke Arm amputiert. Seither sitzt der Mann im Rollstuhl. Der Lkw-Fahrer stand nun wegen fahrlässiger Körperverletzung vor dem Amtsgericht Wolfratshausen. Das Gericht sprach den 40-Jährigen frei. „Ich habe mir beim Vorbereiten nicht vorstellen können, dass es so ausgeht, dass man dem Angeklagten keinen Vorwurf machen kann“, räumte Helmut Berger in seiner Urteilsbegründung ein. Auch für den Richter hatte die Verhandlung ein sehr überraschendes Ende genommen.

Die Staatsanwaltschaft stützte ihre Anklage darauf, dass der Beschuldigte bei dem Vorfall, der sich am 3. Dezember 2023 gegen 13.30 Uhr ereignet hatte, nicht in die Außenspiegel seines Sattelzugs geschaut habe, bevor er von der Sperlingstraße nach rechts in die Böhmerwaldstraße eingebogen war. Letztere wollte der 84-jährige Geretsrieder im selben Moment auf Höhe des Zebrastreifens überqueren. „Den Lkw sah ich, der stand, deshalb bin ich weitergegangen“, berichtete der Geschädigte. Dann sei der Laster abrupt losgefahren. „Und ich bin wohl auch gestolpert.“

Sechs Monate Aufenthalt in Kliniken

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Nach zweieinhalb Monaten in der Unfallklinik Murnau, weiteren dreieinhalb Monaten in einer Fachklinik in Bad Heilbrunn und ein paar Wochen in einem Seniorenheim in Bad Tölz lebe er nun wieder in seiner Wohnung in Geretsried. Allein. „Mithilfe meiner Nachbarn geht das“, zeigt der Rentner sich dankbar für die Unterstützung. Seit vergangenem Sommer kämpfe er sich daheim durch die Tage. „Es geht“, sagt er, „auch wenn es manche dunkle Stunde gibt.“

Ich weiß, dass ich in alle vier Seitenspiegel geschaut habe. 

Der Angeklagte erklärte, den Unfall erst bemerkt zu haben, als Passanten ihn durch Rufen und Schreien aufmerksam gemacht hatten. Der Anblick des Schwerverletzten habe ihn so geschockt, dass er selbst ins Krankenhaus gebracht werden musste. Er hatte seinen circa 13 Meter langen Sattelzug rückwärts in die Sperlingstraße gelenkt, um zu wenden, weil die Einfahrt zu dem Unternehmen, das er anfahren wollte, durch ein anderes Fahrzeug versperrt gewesen sei. „Ich weiß, dass ich in alle vier Seitenspiegel geschaut habe“, versicherte der Lkw-Fahrer. Dann sei er langsam losgefahren. Dabei habe er nach vorne geschaut.

Richter folgt Anträgen von Staatsanwältin und Verteidiger

Und dadurch bestehe die Möglichkeit, dass er aus seinem Führerhaus den Senior, der nicht direkt auf dem Zebrastreifen, sondern leicht daneben die Böhmerwaldstraße überquerte, tatsächlich nicht sehen konnte, wie Heinrich Sattel, Sachverständiger für Verkehrsunfälle, erläuterte. „Die Sichtabschattung nach vorn ist brutal“, betonte der Gutachter. Die meisten Leute seien sich „nicht bewusst, was ein Lkw-Fahrer sehen kann“. Die Unfalluntersuchung hatte auch ergeben, dass der Lkw laut Tacho „mit weniger als Schrittgeschwindigkeit“ losgefahren war.

„Das ist ein mehr als tragischer Verkehrsunfall“, bilanzierte Richter Helmut Berger. „Man denkt: Er muss den doch sehen. Aber wir wurden heute von dem Sachverständigen widerlegt“, erklärte der Richter. Er folgte mit seinem Freispruch den Anträgen der Staatsanwältin und des Verteidigers.

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