Ministerpräsidenten-Wahl in Sachsen: Kretschmers Gegner braucht die AfD
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will am Mittwoch wiedergewählt werden. Sein Konkurrent Matthias Berger will sich von der AfD wählen lassen.
Dresden – Bei der Ministerpräsidentenwahl im sächsischen Landtag bekommt es der Amtsinhaber Michael Kretschmer gleich mit zwei Gegenkandidaten zu tun: Matthias Berger, fraktions- und parteiloser Landtagsabgeordneter der Freien Wähler und Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban wollen am Mittwoch (18. Dezember) gegen ihn kandidieren. Kretschmers Koalition aus CDU und SPD hat keine eigene Mehrheit. Deshalb hat Berger Chancen, im zweiten Wahlgang mit Stimmen der AfD zu Sachsens Ministerpräsident gewählt zu werden. Doch wer sind Kretschmers Gegner?
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen: Kretschmer-Gegner Berger sieht sich als „parteiübergreifender Kandidat“
Berger war parteiloser Spitzenkandidat der Freien Wähler zur Sachsen-Wahl, zuvor war er mehr als zwei Jahrzehnte lang Oberbürgermeister der Stadt Grimma bei Leipzig. Dort wurde er direkt in den Landtag gewählt. Der Jurist ist der einzige Abgeordnete der Freien Wähler. Am Freitag (13. Dezember) reichte er offiziell seine Kandidatur ein. Er wolle ein „parteiübergreifender Kandidat“ sein, sagte er dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).
Das bedeute für ihn auch, sich mit Stimmen der AfD wählen zu lassen: „Es gibt keine Brandmauer, jeder, der gewählt wird, ist gewählt“, sagte Berger. Wegen der Mehrheitsverhältnisse im Dresdner Landtag wäre für Berger nur eine relative Mehrheit aus AfD und BSW eine realistische Machtoption. Im zweiten Wahlgang wäre diese laut Landesverfassung ausreichend. Kretschmers Minderheitskoalition aus CDU und SPD verfügt über 51 Stimmen im Landtag. AfD und BSW stellen 55 Abgeordnete. Auf die Grünen entfallen sieben und auf die Linke sechs Mandate.
Freie Wähler fordern „Expertenregierung“ für Sachsen – Kretschmers Gegner will „einige“ Ministerien schließen
Berger und die Freien Wähler kündigten bereits an, im Falle seiner Wahl eine „Expertenregierung“ einsetzen zu wollen. Sachsen brauche „einen politischen Neustart ohne Ausgrenzung“, sagte Berger. Wie das aussehen könnte, ließ Berger gegenüber der Wochenzeitung Zeit durchblicken: „Einige“ Ministerien würde er schließen, sagte er demnach. Fördergeld sei „ein Mittel, um die Kommunen in Abhängigkeit zu halten“. Geflüchtete würden besser bei der Arbeit, als im „staatlich verordneten Sprachkurs“ integriert. Der Zeitung zufolge entließ Berger nach seiner Wahl zum Oberbürgermeister von Grimma vor über 20 Jahren mit einem Schlag alle Dezernenten, also politisch Verantwortlichen, der Kleinstadt.
Thematisch priorisieren wolle Berger, so zitiert der MDR aus einem dreiseitigen Papier, die „Digitalisierung und Transformation der Verwaltung“ sowie „verlässliche Energie für Bürger und Unternehmen“, die „Senkung der Lebenshaltungskosten für Bürger und Kommunen“ sowie „eine kostengünstige Infrastruktur“.
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Ministerpräsidentenwahl in Sachsen: Berger braucht für „Expertenregierung“ die Stimmen der AfD
Um auch nur in die Position zu kommen, seine „Expertenregierung“ ins Werk zu setzen, wäre Berger auf Stimmen aus der AfD angewiesen, da sowohl SPD, Grüne als auch Linke im sächsischen Landtag ihn nicht zum Ministerpräsidenten wählen wollen. Doch der AfD-Landeschef Jörg Urban kündigte am Dienstag (17. Dezember) ebenfalls an, als Ministerpräsident zu kandidieren. Urban ist seit 2018 Vorsitzender der Sachsen-AfD. Urban, studierter Wasserbauingenieur, war lange Jahre Geschäftsführer der DDR-Zeiten gegründeten Grünen Liga, einem Umweltverband.
AfD stellt eigenen Kandidaten gegen Kretschmer zur Ministerpräsidenten-Wahl in Sachsen auf
Im Oktober 2023 rief Urban einer Veranstaltung des AfD-Jugendverbandes „Junge Alternative“, dem MDR zufolge, gerichtet an Politik und Medien, zu: „Einst wird wieder Gerechtigkeit walten, dann richtet das Volk und dann gnade euch Gott!“ Die Grüne Liga distanzierte sich inzwischen von ihm. Dem aktuellen Bericht des sächsischen Verfassungsschutzes zufolge sprach, der ansonsten eher bürgerlich auftretende, Urban öffentlich bereits von „Globalisten in Politik, Medien und Konzernen“ oder auch von „Bevölkerungsaustausch“. Anfang November schloss sein Landesverband drei Mitglieder aus, denen die Generalbundesanwaltschaft die Bildung einer Rechtsterrorgruppe vorwirft. Der Verfassungsschutz hielt den Landesverband schon zuvor für gesichert rechtsextrem.
Grüne warnen vor Sachsens „Kemmerich-Moment“ bei Ministerpräsidenten-Wahl
In dieser Gemengelage sorgte sich die Fraktionschefin der sächsischen Grünen, Franziska Schubert, vor einem „Kemmerich-Moment“. Das wäre eine Situation, wie 2020 in Thüringen, als der Landtag den FDP-Mann Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD-Fraktion, geführt vom Rechtsextremen Björn Höcke, zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Die Wahl galt als Tabubruch, da es die erste folgenreiche Kooperation bürgerlicher Parteien mit rechtsextremen Kräften seit der gescheiterten Weimarer Republik war. Kurz darauf trat er unter öffentlichen und parteiinternen Druck zurück. Berger könnte am Mittwoch in einer ähnlichen Situation sein.
AfD ist „keine Friedenspartei“ – Keine BSW-Stimmen für die AfD bei Ministerpräsidenten-Wahl in Sachsen
Die Gefahr eines solchen Szenarios scheint auch die anderen Fraktionen im sächsischen Landtag umzutreiben, die keinen eigenen Kandidaten aufstellen: Beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sei, so Landesvorsitzende Sabine Zimmermann, klar, dass Urban keine Stimmen aus der Fraktion erhalten werde, da die AfD aus ihrer Sicht „keine Friedenspartei“ sei. Mit Berger sei man wegen seines Festhaltens an der Schuldenbremse nicht übereingekommen, zitierte sie der Sender. Es gebe aber „keinen Fraktionszwang“, sagte Zimmermann. Auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Luise Neuhaus-Wartenberg, schloss Stimmen für Urban und Berger aus ihrer Fraktion klar aus.
CDU glaubt an vereinzelte Stimmen von BSW und Linken bei Ministerpräsidenten-Wahl in Sachsen
Trotz aller Unklarheiten glaubte CDU-Fraktionsvize Sören Voigt, dass Teile des BSW und der Linken bereit wären, für Kretschmer zu stimmen. Sicher sei, dass es keine Abweichler in den eigenen Reihen gebe, betonte er. Für eine sichere Mehrheit im ersten Wahlgang bräuchte es für Kretschmer entweder fast alle 15 BSW-Stimmen oder Stimmen aus beiden Fraktionen. Die Linke will sich erst am Mittwochmorgen positionieren. (kb mit dpa und afp)