Griechen sauer: Deutsches Bürgergeld lockt Arbeits-Migranten an

Es klingt verrückt: Einerseits möchten die Griechen keine Rückführungen von Asylbewerbern aus Deutschland akzeptieren, andererseits beklagen sie sich, dass sechs von zehn Migranten aus Griechenland „über Nacht“ verschwinden. Die Klage kommt indes nicht aus der Politik, sondern aus der Wirtschaft. Insgesamt knapp 300.000 Arbeitsplätze im Land sind unbesetzt. Betroffen sind vor allem die Branchen Tourismus, Landwirtschaft und Bau.

Griechisches Ministerium will ausweisen – Arbeitsministerium wirbt im Ausland an

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 16. April 2025 erlaubt Abschiebungen nach Griechenland, weil dort, anders als von Vorinstanzen bestimmt, „keine unmenschliche oder erniedrigende Aufnahmesituation für nichtvulnerable anerkannte Flüchtlinge“ vorliegen würde. 

Darauf vom Sender "SKAI TV" angesprochen, lehnte der griechische Minister für Immigration und Asyl Makis Voridis die Aufnahme rückgeführter Asylbewerber aus Deutschland kategorisch ab: „Die Antwort liegt in der proportionalen Lastenverteilung, wie sie im Europäischen Pakt für Asyl und Migration vorgesehen ist. Diese Diskussion kann nicht im luftleeren Raum stattfinden. Griechenland ist derzeit das Land mit dem zweithöchsten Einwanderungsdruck pro Kopf, da es ein Erstaufnahmeland ist. Von einer Rückführung der Flüchtlinge nach Griechenland kann deshalb keine Rede sein, denn dies verstößt gegen den Grundsatz der proportionalen Verteilung im Rahmen der europäischen Solidarität."

Migranten sollen leichter arbeiten dürfen

Gleichzeitig zitiert die Zeitung „Proto Thema“ nicht näher benannte „Kreise aus dem Migrationsministerium“, denen zufolge eine Gesetzesnovelle ausgearbeitet wird, mit der Migranten leichter an eine Arbeitserlaubnis kommen sollen. Über seine Internetpräsenz wirbt das griechische Arbeitsministerium offensiv um Gastarbeiter aus Vietnam, Bangladesch, arabischen Staaten wie Ägypten, und auch um Menschen aus Georgien, Albanien, Pakistan oder Indien. 

Das Gastarbeiterprogramm wurde nach dem deutschen Modell aus dem vorigen Jahrhundert erstellt. Vorgesehen ist, dass die Arbeitskräfte nach Vertragsende zurück in ihre Heimat reisen. Das Gastarbeiterprogramm entstand unter der konservativen Regierung von Kyriakos Mitsotakis, der auch Voridis angehört, auf Druck von Unternehmern, die verzweifelt Mitarbeiter suchen.

Tourismusbetriebe geschlossen, obwohl Gäste kommen wollen

Unternehmen in der Tourismusbranche, in der 85.000 Arbeitskräfte fehlen, mussten zuletzt während der umsatzstarken Ostertage trotz hoher Nachfrage zeitweise schließen. Für einen Staat, in dem ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts durch den Tourismus erwirtschaftet wird, ist dies ein existenzielles Problem. Das "Institute of Tourism Research and Forecasting (ITF)" schlägt in seiner jüngsten Studie Alarm. Im vergangenen Jahr blieben 53.817 von 278.188 Stellen unbesetzt. Stolze 43 Prozent der Hotels klagten über ernste Personalprobleme. Sie suchen zum Beispiel verzweifelt nach Reinigungspersonal.

Menschen verbringen den Tag an einem Strand im Vorort Alimos in Athen. Der Tourismus in Griechenland hat im Vergleich zum Corona-Jahr 2021 ernorm zugelegt.
Menschen verbringen den Tag an einem Strand im Vorort Alimos in Athen. Der Tourismus in Griechenland hat im Vergleich zum Corona-Jahr 2021 ernorm zugelegt. Yorgos Karahalis/AP/dpa

Das Ausmaß des Personalmangels ist regional unterschiedlich. So bleiben in den Hotels in Zentralgriechenland 31 Prozent oder 4.608 Planstellen unbesetzt. In der südlichen Ägäis fehlen prozentual mit 15,5 Prozent weniger Arbeitskräfte. In absoluten Zahlen sind es jedoch 11.705, was landesweit den Rekord darstellt. Weitere 100.000 Mitarbeiter fehlen im Baugewerbe. Farmer und Obstbauern suchen händeringend 70.000 Helfer, während in der Industrie 50.000 Stellen unbesetzt bleiben. 

Schlechte Arbeitsbedingungen

Vor allem der Tourismus bietet viele saisonale Arbeitsplätze. Das bedeutet in der Praxis neun Monate lang sieben Tage die Woche mit Überstunden zu schuften und während der drei Wintermonate arbeitslos zu sein. Auch im Bau und in der Industrie gibt es saisonale Schwankungen.

Für viele Griechen verlor dieses Arbeitsmodell während der Pandemiejahre, als sie zur Untätigkeit verdammt wurden, an Attraktivität. Sie wechselten entweder die Branche oder zogen in den Norden Europas, wo sich für ausgebildete Gastronomie- und Hotelmitarbeiter sowie für Monteure und Bauarbeiter erheblich bessere finanzielle Perspektiven bieten. 

Den griechischen Saisonarbeitern folgen nun die legal eingereisten Gastarbeiter, die wiederum illegal nach Deutschland, Italien, Spanien und anderen Staaten mit besseren Arbeitsbedingungen und lukrativerer Bezahlung ausreisen. Dieses Phänomen soll sich griechischen Medienberichten zufolge in diesem Jahr verstärkt haben. Schon kurze Zeit nach ihrer Ankunft verlassen viele mit Hilfe von Schleusern das Land.

In Deutschland lockt Bürgergeld

Die Ursachen für die schnelle Flucht sind hausgemacht. Ein Teil der griechischen Arbeitgeber stellt den Gastarbeitern keine angemessene Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung. Sie müssen dann von einem Monatsgehalt von durchschnittlich 880 Euro Unterkunft und Verpflegung zahlen. Dazu kommen Raten für Wucherkrediten, mit denen sie die Arbeitsvermittler aus der Heimat bezahlt haben. 

Bei Supermarktpreisen, die höher als in Deutschland sind, und schier unerschwinglichen Mietpreisen mag jeder nachvollziehen, wie verlockend die deutschen Sozialleistungen und konkret das Bürgergeld erscheinen. Vor allem, wenn Schleuser  den verzweifelten Gastarbeitern mit märchenhaften Ausschmückungen von Deutschland erzählen. Deshalb verlassen fünf bis sechs von zehn Gastarbeitern Griechenland illegal.

Lähmende Bürokratie auch in Griechenland

Die griechische Bürokratie verhindert, dass auch die fair bezahlenden Unternehmer ihre in Drittstaaten angeworbenen Arbeitskräfte schnell genug nach Hellas bekommen. Bis Sozialversicherungs- und Visafragen geklärt sind, ziehen Monate ins Land. In Asien rekrutierte LKW-Fahrer dürfen, wie oft erst nach der Ankunft festgestellt wird, mit ihrem Führerschein nicht über griechische Straßen fahren und keine Erntemaschinen bewegen. 

Zudem gibt es für die einzelnen Branchen im Vorjahr festgelegte starre Obergrenzen. Für abgewandertes oder „verschwundenes“ Personal können deshalb keine Nachfolger aus den Drittstaaten rekrutiert werden. Deshalb drängen Unternehmer den Staat nun darauf, dass sie Personal aus den Flüchtlingslagern der Asylbewerber einstellen können. Eine der zu klärenden Fragen ist dabei die Wohnsituation. Sollen die Asylbewerber zum Saisonende zurück in die Lager geschickt werden? Ist nicht zu erwarten, dass auch sie die Flucht ergreifen, wenn die Unternehmer nicht endlich Gehälter zahlen, die zum Leben reichen?