Rüsten für den Rentenwahlkampf - Union weiter ohne Plan: Jetzt kann die Rente für die SPD zur großen Chance werden

Gewaltige Summen werden in diesem System Jahr für Jahr bewegt: Gut 381 Milliarden Euro Einnahmen hatte die Rentenkasse im Jahr 2023, bei fast 380 Milliarden Euro lagen die Ausgaben. So steht es im Rentenatlas, in dem die Deutsche Rentenversicherung am Montag aktuelle Kennzahlen gebündelt der Öffentlichkeit präsentierte.

Noch zehn Jahre vorher, also 2013, lagen die Ausgaben deutlich niedriger, nämlich bei knapp 259 Milliarden Euro. Der vergleichsweise starke Anstieg sei auf relativ hohe Rentenanpassungen, die Einführung der Mütterrente sowie die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren zurückzuführen, heißt es zur Erklärung.

Damit weisen die Zahlen zum Kern einer Debatte, die im Wahlkampf vermutlich eine große Rolle spielen wird: Was muss getan werden, um das System zukunftsfest aufzustellen, für Rentnerinnen und Rentner zu sorgen und gleichzeitig die Interessen der Jungen nicht aus dem Blick zu verlieren?

Bei der nächsten Bundestagswahl wird entschieden, ob es eine stabile Rente in Deutschland gibt oder nicht.

Die Daten zeigen auch: Der Beitragssatz liegt mit 18,6 Prozent heute niedriger als zur Jahrtausendwende – allerdings nicht nur, weil der Arbeitsmarkt sich viel besser entwickelt hat als einst gedacht. Sondern der Grund ist auch, dass viel mehr Geld als früher aus Steuermitteln in die Rentenkasse zugeschossen wird – und damit für andere Zwecke fehlt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wurde am Montag vom SPD-Parteivorstand als Kanzlerkandidat nominiert. Bei seinem Auftritt danach machte er deutlich, dass er auf die Rente als Thema für den Wahlkampf setzt: „Bei der nächsten Bundestagswahl wird entschieden, ob es eine stabile Rente in Deutschland gibt oder nicht.“

Anreize für längeres Arbeiten

Mit dem Rentenpaket II wollte die SPD langfristig ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent garantieren, auch wenn das für Staat und Beitragszahler teuer wird. Das Paket ist dem Ampel-Aus zum Opfer gefallen, die damaligen Koalitionspartner stritten, wie und ob die Garantie zu finanzieren wäre. Nun wird die SPD also im Wahlkampf so deutlich wie nur möglich machen, dass Rentnerinnen und Rentner auf sie setzen sollen.

Dabei greifen die Sozialdemokraten auch zu steiler Zuspitzung. Im Nachgang des Koalitionsbruchs warf Scholz der FDP vor, sie habe die Renten kürzen wollen, weil sie skeptisch war, ob die 48-Prozent-Garantie zu halten ist. Auf der Homepage der Deutschen Rentenversicherung steht hingegen erklärt: „Ein Absinken des Rentenniveaus heißt nicht, dass die Renten sinken. Das ist durch die Rentengarantie sogar gesetzlich ausgeschlossen. Wenn das Rentenniveau sinkt, können die Renten weiter steigen, aber nicht so stark wie die Einkommen.“

Feinheiten wie diese wird die SPD nicht nach vorn stellen. Nicht nur die FDP, sondern auch die Union wird vor der Frage stehen, wie sie pariert. Das ist auch deshalb schwierig, weil die Positionen innerhalb der Union viel weiter auseinander gehen als bei anderen Themen.

Vom Sozial- bis zum Wirtschaftsflügel herrschen sehr unterschiedliche Ansichten. Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat sich gegen den Willen des Parteinachwuchses festgelegt, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht erhöht werden soll. Ihm ist klar, wie sehr die SPD auf das Thema setzt.

Merz äußerte im Oktober auf dem Deutschlandtag der Jungen Union seine Sorge vor einer „infamen Kampagne“ und hielt entgegen: „Nein, es wird keine Rentenkürzungen in Deutschland geben.“ Gegen die Rentnerinnen und Rentner ist eine Wahl kaum zu gewinnen, das weiß auch Merz.

Auf starke Anreize für freiwillig längeres Arbeiten über das Rentenalter hinaus kann man sich bei der Union einigen. Doch das ist nur eine Teil-Antwort angesichts der anstehenden großen Probleme. Was aber soll passieren, wenn in den kommenden Jahren der demografische Wandel die Rentenkasse einem massiven Stresstest unterzieht? Die Union hat noch keine klare Antwort – und die SPD damit eine Chance im Wahlkampf.

Von Karin Christmann

Das Original zu diesem Beitrag "Wahlkampf um die Rente: Die Sorge vor einer „infamen Kampagne“" stammt von Tagesspiegel.