Aus Nordkorea, Jemen, Afrika - Putin flutet den Krieg mit Soldaten – eine brisante Idee soll sie aufhalten

Vor einem Jahr erkämpften sich ukrainische Truppen Stück für Stück, Meter für Meter den Boden im Osten ihres Landes von den russischen Besatzern zurück. Der Preis war hoch: Material und vor allem Menschenleben fielen der Gegenoffensive zum Opfer.

Jetzt ist das Momentum im Ukraine-Krieg wieder gekippt. Mühsam errungene Orte werden erneut von Wladimir Putins Truppen eingenommen. An der langen Frontlinie im Osten wird hart gekämpft. Der Abnutzungskrieg beschert beiden Seiten hohe Verluste.

Doch die Personallage macht insbesondere der ukrainischen Seite zu schaffen. Putin hingegen „gelingt es dagegen noch immer, ausreichend Personal in Russland zu rekrutieren“, sagt der Militärexperte Wolfgang Richter gegenüber FOCUS online.

Über 600.000 Soldaten kämpfen für Putin

Über 600.000 Soldaten befinden sich derzeit im Einsatz gegen die ukrainischen Truppen. „Und die Tendenz ist steigend“, sagt Richter. Es sieht nicht so aus, als würden Putin die Soldaten ausgehen. Im Gegenteil.

Bereits 10.000 nordkoreanische Soldaten kämpfen für den Kreml-Chef in der Ukraine. Richter meint aber: „Ob sie tatsächlich von wesentlicher militärischer Bedeutung sind, bleibt abzuwarten.“ Zu wenig Kampferfahrung und ihre mangelhafte Ausrüstung müsse von Russland ergänzt werden.

Nicht auszuschließen sei aber, dass Pjöngjang personelle Verstärkung schickt, wenngleich man in Nordkorea auch darauf achten wird, die eigenen Kräfte in der gespannten Lage auf der koreanischen Halbinsel nicht zu sehr zu schwächen.

Zugleich scheint sich Putin auch anderswo an Söldnern zu bedienen. Berichten zufolge versucht Russland, Söldner in Afrika oder im Nahen Osten anzuwerben, etwa bei den Huthi oder in Syrien.

Rekrutierung von Jemeniten für die russische Armee

Laut einem Bericht der „Financial Times“ rekrutiert eine Miliz in ihrem Heimatland gezielt Menschen für die russische Armee. Hunderte jemenitische Söldner seien bereits durch dubiose Praktiken des Menschenhandels nach Russland vermittelt worden. Aus einem Vertrag, der der Zeitung vorliegt, geht hervor, dass die Rekrutierung von Jemeniten für die russische Armee bereits seit Juli läuft.

Betroffene berichteten der Zeitung, dass einige Männer im Jemen mit Versprechungen auf gut bezahlte Arbeit in Russland und der Aussicht auf die russische Staatsbürgerschaft gelockt worden seien. Nach ihrer Ankunft in Russland seien sie jedoch in die russischen Streitkräfte zwangsrekrutiert und direkt an die Front in der Ukraine geschickt worden. Die Rekrutierung sei von einer Firma organisiert worden, die von einem bekannten Politiker der Huthi-Bewegung gegründet worden sei.

„Das Ausmaß dürfte jedoch sehr begrenzt sein“, sagt Richter. „Angesichts der Kriege in diesen Regionen werden potenzielle Rekruten vor Ort gebraucht.“ Die Huthi etwa kämpfen seit zwei Jahrzehnten in einem blutigen Bürgerkrieg um die Vorherrschaft im Jemen.

Doch nicht nur dort ist die Miliz tätig. Immer wieder schossen Huthi-Rebellen auf Frachtschiffe im Roten Meer, um Israel zu schwächen. Die Huthi werden vom Iran unterstützt - der wiederum die Russen mit Kriegsmaterial unterstützt.

Richter merkt an, dass sich außerdem der Charakter eines Abnutzungskrieges, der mit modernen Waffen geführt wird, wesentlich vom Kriegsbild in diesen Regionen unterscheidet. „Söldner von dort dürften kaum die nötige Motivation und den erforderlichen Ausbildungsstand mitbringen, um im Gefecht der verbundenen Waffen in Europa bestehen zu können. Zudem dürfte ihre Akzeptanz bei russischen Truppen gering sein.“

Militärexperte Masala bringt europäische Bodentruppen ins Spiel

Die stark dezimierten Truppen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verzeichnen unterdessen nur begrenzten Zuwachs. Im Gegensatz zu Moskau hat Kiew nicht die Möglichkeit, Söldner oder Nordkoreaner einzusetzen. Die Mobilisierung der eigenen Bevölkerung bleibt daher die einzige Option, um den Krieg fortzusetzen.

Der Militärexperte Carlo Masala bringt nun eine weitere Option ins Spiel, die Ukraine zu unterstützen: die „Koalition der Willigen“. Der Politikwissenschaftler meint damit die Möglichkeit zur Entsendung europäischer Bodentruppen, sollte der designierte US-Präsident Donald Trump die Militärhilfen für Kiew drastisch zurückfahren.

Dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) sagte er: „Wir brauchen eine Rückfalloption für den Fall, dass die USA ihre Waffenlieferungen an die Ukraine einstellen.“ Dabei gehe es um eine „Koalition der Willigen, die im Zweifel auch bereit ist, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden“. Erste Anzeichen dafür gebe es Masala zufolge bereits: Es gibt „viel in Bewegung, in Frankreich, Großbritannien und Polen“.

Dritte-Weltkrieg-Aussage ist „adressiert an die Republikaner"

Zuletzt sprach der ukrainische Botschafter im Vereinigten Königreich und Ex-Oberbefehlshaber der Ukraine, Walerij Saluschnyj, vom „Dritten Weltkrieg“. Er sagte: „Ich glaube, dass wir im Jahr 2024 mit Sicherheit davon ausgehen können, dass der Dritte Weltkrieg begonnen hat.“

Er begründet dies damit, dass die Ukraine nicht nur gegen Russland kämpfe, sondern sich auch gegen nordkoreanische Soldaten und iranische Drohnen zur Wehr setzen müsse.

„Die Ukraine hat es nicht mehr nur mit Russland zu tun“, erklärte Saluschnyj. „Wir stehen auch nordkoreanischen Soldaten gegenüber. Seien wir ehrlich: Im Iran hergestellte Shaheds, also Kamikaze-Drohnen, töten offen Zivilisten in der Ukraine.“ Zudem, so betont der Botschafter weiter, würden auch nordkoreanische Raketen und chinesische Artilleriegeschosse in der Ukraine eingesetzt.

Die Angriffsfreigaben für die Ukraine aus Washington und Paris, mit Langstreckenraketen auch Ziele in Russland angreifen zu dürfen, zeigt wie tief etwa Frankreich und die USA involviert sind.

Saluschnyjs Wortwahl sei auch bewusstes Framing, ordnet der Politikwissenschaftler Gustav Gressel, spezialisiert auf sicherheitspolitische und militärstrategische Fragen mit Fokus auf Osteuropa und Russland, für FOCUS online ein. Für Europa, vor allem Deutschland, sei das aber wahrscheinlich weniger ideal, weil dort von „besonnenen“ Politikern ständig die Angst vom Weltkrieg geschürt werde.

„Adressiert ist die Aussage aber in erster Linie an die Republikaner, insbesondere jene, die ein Kräfteverlagern der USA aus Europa in Richtung Ostasien im Sinn haben“, sagt Gressel. Ihnen solle gesagt werden: „Seht her! Wir kämpfen schon jetzt gegen Eure großen Feinde von dort.“

„Aussage Saluschnyjs trifft für die gegenwärtige Lage in der Welt zu“

Militärexperte Albert Stahel verdeutlicht gegenüber FOCUS online wer im Ukraine-Krieg mittlerweile gegen wen kämpft. Seiner Meinung nach treffe die Aussage Saluschnyjs für die gegenwärtige Lage in der Welt zu. In diesem Krieg seien heute direkt konfrontiert:

  • Russland
  • Ukraine
  • Nordkorea

Indirekt durch Waffenlieferungen und Unterstützungen sind beteiligt:

  • USA
  • China
  • Iran
  • Deutschland
  • Frankreich
  • Großbritannien
  • weitere Staaten

„Aufgrund dieser Situation haben wir es mit einem Weltkrieg zu tun“, sagt Stahel. Die Warnung Saluschnyis sei in der aktuellen Situation – militärisch ist die Ukraine in der Defensive – eine Art Hilferuf an die westlichen Verbündeten: „Helft uns, sonst verlieren wir den Krieg und ihr verliert den Dritten Weltkrieg gegen Russland und seine Verbündeten.“