Sommerstress in der Notaufnahme: Bis zu 30 Patienten werden parallel behandelt – Manche reagieren ungehalten

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Lieben ihren Job: Der Ärztliche Leiter Raimund Novak und die Stationsleiterin Maria Heil am Eingang zum Schockraum, wo lebensbedrohliche Fälle behandelt werden. © Arndt Pröhl

Bis zu 30 Patienten gleichzeitig werden an Spitzentagen in der Notaufnahme der Tölzer Klinik behandelt. Die Palette reicht vom Herzinfarkt bis zum Zeckenbiss. Weniger dringende Fälle müssen auch mal zwei Stunden warten. Manche Patienten reagieren ungehalten.

Bad Tölz – Im Hochsommer geht es in vielen Betrieben etwas ruhiger zu. In der Notaufnahme der Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz ist das Gegenteil der Fall. „Die Ferien sind für uns die stressigste Zeit“, sagt Raimund Novak, der Ärztliche Leiter des Zentrums für Akut- und Notfallmedizin. Novak wirbt daher um Verständnis, falls manche Patienten länger warten müssen und betont: „Was wir hier anbieten, ist im internationalen Vergleich exorbitant gut.“

Ein Jahr ist es her, dass die Asklepios-Klinik ihre vergrößerte und modernisierte Notaufnahme eröffnet hat. „Damit haben wir darauf reagiert, dass sich die Patientenzahl in der Notaufnahme von 2002 bis 2023 auf 20.000 im Jahr verdoppelt hat“, erklärt Novak. Mit einer Chest-Pain-Unit für Herzinfarkte und einer Stroke-Unit für Schlaganfälle sei man bestens aufgestellt. Der Rettungsdienst fahre im Oberland als eine der häufigsten die Tölzer Notaufnahme an. Eingestuft sie auf dem zweithöchsten Level. In ganz Deutschland gebe es lediglich 180 Notaufnahmen auf dieser Stufe.

Montags ist am meisten los

Im Durchschnitt würden hier 10 bis 15 Patienten gleichzeitig behandelt, so Novak. Zu Spitzenzeiten könnten es auch doppelt so viele sein. Und solche Phasen des „Overcrowdings“ gebe es gerade häufiger. Es sind viele Urlauber und Ausflügler in der Region, Freizeitaktivitäten wie Motorradfahren oder Wandern haben Konjunktur – inklusive des damit verbundenen Unfallrisikos. Dazu kommt, dass etliche Praxen der niedergelassenen Ärzte geschlossen haben: Da kann es schon mal voll werden in der Notaufnahme. „Montags ist es am schlimmsten“, entnimmt Novak seiner Statistik. Im Tagesverlauf werde um die Mittagszeit eine Spitze erreicht.

Kommt ein Patient in der Notaufnahme an, gibt es einen festgelegten Ablauf. Erste Anlaufstelle ist die Schichtleitung in der innerklinischen Leitstelle, zentral gelegen zwischen den L-förmig abgehenden zwei Gängen der Notaufnahme. Zunächst erfolgt eine sogenannte „Triage“, das heißt die Einteilung des Falls in einen von fünf Schweregraden. Das Ziel, dass eine speziell ausgebildete Pflegekraft jeden Patienten innerhalb von zehn Minuten nach dem Eintreffen anschaut, wird laut Novak in 98,2 Prozent der Fälle erreicht.

Als Erstes findet die Triage statt

Die Patienten, die hier ankommen, haben tatsächlich höchst unterschiedliche Probleme. „Im Schwerpunkt ist die Notaufnahme für lebensbedrohlich Erkrankte und Schwerverletzte da“, sagt Novak, „zum Beispiel bei Herzinfarkt, Schlaganfall, Atemstillstand oder Polytrauma durch einen Unfall.“ Ein weiterer Bereich seien „akutmedizinische Krankheitsbilder, die die Ressourcen eines Krankenhauses benötigen, vom Darmverschluss über die Nierenkolik bis zur Kreissägenverletzung“.

Daneben würden aber auch Patienten vorstellig, bei denen es nicht ganz so wild ist. „Bis zu 30 Prozent brauchen eigentlich nicht die Ressourcen einer Notaufnahme“, sagt Novak. Da gebe es diejenigen, die kurz vor der Abreise in den Urlaub noch abklären wollen, was es mit den Rückenschmerzen auf sich hat, die sie seit Tagen plagen. Maria Heil, Stationsleiterin Pflege, zählt ein paar weitere Indikationen auf, die eigentlich nicht hierhergehören: „Zeckenbisse, Halsweh, Schnupfen, Magen-Darm-Virus, Verstauchungen.“ Was laut Novak nicht sein sollte: dass man die Notaufnahme als Ersatz für die Haus- oder Facharztpraxis sieht, in der man vielleicht gerade keinen Termin bekommen hat.

Patienten in Lebensgefahr werden im Schockraum behandelt

Weggeschickt werde aber keiner. „Ihr dürft kommen“, sagt der Ärztliche Leiter. Im Einzelfall behalte man sich aber vor, den Patienten weiterzuleiten in die „richtige Versorgungsstruktur“. Denn innerhalb des Klinikkomplexes stehen auch Anlaufstellen zur Verfügung, die gegebenenfalls passender sind. Die Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung ist sozusagen ein „Hausarztersatz“ außerhalb der normalen Sprechzeiten. Geöffnet ist sie Mittwoch und Freitag von 16 bis 21 Uhr sowie samstags, sonn- und feiertags von 9 bis 21 Uhr. Ebenfalls an der Klinik beheimatet ist das Medizinische Versorgungszentrum mit Schwerpunkt im orthopädisch-chirurgischen Bereich. Wer Rückenschmerzen hat oder ein verdrehtes Knie, kann dies auch dort untersuchen lassen. Mit einer Stunde Wartezeit sei bei solchen eingeschobenen Terminen aber auch zu rechnen.

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Für diejenigen, die in der Notaufnahme bleiben, gilt laut dem Ärztlichen Leiter: Behandelt würden die Patienten nicht in der Reihenfolge ihres Eintreffens, sondern nach Dringlichkeit. Dabei spiele es auch keine Rolle, ob der Patient selbstständig angekommen sei oder per Rettungswagen, ergänzt Maria Heil. „Wir ziehen zum Beispiel einen Herzinfarkt vor“, so Novak. Für die Behandlung von Patienten in Lebensgefahr gibt es den speziell ausgestatteten „Schockraum“. Wer dagegen nicht lebensbedrohlich erkrankt sei, der werde gebeten, im Warteraum Platz zu nehmen.

Es kostet viel Herzblut, Fleiß und Einsatz, die Notfallversorgung an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr aufrechtzuerhalten.

Dort kann es eine Weile dauern. Grob gesprochen müsse man mit zwei Stunden Wartezeit rechnen, zu Stoßzeiten auch mehr. „Das ist aber im internationalen Vergleich ein Spitzenwert“, unterstreicht der Mediziner. „In England dauert es dreimal so lang.“ Auf alle Patienten gerechnet, lag in Tölz die Wartezeit bis zum ersten Arztkontakt 2023 in rund 85 Prozent der Fälle bei höchstens einer Stunde. Über zwei Stunden mussten nur 2,2 Prozent der Patienten warten. Der Durchschnitt lag bei 32 Minuten. „Das ist eine tolle Leistung“, findet Novak.

Arbeiten in sieben Schichten

Dennoch: Nicht alle Patienten zeigen ihm zufolge Verständnis. „99 Prozent sind hochanständig und freundlich.“ Doch da gebe es eben auch diejenigen, die es sich fast zum „Volkssport“ gemacht hätten, über die Notaufnahme herzuziehen. Erst kürzlich habe er eine „bitterböse Mail“ bekommen. Eine etwa 35-jährige Frau ohne Vorerkrankungen sei zuvor in die Notaufnahme gekommen, um abklären zu lassen, warum es in ihrem Knie zog. „Sie kam sogar nach nur einer Stunde dran. Eine erfahrene Ärztin hat dann abgeklärt, dass kein Bruch, keine Infektion oder sonstige Alarmzeichen vorlagen, hat ihr einen Verband gemacht und Schmerzmittel gegeben.“ Danach habe sich die Frau beschwert, dass sie so lange habe warten müssen und währenddessen beobachtet habe, wie eine Schwester gerade ein Eis aß.

„Unsere Mitarbeiter arbeiten bis zur Belastungsgrenze“, sagt Novak. Es koste viel Herzblut, Fleiß und Einsatz, die Notfallversorgung an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr aufrechtzuerhalten. Das Pflegeteam umfasse etwa 30 Mitarbeiter, die in sieben Schichten arbeiten. Zudem seien hier rotierend 40 Ärzte aus verschiedenen Abteilungen der Klinik im Einsatz. Da treffe es ihn, wenn einige wenige in ihrer Kritik so „ungnädig“ seien – teils wegen reiner Befindlichkeiten, während die Ärzte gerade nebenan im Schockraum um das Leben eines Menschen kämpfen.

Patienten, die warten müssen, sollten froh sein, dass es ihnen so gut geht

Maria Heil berichtet, wie sie einmal erlebte, dass sich eine Gruppe im Wartebereich beim Schimpfen hochschaukelte. Einer von ihnen kam seiner Meinung nach nicht schnell genug an die Reihe, nachdem er sich zwei Tage zuvor den Zeh angestoßen hatte. Bei den anderen stellte sich heraus, dass es sich um Angehörige eines Patienten handelte, der im Schockraum gerade viele Kräfte band, weil er in Lebensgefahr war. „Als ihnen die Lage klar wurde, sind sie kreidebleich geworden“, sagt Maria Heil. Sie versuche, den Patienten, die warten müssen, immer klarzumachen: „Eigentlich können Sie froh sein. Gott sei Dank geht es Ihnen so gut, dass Sie warten können.“ Oft fühle sich aber jeder subjektiv als der dringendste Notfall.

Solchen Widrigkeiten zum Trotz: Novak und Heil lieben ihren Job. „Mit gefällt es, dass man nie weiß, was der Tag bringt“, sagt die Stationsleiterin. Und dass man gemeinsam einen Weg durchs „organisierte Chaos“ findet. (ast)

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