Julia Ruhs: In der Weltretter-Mission vieler Medien liegt eine autoritäre Gefahr

Schon wieder eine Zuschrift, die in meinem Postfach landet. Der Verfasser schreibt: 

"Es gibt kein rechts oder links mehr in der Gesellschaft und der Politik. Es gibt nur noch das Böse und das Gute. Die Medien in Deutschland kämpfen auf der Seite des Guten."

Kommen solche Nachrichten bei mir an, fühle ich mich manchmal wie in einem schlechten "Star-Wars"-Verschnitt – nur mit einem besonders plumpen Drehbuch, das auf einer Gut-gegen-Böse-Erzählung basiert, die keinen Platz für Grautöne lässt. 

Leider hat der Verfasser mit seinem Gedanken nicht unrecht. Oft wirkt es, als würden Journalisten "kämpfen". Als würde die Berichterstattung mit einer Mission ablaufen, einem "Rettungsauftrag" folgen, dem "Guten" und "Richtigen" dienen. Als würde sich der Journalismus einer Art höheren Zielen verschreiben. Bewegen, verändern wollen, durch das geschriebene und gesendete Wort.

Journalisten sind keine Weltretter-Beauftragten

Gelegenheiten dazu gab es in den letzten Jahren viele. 2015 bei der Flüchtlingskrise, da lautete das Ziel: Humanität! Beim Klimawandel ging es um die Rettung der Menschheit. Bei der Diskussion ums Gendern war das Motiv die Gleichstellung von Frauen und Minderheiten. Beim Thematisieren von LGBTIQ-Rechten kämpfte man gegen Diskriminierung. 

Dann kam Corona – und der Gesundheitsschutz hatte oberste Priorität. Russland griff die Ukraine an, und ein neues Ziel reifte heran: Kampf gegen Putin, die Verteidigung des Westens! Und schließlich der Aufstieg der AfD – da geht es um nicht weniger als die Rettung der Demokratie.

  • Julia Ruhs

    Bildquelle: Julia Ruhs

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In meinen Augen ist es viel eher so: Stellt sich Journalismus für die "richtigen" Ziele in den Dienst der Politik, müssen wir uns gerade dann fragen, ob wir noch in einer gut funktionierenden Demokratie leben. Dann fällt nämlich ein wichtiges Korrektiv weg. Journalisten sind nun mal keine Weltretter-Beauftragten. Keine Aktivisten. Sondern eigentlich das neutrale Beobachter-Auge der Gesellschaft.

Zu jeder Haltung gibt es eine Alternative

Manche sagen jetzt, es gehe hier um die Verteidigung unserer Werte. Sprechen von "werteorientiertem Journalismus". Deshalb könne man bei manchen Themen nicht mehr neutral sein. Ist das so? Für mich ist das Haltungsjournalismus. Und zwar Journalismus mit jener Haltung, die nichts bei uns verloren hat. Denn zu jeder Haltung gibt es immer auch eine Alternative. Und die muss nicht gleich automatisch inhuman, reaktionär, frauen- und queerfeindlich, demokratiefeindlich und unsolidarisch sein.

Meredith Haaf beschreibt in einem Artikel der "Süddeutschen Zeitung" sehr gut zwei unterschiedliche Sichtweisen auf den Journalismus. Ihre Analyse trifft für mich gut den Kern, worüber wir uns so oft streiten, geht es um "Haltung". Sie schreibt:

"Die einen wollen die richtigen Leute zu Wort kommen lassen, nämlich vor allem die mit den 'richtigen' Ansichten und aus bislang sozial unterdrückten Gruppen, und damit einen Beitrag zum sozialen Fortschritt leisten. Sie achten peinlich darauf, keine Gefühle zu verletzen, vor allem nicht die von Frauen oder Minderheiten, und sind im Zweifelsfall auf dem linken Auge blind. Die anderen wollen fast zwanghaft alle zu Wort kommen lassen, immer auch mit Rechten reden und damit einen Beitrag zur Aufklärung und zum freien Austausch leisten. Sie stehen Mehrheitsmeinungen und Gruppendynamik skeptisch gegenüber – aus prinzipiellen, nicht politischen Überlegungen. Die einen sind dabei eher nach 1980 geboren, die anderen davor."

Es wirkt, als gäbe es "richtige" und "falsche" Ansichten

Ich gehöre definitiv zu denen, die mit jedem reden würden – egal wie extrem jemand ist. Ich finde es wichtig, alle Perspektiven zu hören, auch wenn sie absolut nicht meiner eigenen Meinung entsprechen. Denn jedes Gespräch birgt immer auch die Chance, den anderen von seinen Argumenten zu überzeugen. Und sei es nur, ihn einen Millimeter zu sich hin zu bewegen. Haaf hat mit noch etwas recht: Auch Gruppendynamik sehe ich als etwas Schädliches. Übrigens: Ich sehe das alles so, obwohl ich lange nach 1980 geboren bin.

Bei mir stößt es viel eher auf massiven inneren Widerstand, maßt sich ein Journalist an, selektieren zu wollen, wer die "richtigen" Personen mit den "richtigen" Ansichten sind. Wer ist schon die Instanz, die das entscheidet? Ein 64-jähriger Leser, der sich als Bürger der Mittelschicht beschreibt, schrieb mir folgende Zeilen, die ein ähnliches Unbehagen ausdrücken, wie ich es selbst verspüre:

"Wir alle machen uns Sorgen um unsere Demokratie, die anscheinend nur dann die wahre ist, wenn sie von Leuten mit deren vermeintlich ‚richtigen‘ Meinung vertreten wird."

Genau so wirkt es oft – als gäbe es "richtige" und "falsche" Ansichten, als dürften nur die "richtigen" Ansichten Gehör finden, um die Demokratie zu "retten". Als rechtfertige die aktuelle Krise, in der wir stecken, es nicht mehr, beide Positionen gleichwertig zu behandeln. Weil wir uns gerade ja (wieder einmal) in einer Ausnahmesituation befinden, in einer neuen Normalität, im Krieg, in der Krise.

Wolfgang Kubicki kritisiert diese Denkweise sehr deutlich. Er mahnt: "Wer die Forderung erhebt, im Sinne der Verhinderung des Klimawandels, der Corona-Bekämpfung oder zur Rettung des gemeinen Mäusebussards müsse man die eine Meinung haben, sonst sei man kein respektierter Teil der Gesellschaft mehr, bewegt sich eher in die Richtung autoritärer Staaten als auf dem Boden unserer Werteordnung."

Was rechter und linker Totalitarismus gemeinsam haben

Warum mir dieser Punkt so wichtig ist? Weil wir auch immer im Blick haben müssen, wann etwas ins Extreme abgleitet. Autoritäre Tendenzen kommen oft im Gewand des vermeintlich "Guten" daher. Üben in dessen Namen ihre Macht aus. Auch ein Diktator ist schließlich überzeugt, "das Gute" zu wollen, in seinem Sinne natürlich. Gerade dann, wenn es "ums Gute" geht, ist man besonders anfällig dafür, mal eine Ausnahme zu machen von sonst geltenden demokratischen Grundregeln.

Oder, wie es der Zeit-Autor Jochen Bittner formuliert: "Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie hält Lehren bereit. Und was rechter und linker Totalitarismus historisch gemeinsam hatten, war die Grundannahme, man lebe in einer Ausnahmezeit, in der herkömmliche Regeln des Anstands, der Verfassung, nicht mehr beachtet werden müssten."

Über die Kolumnistin 

Julia Ruhs ist Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt. Sie will denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfinden und sich oft allein fühlen mit ihrer Meinung. Wenn alle das gleiche zu denken scheinen, verspürt sie Unwohlsein.

Deshalb finde ich, gerade wenn es um eine "gute Sache" geht, müssen wir erst recht vorsichtig sein! Oder wie der Philosoph Karl Popper warnte: Gerade die Utopie, das Streben nach einer Vervollkommnung der Welt ist gefährlicher, als viele glauben.

Popper war einst selbst radikaler Sozialist, bezeichnete sich für einige Wochen sogar als Kommunist, wandte sich dann aber vehement von dieser Ideologie ab. Seitdem warnte er vor politischen und religiösen Heilslehren. Hielt die Idee einer perfekten Gesellschaft, die durch eine Elite oder eine Partei verwirklicht wird, für zutiefst gefährlich. Er sagte einmal folgende Worte:
"Von allen politischen Ideen ist der Wunsch, die Menschen vollkommen und glücklich zu machen, vielleicht am gefährlichsten. Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle."

Nur ja keine Gruppen diffamieren

Dass die Medien in Deutschland "auf der Seite des Guten kämpfen", wie mir ein Leser schrieb, will ich auf den folgenden Seiten etwas genauer unter die Lupe nehmen. Was ist dran an diesem Vorwurf? Ich habe ein paar Fälle herausgesucht – von der Flüchtlingskrise über den Klimawandel bis hin zum "Kampf gegen rechts".

Beim Lesen des Buches von Caroline Bosbach, CDU-Politikerin, bin ich auf ein gutes Beispiel gestoßen. Sie erzählt darin, wie sie die Flüchtlingskrise erlebt hat. Zwischen 2015 und 2017 jobbte sie als Studentin in den Küchen und Ausgabestellen am Flughafen Tempelhof, der größten Flüchtlingsaufnahme Berlins.

Rückblickend, so schreibt sie, habe sie am meisten die Diskrepanz zwischen ihren eigenen Erlebnissen und dem medial vermittelten Bild geprägt. Was Deutschland medial zu sehen bekommen habe, seien damals fast ausschließlich Familien mit kleinen, süßen Kindern gewesen. In Wirklichkeit waren aber die meisten junge Männer. Und die hatten teilweise ein fragwürdiges Frauenbild.

"Ich erlebte junge Männer, die sich schon bei der Frühstücksausgabe alles andere als freundlich, dankbar oder erleichtert zeigten, die Angebote verächtlich zurückwiesen und auch mal mit dem Essen nach uns warfen. Jungen und Männer, die vor uns ausspuckten", schreibt Bosbach.

"Wer verschließt schon seine Augen vor hilfsbedürftigen Kindern?"

Und sie fährt fort:

"Bei dieser Form der 'Berichterstattung' unterstelle ich zugunsten der Medien, dass sie dabei mal ein edles Motiv hatten. Sie wollten offensichtlich die Akzeptanz der Bevölkerung für die Aufnahme der Flüchtlinge erhöhen. Wer verschließt schon seine Augen vor armen, hilfsbedürftigen Frauen und Kindern? Erreicht haben die Medien mit dieser Strategie, dass dem aufmerksamen Publikum schon nach wenigen Monaten klar wurde, dass viele Berichte nicht die ganze Wirklichkeit widerspiegelten, sondern nur einen kleinen Ausschnitt. Wer im Herbst 2015 das Fernsehen einschaltete, musste nach einigen Minuten tatsächlich glauben, dass überwiegend Ärzte und Ingenieure kamen, die selbstverständlich nach kurzer Zeit in der Lage sein würden, ihren Lebensunterhalt durch eigener Hände Arbeit zu verdienen. Solche Preziosen gab es tatsächlich, aber nur in minimalem Umfang."

Das ist nicht nur der Eindruck von Caroline Bosbach. Oder der von vielen Ehrenämtlern in der Flüchtlingshilfe. Sondern eine Mehrheit der Deutschen war 2015 der Ansicht, dass die Medien kein zutreffendes Bild der Flüchtlinge zeichnen. Das hat eine repräsentative Allensbach-Umfrage im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herausgefunden. Nur ein Viertel der Bevölkerung glaubte Ende 2015, dass die Medien ein korrektes Bild des Bildungsniveaus und des Anteils von Familien und Kindern unter den Flüchtlingen vermitteln würden.