Hoeneß kannte Olise nicht – jetzt ist Bayerns Transfer-Volltreffer der Maßstab

Im geschwätzigen Fußballgeschäft, das sich gerne der eigenen Großartigkeit versichert, bildet Michael Olise einen Gegenentwurf zu all dem Palaver: Er spricht lieber gar nicht und, wenn’s unbedingt sein muss, lieber mit den Füßen. 

Wer eine Affinität zum Rennsport hegt, dem könnte auch der frühere Formel-1-Schweiger Kimi Räikkönen in den Sinn kommen. Räikkönen kultivierte vor allem drei Antworten im Standardbaukasten des mundfaulen Minimalisten. Yes. No. I don’t know. Olise verzieht selten eine Miene, aber bei diesem Ausbruch an Mitteilsamkeit dürften seine Augen leuchten.

Olise – der Bayern-Volltreffer, den Hoeneß nicht kannte

Der 23 Jahre alte Flügelstürmer des FC Bayern ist in mancher Hinsicht ein besonderer Typ mit besonderer Persönlichkeit. Als Sohn einer französisch-algerischen Mutter und eines nigerianischen Vaters wurde er in London geboren und übersiedelte 2024 nach Deutschland; so viele kulturelle Einflüsse kreuzen sich, dass Olise nicht einmal fließend Französisch kann, obwohl er für die französische Nationalmannschaft spielt (acht Länderspiele, zwei Tore). 

Olise ist ein Volltreffer des oft und harsch gerügten Münchner Transferausschusses um Sportvorstand Max Eberl. Rund 53 Millionen Euro zahlte der FC Bayern an Crystal Palace, um einen Profi zu verpflichten, den Uli Hoeneß „überhaupt nicht“ kannte. Eberl kannte ihn. Gottlob für die Bayern.

Michael Olise (gesprochen: Maikel Olisse) durchlief die Jugendakademien von Arsenal, Chelsea und Manchester City, ehe er zum FC Reading wechselte und von dort zu Crystal Palace. In seiner ersten Bayern-Saison verpasste er nur ein einziges (!) Pflichtspiel in allen Wettbewerben, allein in der Bundesliga summierten sich 12 Tore und 18 Vorlagen.

Olise prägt den FC Bayern auch bei der Klub-WM

Aktuell, bei der Klub-WM in den USA, steht Olise schon wieder bei fünf Scorerpunkten, drei Treffer, zwei Assists, zuletzt entschied er die Partie gegen Boca Juniors (2:1). Sein üblicher Jubel kontrastierte die hitzige Atmosphäre wie eine ironische Note: ein Zeigefinger an die Wange, der andere auf den Mund. Wobei die Frage blieb, wen genau er zum Schweigen veranlassen wollte. Die Boca-Fans. Oder sich selbst. 

Im Gespräch mit Bayerns Vereinsmagazin etikettierte sich Olise als „Spieler, der gern angreift, den Gegner attackiert und unter Druck setzt“. Das proaktive Dogma von Bayern-Coach Vincent Kompany harmoniere mit seinen Eigenarten, „man muss immer auf Angriff bleiben, darf sich nicht mal für einen kurzen Moment zurücklehnen“. Dabei „verlasse ich mich häufig auf meinen Instinkt und mache das, was sich richtig anfühlt“.

Olise versprüht Finesse, Witz und Esprit, er verbindet die Ingredienzien mit Geschmeidigkeit und einer mutigen, frechen Attitüde. Erstaunlich oft glücken ihm riskante Elemente; wenn er etwa kühne Dribblings wagt, zackige Steckpässe einstreut oder Bälle mit einem Kontakt weiterleitet. Und natürlich, wenn er von der Seite ins Zentrum kurvt, um mit seinem starken linken Fuß abzuschließen. Der Vergleich zur Bayern-Vergangenheit fällt nicht schwer: „Vielleicht hat das etwas Ähnlichkeit mit der Finte von Arjen Robben.“

Williams, Barcola, Leao – Bayerns Maßstab heißt Olise

Gewissermaßen ist Olise eine bessere Ausgabe von Leroy Sané. Den künftigen Galatasaray-Star verdrängte er auf der rechten Flanke rasch, speziell in puncto Effizienz und Konstanz. Das war bemerkenswert für eine erste Saison beim FC Bayern, gerade unter der Prämisse, dass Olise zwar in der englischen Premier League, aber zuvor bei keinem Top-Club gespielt hatte. Bis auf wenige Hänger meisterte er das neue Niveau problemlos, mehr noch: Er hob es.

Michael Olise mag kaum reden, dafür hat er markige Statements gesetzt. Durch Sanés Abgang braucht Bayern einen neuen Flügelstürmer, Nico Williams (Bilbao) wird es vermutlich nicht, Bradley Barcola (Paris) und Rafael Leao (Milan) gelten als heißeste Kandidaten. Vielleicht auch Dortmunds Jamie Gittens. Egal, wer’s am Ende wird: Der Gradmesser heißt jetzt Olise. Weiß inzwischen auch Uli Hoeneß.