Meinungsbeitrag von Psychologin Lackner - Parteiprogramm unter der Lupe (Teil 5) - wie die AfD Bildung neu gestaltet will

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Jens Büttner/dpa Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechtsextremismus - aber wie steht die AfD wirklich zum Thema? Psychologin Martina Lackner geht tief ins Parteiprogramm.
Samstag, 10.08.2024, 07:00

Im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Psychologin Martina Lackner analysiert verschiedene Schwerpunkte aus dem Parteiprogramm der AfD und entlarvt dadurch psychologische Tricks der rechten Partei - dieses Mal beim Thema Bildung.

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Was sagt das Parteiprogramm der AfD zum Thema Bildung?

Ich muss gestehen, wäre das mein erster Auszug aus dem Parteiprogramm der AfD gewesen, das ich unter die psychologische Lupe genommen habe, hätte ich dem Parteiprogramm sogar einiges abgewinnen können.

Auszug aus dem Programm: „Mut zur Leistung statt Akademisierungswahn. Ein leistungsorientiertes, differenziertes Bildungswesen ist die Grundlage unseres Wohlstands und wesentlicher Bestandteil unserer Kultur. Während seit Jahrzehnten jedoch die Abiturientenquote immer weiter steigt, fehlen den Auszubildenden und Studienanfängern grundlegende Kenntnisse und Fähigkeiten. Seit dem PISA-Schock vor 20 Jahren jagt eine Reform die andere, mit ständiger weiterer Absenkung des Niveaus. (...) Die Bildungsstandards aller Schulformen und Bildungseinrichtungen müssen wieder auf das Niveau einer führenden Wissenschafts- und Industrienation gehoben werden.“

Dass das Bildungsniveau gesunken ist, liegt an dem Narrativ, dass alle gleiche Chancen haben sollen. Ein im Prinzip zutiefst sozialer Gedanke. Nur in der Realität hat dieser Gedanke Nebenwirkungen: Nehmen wir eine Schulklasse mit 20 Kindern, davon sprechen ein Drittel wenig oder nur sehr rudimentär Deutsch. Von den verbleibenden zwei Dritteln der Muttersprachler sind ein Drittel durchschnittlich intelligent und haben aus Elternhaus und Kindergarten einige Grundfertigkeiten wie Schreiben, Lesen und Rechnen mitgebracht.

Das restliche Drittel ist klug oder besonders begabt. Auf welches Niveau wird die Lehrkraft aufsetzen? Klar, auf dem schwächsten Glied in der Kette. Die besonders Klugen und Intelligenten langweilen sich, während das erste Drittel mit dem Erlernen der deutschen Sprache beschäftigt ist. Das führt dazu, dass Leistungswillige und Leistungsfähige sich selbst überlassen werden. Wer kann, braucht ja nicht viel Hilfe oder Förderung. So geht es weiter: Die Begabten bleiben weit unter ihrem Leistungsvermögen, während die Aufholenden weiter im Rückstand sind.

Über die Psychologin Martina Lackner

Martina Lackner ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Autorin und Expertin für gesunde Machtstrategien. In ihren Artikeln und Denkanstößen nimmt sie regelmäßig Stellung zu aktuellen Karriere- und gesellschaftspolitischen Themen. Lackner ist Inhaberin der PR Agentur Cross M.

Was weiter dazu führt, dass im Sinne der Gleichmacherei viele zum Abitur kommen, weil der Standard gesenkt wird, um denjenigen, die aufholen müssen (sprachlich oder intellektuell), eine Chance zu geben. Dieses Prinzip setzt sich bis zum Hochschulstudium fort. Dort wird dann eine erste Auslese betrieben, entweder durch den NC oder durch ein mittelmäßiges Anspruchsniveau, bei dem die Aufholenden nicht mithalten können.

Aussortiert wird, indem Klausuren dementsprechend konzipiert werden, oder Wiederholungsklausuren nur in großen Abständen wiederholt werden. Zwar kann man durch Fleiß und Disziplin einiges wettmachen, aber Talent und Intelligenzquotient sind naturgegeben.

Wenn man von gleichen Chancen spricht, macht man den Fehler zu glauben, dass alle das gleiche intellektuelle Rüstzeug mitbringen. Die Förderung kann immer nur auf dem Niveau stattfinden, auf dem sich jemand befindet. Dazu braucht es allerdings, wie die AfD fordert, ein: mehrgliedriges Schulsystem.

Auszug aus dem Parteiprogramm: „Mehrgliedriges Schulsystem erhalten. Bildungsgerechtigkeit erfordert Differenzierung, nicht Gleichmacherei. Effizientes Lehren und Lernen ist nur möglich, wenn die Leistungsunterschiede zwischen den Schülern innerhalb einer Schulform begrenzt bleiben. Wir befürworten daher ein differenziertes, aber durchlässiges Schulsystem, das den unterschiedlichen Begabungen der Schüler gerecht wird. Das Abitur muss wieder zum Ausweis der Studierfähigkeit werden, der Haupt- oder Realschulabschluss zu qualifizierter Berufsausbildung befähigen. Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulen) sind eine sinnvolle Ergänzung des staatlichen Bildungswesens."

Wir haben durch dieses Narrativ in Deutschland ein Denkverbot in Richtung Elite. Elite, welcher Couleur auch immer, bedeutet auch, den Schwerpunkt auf Begabtenförderung und Talente zu setzen. Spitzenförderung ist unumgänglich, um in allen Bereichen auf dem Niveau anderer Industrienationen mitzuhalten. Deutschland ist im Bildungsbereich und auch anderswo mittelmäßig geworden, schwebt aber noch im Glauben, was man in Deutschland alles kann. Hier scheint es eine verzerrte Wahrnehmung zu geben: zwischen dem Bild was man glaubt, zu können und dem Bild, was tatsächlich an Wissen und Leistungsvermögen da ist.

Der Glaube an die Gleichmacherei und keine Spitzenförderung (das erkennt man z.B. an der Ausstattung der Unis, an den mageren Budgets für die Hochschulen ...) hat seine Ursache im Gedanken des Sozialstaats. Zudem sehe ich auch eine Verbindung zu den Konsequenzen des Nationalsozialismus. Hochtalentierte Menschen haben in dieser Zeit das Land verlassen, und viele andere nach ihnen haben den Weg nach Deutschland nicht mehr gefunden.

Es wirkt fast skurril, wenn eine rechtsextreme Partei auf Leistungsträger setzt. Denn eben diese Leistungsträger sind ins Exil gegangen. Und welche Leistungsträger wählen freiwillig Deutschland, wenn sich hier weiter rechtsextremes Gedankengut ausbreitet?

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Was bedeutet das? Auf der faktischen Ebene tut man in Deutschland wenig, um Talente zu bekommen oder sie ins Land zu locken. Tiefenpsychologisch gesehen, könnte man die These aufstellen, dass Deutschland mit Talenten und Spitzenkräften wieder zu einer starken Nation aufsteigen könnte.

Hier beginnt das innerpsychische Dilemma dieses Landes. Deutschland wird immer noch mit der alten Schuld konfrontiert, wie bereits in vorhergehenden Artikeln beschrieben. Deutschland darf aus der Sicht der Weltgemeinschaft nicht zu stark werden (erkennbar an immer wiederkehrende Reparationsforderungen, oder am Verhaltenskodex in Bezug auf den Israel-Konflikt).

Also hat man sich unbewusst das Verbot gegeben, nicht nach zu viel Macht durch Wissenschaft, Intellektualität und andere Errungenschaften zu streben. Man befolgt immer noch ein unausgesprochenes Verbot. Psychologisch gesehen könnte man hier von einem Machttabu sprechen: Innerhalb der Weltgemeinschaft eine Machtposition einzunehmen.

Gleichzeitig erwartet die Welt, dass sich Deutschland z.B. im Ukraine-Konflikt mit Waffen „einschaltet“. Psychologisch gesehen sind das Doppelbotschaften, sogenannte „double binds“. In diesem psychischen Konstrukt gibt es kein „Vor und kein Zurück“: es kommt zum Stillstand. „Sei stark, aber bleibe schwach“, ist hier das Credo an Deutschland. 

Zurück zum Parteiprogramm. An diesen Stellen kommt es zum Widerspruch mit anderen Forderungen oder sie klingen nach Zucht und Ordnung:

Auszug aus dem Parteiprogramm: „Das Klassenzimmer darf kein Ort der politischen Indoktrination sein. An deutschen Schulen wird oft nicht die Bildung einer eigenen Meinung gefördert, sondern die unkritische Übernahme ideologischer Vorgaben. Ziel der schulischen Bildung muss jedoch der eigenverantwortlich denkende Bürger sein.“

Das Zielbild des eigenverantwortlich denkenden Bürgers konterkariert die Forderung, z.B. Gender-Studies abzuschaffen. Wie kann man eigenverantwortlich denkende Bürger haben wollen und ihnen gleichzeitig vorschreiben, welche Art der Forschung ihnen verweigert werden soll? Das ist ein Widerspruch in sich.

Auszug aus dem Parteiprogramm: „Leistungsbereitschaft und Disziplin sind Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensvermittlung. Die Erziehung der Schüler dazu ist in erster Linie Aufgabe der Eltern. Das entsprechende Verhalten der Schüler kann nur durchgesetzt werden, wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird. Schulverweigerung, Null-Bock-Mentalität, Disziplinlosigkeit, Mobbing und Gewalt in der Schule sind nicht zu tolerieren.“

Was sind aus Sicht der AfD geeignete Maßnahmen, um die angeführten Verhaltensweisen der Schüler zu korrigieren? Rohrstock, Nachsitzen, Ausschluss? Der Analyse würde ich beipflichten, aber die Ursachenbekämpfung wäre für mich der Ansatzpunkt. Wir wissen, dass das Elternhaus eine tragende Rolle bei der Erziehung der Kinder spielt. Wenn die Eltern selbst orientierungslos sind, überfordert mit der Komplexität und den Anforderungen des Lebens, selbst keine Werte mehr vermitteln können, welche Maßnahmen sollen hier schulisch greifen?

Damit meine ich nicht, dass das Schulsystem nicht hinterfragt werden soll. Aber mein Denkansatz geht in Richtung: Wie muss der Lehrstoff vermittelt werden, sodass Schule Spaß macht? Welche neuen Lehrmethoden, Prüfungsmethoden, Lehrmaterialien oder digitalen Möglichkeiten müssen eingesetzt werden?

Das Schulsystem in Deutschland ist komplett veraltet. Hier brauchen wir eine Reform und Bildungsoffensive. Nur ein gebildetes Volk kann in die Moderne gehen. Aber gebildete Menschen muss man auch in Demokratien wollen. Zu viele talentierte und gebildete Menschen stellen eine Gefahr dar. Sie blicken hinter die Kulissen und sind Störvariablen. 

Insofern wirkt das Bildungs-Programm trotz einzelner guter Ansätze widersprüchlich und unglaubwürdig. Man nimmt der AfD nicht wirklich ab, dass sie ein gebildetes Volk haben möchten.

Psychologin scannt Parteiprogramm der AfD auf Tricks

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Dieser Text stammt von einem Experten aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.