Meinungsbeitrag von Psychologin Lackner - Parteiprogramm unter der Lupe (Teil 3) - wie die AfD das Thema Freie Bürger instrumentalisiert
Im September stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Psychologin Martina Lackner analysiert verschiedene Schwerpunkte aus dem Parteiprogramm der AfD und entlarvt in Teil 3 der Serie psychologische Tricks der rechten Partei beim Thema Freie Bürger oder Untertanen.
Sehr geehrte Leserschaft, folgen Sie mir wieder durch das Grundsatzprogramm der AfD und entdecken Sie mit mir die Widersprüchlichkeiten, Faktenverdrehungen, Manipulationsstrategien und vieles mehr. Ich schenke Ihnen meine psychologische Brille, damit Sie besser verstehen und erkennen können. Nun ich bin über die Präambel im Grundsatzprogramm gestolpert. Hier finden Sie gleich zu Beginn:
MUT ZU DEUTSCHLAND. FREIE BÜRGER, KEINE UNTERTANEN.
Auszug aus dem AfD Parteiprogramm: Wir sind Liberale und Konservative. Wir sind überzeugte Demokraten. (..) Als freie Bürger treten wir ein für direkte Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit, soziale Marktwirtschaft, Subsidiarität, Föderalismus, Familie und die gelebte Tradition der deutschen Kultur.
Verwunderung hat sich in meinem Kopf breit gemacht. Vor allem die Wörter „Liberale“ und „überzeugte Demokraten“. Nun, hätte ich in meinen letzten Beiträgen nicht schon einige Passagen durchleuchtet, wäre ich hier angesprungen. In der Tradition eines demokratischen Systems groß geworden, bin ich von meinem Wesen überzeugte Demokratin. Warum, so habe ich mir die Frage gestellt, kann ich dieser Partei weder Demokratiebestrebungen abnehmen, geschweige denn Liberale unter den Verfassern dieses Manifests vermuten?
Ich muss jetzt keine Passagen aus meinen letzten Artikeln wiederholen, um zu beweisen, dass so manche Aussagen im Grundsatzprogramm der Einleitung der Präambel widersprechen. Stichwort Abschaffung von Gender-Studies.
Über die Psychologin Martina Lackner
Martina Lackner ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Autorin und Expertin für gesunde Machtstrategien. In ihren Artikeln und Denkanstößen nimmt sie regelmäßig Stellung zu aktuellen Karriere- und gesellschaftspolitischen Themen. Lackner ist Inhaberin der PR Agentur Cross M.
Von liberalem Gedankengut war bisher nicht viel zu merken
Was mich vielmehr beschäftigt, ist die Frage, warum sich diese Partei einen liberalen und demokratischen Anstrich geben möchte? Nun, es gibt dafür einen wunderbaren Begriff: „Euphemismus“, den ich hier ins Spiel bringen möchte. Euphemismen sind Wörter, die verwendet werden, um ein unangenehmes Wort durch ein Positives zu ersetzen, oder sie dienen zur Verschleierung von Tatsachen. In diesem Fall würde ich auf Verschleierung tippen: Die Auszüge des Parteiprogramms der AfD, denen ich mich bisher gewidmet habe, sind an einigen Stellen voll von undemokratischen Äußerungen.
Es ist fast so wie in der Werbung. Beliebtes Thema: wie viele Reichweite in km haben eigentlich E-Autos? Nun in der Regel nicht die, die man uns glauben lassen möchte. Sie sind eher eine Verkaufsstrategie. Und so ist es auch hier: Eine Verkaufsstrategie mit Verschleierungscharakter. Um zu wissen wie viel E-Autos Reichweite haben, rate ich zu Testfahrten, im Sommer, im Winter, mit und ohne Klimaanlage. Um ein Gefühl für demokratische Aussagen in diesem Grundsatzprogramm zu bekommen, rate ich zu einer Testleserschaft. Checken Sie nach Widersprüchlichkeiten, Euphemismen, und nach Reframing. Sie erinnern sich? Siehe meine letzten Artikel.
Und dann bin ich über den Begriff „Untertanen“ gestolpert. Ein in der deutschen Sprache nicht ganz geläufiges Wort. Vermutlich wollte der Verfasser damit den konträren Punkt zum freien Bürger herausstellen, den das Programm ansprechen sollte. Zumindest suggeriert der Begriff, dass wir alle in „Knechtschaft“ leben und die AfD uns aus dieser Knechtschaft befreien wird.
Ein psychologisch interessantes Konstrukt. Ein demokratisches Rechtssystem lässt sich nicht mit Knechtschaft vereinbaren. Als Psychologin kann ich noch mit dem Gefühl mithalten, das Menschen haben, wenn sie in Gehorsam an ein System gebunden werden. Während Corona sich gegen Impfungen zu stellen, hieß ungehorsam zu sein, sich außerhalb des Mainstreams zu bewegen. Unangenehme Wahrheiten auszusprechen und gar zu schreiben, heißt sich politisch inkorrekt zu verhalten. In Deutschland gibt es Regeln, einen Verhaltenskodex, das unausgesprochen Systemtreue verlangt.
Die Tools, mit denen unsere politische Elite arbeitet, sind vor allem Angst, und Schuldinduktionen. Fehlerkultur Fehlanzeige. Wer sich nicht impfen hat lassen, war nahe daran, ein „Tötungsdelikt“ zu begehen, zumindest eine „Körperverletzung“, wenn das Gegenüber sich durch Impfverweigerung den Virus eingefangen hat. Ich übertreibe. Ja, aber Menschen hatten dieses Gefühl.
Die Einleitung in der Präambel der AfD geht damit auf die emotionale Schiene und spricht einen Schmerz an, den der geknechteten Deutschen, die gefühlt auf Gehorsam gedrillt wurden und nun in die Freiheit gehen wollen: klar mit der AfD. Das Untertanen-Thema hat Geschichte. Lange vor dem 3. Reich war die deutsche Gesellschaft militärisch geprägt. Von Bismarck über Wilhelm den II, der eine aggressive Außenpolitik betrieben hat, gefolgt vom 1. Weltkrieg. Das deutsche Volk hat über Jahrhunderte hinweg gelernt, sich einzugliedern, militärischen Drill zu erfahren und ist im Gehorsam erzogen worden. Und das wirkt bis heute. Auf beiden Seiten, sowohl auf der Seite der Regierenden als auch auf der Seite der Gesellschaft.
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Der Druck sich anpassen zu müssen, und Politiker, die klar in einem demokratischen System den Anpassungsdruck erzeugt haben. Dieser Druck setzt sich fort über alle Milieus und Gesellschaftsschichten. Wer sich außerhalb des jeweiligen Denk-und Verhaltensmusters bewegt, stößt auf Grenzen, und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit sanktioniert. Stichwort mediale Abstrafung oder Hasskommentare im Netz. Der vor Generationen schon erzeugte Anpassungsdruck hat vor allem auf der Gefühlsebene seine Wirkung gezeigt. Sigmund Freud erklärt in seinem Konzept der Transgenerationalen Übertragungen sehr gut, wie sich Traumata über die Generationen hinweg als Gefühlserbschaft weiter fortsetzen.
Und so ist es auch mit dem Drill nach Gehorsam, der zwar in Kriegszeiten unumgänglich war, aber schon lange obsolet ist. Der lange Arm der Vergangenheit wirft immer noch seinen Schatten auf die deutsche Seele in der Gegenwart.
Die AfD steht in der Tradition einer alten Heeresordnung, ein Zeichen von Rechtsextremismus, und hat bewusst den Begriff Untertanen gewählt. Eine Botschaft ans Volk, aber mit zweideutiger Aussage. Wer sich selbst als Untertan sieht und zumindest suggeriert, dass man sich davon befreien muss, oder den „Gefühlsnerv“ des Volkes treffen will, kennt das Konzept von beiden Seiten: Selbst Untertan zu sein, oder zu herrschen, um Untertanen zu befehligen.
Hier liegen Opfer und Täter Mindset sehr eng beieinander. Was das bedeuten könnte, sollte die AfD im Laufe der nächsten Wahlen Mehrheit erlangen, überlasse ich Ihrer Fantasie. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir tiefer in die Materie von Programmen einsteigen müssen, um Botschaften wirklich zu verstehen. Aus reiner Abneigung gegen herrschende Parteien rechts außen zu wählen ist zu wenig, Sie müssen wissen, was genau Sie eigentlich wählen.
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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.