„Relikt“: Medaillenspiegel bei ARD und ZDF kaum zu sehen - das sind die Gründe
Der Medaillenspiegel bei Olympia verliert im TV an Bedeutung. ARD und ZDF setzen andere Prioritäten und nennen ihre Argumente.
Paris – Die Olympischen Sommerspiele 1976 in Montreal wecken bei vielen deutschen Sportbegeisterten nostalgische Erinnerungen an die „guten, alten Zeiten“. Diese Spiele waren, gemessen an den gewonnenen Medaillen, die erfolgreichsten in der deutschen Sportgeschichte. Mit unglaublichen 90 Medaillen (40 Gold, 25 Silber, 25 Bronze) belegte die DDR den zweiten Platz hinter der Sowjetunion, während die Bundesrepublik mit 39 Medaillen (10/12/17) den vierten Platz erreichte.
Nur einmal am Abend wird der Medaillenspiegel im TV gezeigt
Hätten die beiden deutschen Staaten gemeinsam teilgenommen, hätten sie unabhängig von der Zählweise den ersten Platz belegt. In Europa wird der Medaillenspiegel nach der Anzahl der Goldmedaillen sortiert, während in den USA die Gesamtzahl der Medaillen zählt. Es existiert auch ein ewiger Medaillenspiegel.

Die Berichterstattung über die Olympischen Spiele hat sich jedoch im Laufe der Jahre verändert. Der Medaillenspiegel scheint in der Fernsehberichterstattung über die aktuellen Spiele in Paris 2024 weniger im Fokus zu stehen. Obwohl ARD und ZDF stundenlang über Olympia berichten, wird der Medaillenspiegel nur einmal am Abend kurz vor Mitternacht gezeigt. „In der Tat blicken wir in den TV-Sendungen weniger auf den Medaillenspiegel als früher“, bestätigte eine Sprecherin der ARD gegenüber DWDL.de.
Medaillenspiegel als „Relikt des Kalten Krieges“
Lutz Thieme, ein Sportwissenschaftler, betrachtet das Ranking sogar als ein „Relikt des Kalten Krieges“, das Länder und Systeme anhand ihrer Leistungsfähigkeit vergleicht.
Auch der DOSB legt nicht nur Wert auf die ersten drei Plätze. Dank zahlreicher Top-10-Platzierungen performt das deutsche Team laut Olaf Tabor „auf internationalem Spitzenniveau“.
Auch die Sportler vermissen den Medaillenspiegel nicht
Die Sportler selbst scheinen ebenfalls gut ohne die Berichterstattung des Medaillenspiegels auszukommen, da dieser das gesamte Team unter Druck setzt. Beachvolleyballerin Karla Borger äußerte bereits vor drei Jahren im Deutschlandfunk: „Ich wünsche mir einen ehrlichen, einen sozialen Sport und dass dieser Fokus eben auf der Freude am Sport treiben liegt. Und dass wir uns auf den Weg konzentrieren und nicht, ob dann am Ende eine Medaille rauskommt oder nicht.“
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Bereits bei den Spielen in Tokio vor drei Jahren war die Medaillenbilanz Deutschlands mit 37 Medaillen eher durchwachsen, ähnlich wie jetzt. Ob das eher bescheidene Abschneiden in Bezug auf Medaillen dazu beiträgt, dass ARD und ZDF den Medaillenspiegel weniger in den Vordergrund stellen, bleibt offen. Man könnte sich fragen, wie die Berichterstattung aussehen würde, wenn Deutschland überraschend an der Spitze läge.
Bewusste Entscheidung von ARD und ZDF gegen den Medaillenspiegel
Die ARD betonte jedoch, dass die Entscheidung, weniger auf den Medaillenspiegel zu blicken, bewusst getroffen wurde. Die Tabelle mit den vielen Zahlen sei im Web-Browser besser zu verstehen als im Fernsehen. Auf der Sportschau-Website ist der Medaillenspiegel weiterhin prominent platziert. Der Spiegel bildet jedoch „nur einen Ausschnitt der Leistungen ab.“ Es wird weiterhin betont: „Im sportlichen Weltklasseumfeld sind vierte, fünfte oder auch achte Plätze herausragende Leistungen, die nicht in den Medaillenspiegel einfließen.“
Auch das ZDF möchte bewusst weniger Augenmerk auf das Ranking legen. „Die Aussagekraft des Medaillenspiegels sollte nicht überschätzt werden“, erklärte Sportchef Yorck Polus zu Ippen.Media. „Für uns ist es in der journalistischen Berichterstattung wichtig, die Athletinnen und Athleten an dem zu messen, was sie sich vorgenommen haben. Wenn jemand mit persönlicher Bestleistung Fünfter wird, ist das zum Beispiel ein Erfolg, der sich nicht im Medaillenspiegel niederschlägt.“ Ippen.Media hat auch bei ARD um eine ausführlichere Antwort gebeten, bisher jedoch keine Antwort erhalten. (cgsc)