Messerattacke auf der Tanzfläche: „Wollte nicht die kleine, alte Witzfigur sein“

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Im Strafjustizzentrum in München wird der Prozess verhandelt © dpa

Ein 67-jähriger Mann aus Grafing muss sich derzeit wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht München II verantworten. Im Juni vergangenen Jahres war er beim Kneipenfest auf einen Mittänzer losgegangen, von dem er sich provoziert fühlte. Er fügte ihm acht Schnitte am Hals zu, die glücklicherweise nur oberflächlich waren. Zu Prozessauftakt bereute er seine Attacke.

Grafing/München – Eigentlich schnitt er mit seinem Taschenmesser nur den Radi zur Brotzeit – doch im Juni vergangenen Jahres drehte ein 67-Jähriger aus Grafing völlig durch. Beim Kneipenfest verletzte er einen 50-Jährigen mit acht Schnitten am Hals. „An dem Abend dachte ich, ich sterbe“, erinnerte sich gestern das Opfer als Zeuge vor dem Landgericht München II. Dort begann der Prozess gegen den Tatverdächtigen, der seither in Untersuchungshaft saß. Die Anklage: versuchter Mord.

Verteidigerin las Erklärung vor

Zusammen mit seiner Anwältin hatte er eine Erklärung erarbeitet, die so gar nicht nach einem geplanten Mordversuch klang. Demnach hatte er sich von dem späteren Opfer provoziert gefühlt. Während der Grafinger, ein absoluter Musik-Freak und selbst ernannter Alt-68er, ausgelassen über die Tanzfläche „gehüpft und gezappelt“ war, ließ sich auch das spätere Opfer, ein schon lang in Grafing lebender Franzose, zu einem wilden Tanz hinreißen.

Der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt schon sechs Flaschen Bier getrunken hatte, fühlte sich provoziert und ärgerte sich. Immer wieder stand er von seinem Platz auf und ging tanzen und immer wieder zog er sich zurück und ärgerte sich darüber noch mehr. „Ich wollte nicht wie ein alter Löwe den Rückzug antreten“, las seine Verteidigerin aus der Erklärung vor – und: „Dann kam Hitze in mir hoch und ich wollte nicht die kleine, alte Witzfigur sein.“

Mit dem Messer herumgefuchtelt

In seiner Erinnerung zog er aus Wut und Frust das Messer aus der Tasche und fuchtelte vor seinem Kontrahenten herum. Er traf ihn am Hals, acht Mal, die Schnitte waren zwar bis zu 17 Zentimeter lang, zum Glück aber nur oberflächlich. Jemand schrie „ein Messer“, dann wurde der Täter vom Opfer zu Boden gerungen und knallte mit dem Kopf auf einen harten Gegenstand. Von da an erinnerte er sich an nichts mehr.

Als er im Gefängnis in der Anklage las, dass er sein Gegenüber hätte töten können, wurde ihm schlecht. Das hätte er niemals gewollt. „Es tut mir leid, dass ich ihn verletzt habe“, sagte der Angeklagte. „Ich bin doch ein Alt-68er, Peace, Love und Happiness“, fügte der Mann mit dem schwarzen Kapuzen-Pulli der Rolling Stones-Tour von 1976 beinahe entschuldigend an.

4000 Euro Täter-Opfer-Ausgleich

Von seiner Rente über 500 Euro monatlich ließ er bereits 4000 Euro als Täter-Opfer-Ausgleich an den Anwalt des Geschädigten zahlen. Er selber bestrafe sich damit, dass er in der Haft keine Musik höre, berichtete er. In den ersten Monaten habe er seine Zelle nicht verlassen – aus Angst vor den anderen Häftlingen. „Der Vorwurf des versuchten Mordes macht mir schwer zu schaffen“, sagte er und begann zu weinen.

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Im Zuschauerbereich liefen seiner Tochter die Tränen über das Gesicht. Der 50-jährige Angegriffene erinnerte sich noch gut an die schaurige Nacht. Eigenen Angaben zufolge hatte er vier Bier und eine Weinschorle getrunken. Als Musikliebhaber fand er auf dem Kneipenfest erst am späteren Tatort die richtige Stimmung. Er ratschte noch mit der Sängerin, traf Grafings Bürgermeister. Seinen Peiniger will der Ingenieur vor den Schnitten gar nicht wahrgenommen haben.

Opfer verneint provozierendes Tanzen

Das Opfer spürte plötzlich nur eine Nässe am Hals, sagte er aus. Als er hinlangte, war seine Hand voller Blut. Er geriet in Panik. Doch ein zufällig anwesender Arzt beruhigte ihn. Im Ebersberger Krankenhaus wurde er später ambulant behandelt. Dass er sehr wild getanzt hatte, konnte er nicht bestätigen. Auch keine Ausholbewegung mit dem Pullover. Er hätte ihn allenfalls wie einen Schal gehalten, „so wie Fans im Stadion“, sagte er. Zeugen hatten das anders beschrieben. Der Prozess dauert an.

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