Innovative Bodendrohnen: Ukraine lässt gegen Putin gefährliche Roboter vom Stapel

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Die Ukraine ist bereits im Besitz des Kampfroboters Themis. Weitere Start-ups finden im Krieg gegen Russland ideale Bedingungen, um ihre Robotik marktfähig zu machen. © IMAGO/Mykhaylo Palinchak/Zuma Wire

Sie transportieren Menschen genauso wie Munition. Vielleicht kämpfen sie in zehn Jahren Seite an Seite mit lebenden Soldaten – die Roboterarmee kommt.

Awdijiwka – Sein Leben befinde sich in der Schwebe, sagt Dmytro Mamonov. Der ukrainische Zivilist hat deshalb etwas ganz Bodenständiges entwickelt – eine Bodendrohne zum Transport von Verwundeten. Der Sender n-tv hatte über den Tüftler und seine elektrische Krankentrage berichtet als ein Beispiel für die Drohnenarmee, die im Ukraine-Krieg langsam immer breiteren Raum auch am Boden beansprucht. Die Ukraine bündelt ihre Innovationskraft offensichtlich in diesem Sektor, wie die Kyiv Post aktuell berichtet.

Den Mangel an Soldaten versucht die Ukraine gegen Wladimir Putin offenbar immer intensiver durch autonome Fahrzeuge (Unmanned Ground Vehicel, kurz UGV) zu kompensieren, vermutet beispielsweise der britische Telegraph: „Seit Monaten werden die Roboter von den ukrainischen Streitkräften für alle möglichen Zwecke eingesetzt, vom Abriss von Brücken über den Transport von Versorgungsgütern an die Front bis hin zur Evakuierung verwundeter Soldaten.“ Das deckt sich mit der Meldung der Kyiv Post, dem ukrainischen militärischen Innovations-Cluster „Brave1“ lägen beinahe 150 Anträge zur Förderung und Entwicklung von UGV vor.

Wendepunkt des Krieges: „Brave1“ sichtet Hunderte von Ideen neuer Drohnen

In diesen Fahrzeugen sieht „Brave!“ nach eigenen Angaben „den nächsten Wendepunkt“ des Krieges und eine Entwicklung, wie sie bereits die Drohnen in der Luft und zu Wasser genommen hatten. Der Telegraph spricht davon, „Brave1“ sichte „Hunderte von Ideen, Blaupausen und Prototypen ukrainischer Entwickler, die glaubten, dass sie helfen könnten“. Die Innovationskraft der Ukraine scheint eine aus der Not geborene Tugend zu sein – aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit Russlands und dessen Bereitschaft zu einem hohen Blutzoll, muss die Ukraine demnach den Krieg automatisieren.

Generell stelle sich im Fall der Ukraine immer die Frage, ob Drohnennutzung eher ein Experiment und aus der Not heraus geboren sei. Oder ob es sich schon um einen nachhaltig militärisch relevanten Innovationsschub handelt.

Bereits im August 2023 hatte der Telegraph darüber berichtet, dass die Ukraine eine Krankentrage zwischen zwei Kettentriebwerke montiert und an der Front getestet hatte. Bewegt wird das Vehikel von einer Handsteuerung, wie sie hierzulande für RC-Automobile verwendet wird. Es handelt sich um ein zweckentfremdetes Spielzeug, was ein wenig an die Geschichte vom „Flug des Phoenix“ erinnert, als ein Ingenieur für Modellflugzeuge ein in der Wüste notgelandetes Flugzeug neu konstruieren muss. Zwei Soldaten mit einer belegten Krankentrage benötigten ungefähr eine Stunde für einen Kilometer im Frontgebiet, sagt „Kylm“; laut dem Telegraph geht die Idee für den Krankentransport-Roboter auf diesen ukrainischen Soldaten zurück.

Nach einem Krankentransport durch ein Minenfeld und einem Beinahe-Unfall habe er einen Bekannten kontaktiert, sagte er dem Telegraph. „Es stellte sich heraus, dass er früher ferngesteuerte Spielzeugpanzer für Kinder gebaut hatte. Jetzt hat er sich neu ausgerichtet und unsere Tragen entwickelt“, sagte „Kylm“. Ihm zufolge seien die Kosten von fast 2000 Euro durch Crowdfunding zusammengekommen, und die Tragen seien in zwei Wochen an der Front einsatzbereit gewesen – ob der Telegraph und n-tv von demselben Entwickler und demselben Ergebnis sprechen, kann nicht überprüft werden; die Bilder und die Daten lassen aber die Vermutung zu.

Innovationsschub oder Spielzeug: Ukraine-Krieg als Versuchslabor militärischer Robotik

Über dieses „Spielzeug“ hinaus surren bereits verschiedene Modelle in verschiedenen Größen über das ukrainische Terrain – sie heißen beispielsweise „Fury“, „Ironclad“ oder „Sirko“; das letztgenannte Modell ist laut dem Magazin Armyrecognition gerade an die Front gekommen – und offenbar kaum größer als ein Rutschauto für Kinder – dafür aber leistungsfähig: „Die Sirko-S1-Drohnen sind für eine Vielzahl von Aufgaben konzipiert. Sie können bis zu 200 Kilogramm Güter über eine Entfernung von 2,5 Kilometer transportieren und erleichtern so die Lieferung von Munition, Proviant und Medikamenten an die Front. Darüber hinaus können sie zur Evakuierung Verwundeter vom Schlachtfeld eingesetzt werden.“

Ein ganz anderes Kaliber soll „Ironclad“ darstellen – ein Quad mit einem großkalibrigen Maschinengewehr. Laut dem ukrainischen Innovationsminister Mychajlo Fedorow soll die Waffe auch bereits russische Stellungen angegriffen haben – über den Erfolg fehlen aber jegliche Informationen. „Generell stelle sich im Fall der Ukraine immer die Frage, ob Drohnennutzung eher ein Experiment und aus der Not heraus geboren sei. Oder ob es sich schon um einen nachhaltig militärisch relevanten Innovationsschub handele“, sagte Frank Sauer im Februar gegenüber dem Spiegel. Der Politikwissenschaftler der Universität der Bundeswehr in München mit dem Schwerpunkt Autonome Waffensysteme beschreibt die militärische Robotik als komplexes Unterfangen.

Die Armee von morgen: Militärs rechnen mit einem Viertel an Roboter-Soldaten

„Aber die Topografie in Teilen der Ukraine mit viel flacher und wenig bewachsener Fläche scheint mir, anders als urbanes Gelände, eher günstig für den Einsatz solcher Drohnen“, sagt Sauer. Der Spiegel bleibt in seinem Urteil nüchtern: „Im Grunde sind diese Wagen nichts anderes als ferngesteuerte Modellautos mit einer Kamera.“ Vom Krieg der Terminatoren sind die Armeen noch weit entfernt. Jedenfalls hatte das Johann Frank im Jahr 2020 gegenüber dem österreichischen Standard behauptet: „Es ist aber natürlich ein Unterschied, ob es nur um die Entwicklung von Prototypen geht oder ob man moderne Technologien strukturell in die Organisation integriert hat. Bis ein entwickeltes und getestetes System eingeführt ist, dauert es mindestens zehn bis 15 Jahre“, sagte der Generalmajor vom österreichischen Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement.

Diese Auffassung wird offenbar geteilt: Ebenfalls 2020 mutmaßte der ehemalige Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte, in den 2030er-Jahren dürften Mensch und Maschine bereits Seite an Seite kämpfen: „Ich vermute, wir könnten eine Armee von 120.000 Mann haben, von denen 30.000 Roboter sein könnten“, sagte Mark Carleton-Smith gegenüber dem Sender Sky News, wie ihn verschiedene Medien zitieren. Möglicherweise wird der Ukraine-Krieg diese Entwicklung beschleunigen. Der Spiegel philosophiert sogar über kommende vernetzte Systeme – ein Vehikel wie „Ironclad“ müsste nicht einmal selbst schießen, sondern „Militärs einen digitalen Überblick über das Schlachtfeld ermöglichen“, um aufgrund ihrer Geodaten Luft- oder Artillerieschläge präzise ins Ziel zu lenken.

Überraschendes Zitat von Ex-Armeechef Schoigu: „Keine höhere Priorität als Menschenleben“

Allerdings scheint der Kampfwert der bodengestützten Drohnen noch unter Propaganda zu fallen. Der Telegraph berichtet von einem russischen Angriff auf eine ukrainische Stellung nahe Awdijiwka. Nachdem die russischen Truppen durch eigene Artillerie das Abwehrfeuer niedergekämpft und die MG-Stellung überrannt hatten „erkannten die Russen, dass ihr Gegner nicht mehr als ein Klumpen Metall war. Es handelte sich wahrscheinlich um einen von vier Kampfrobotern, die langsam entlang der Frontlinie eingeführt werden“, schreibt der Telegraph.

Eine zweite bemerkenswerte Anekdote berichtet die Kyiv Post: Obwohl Russland wohl nur weniger entwickelte Bodendrohnen als die Ukraine besitzt, scheint der ehemalige russische Armee-Chef Sergei Schoigu wohl auch eher auf Rettungs-, denn auf Angriffs-Roboter gesetzt zu haben, wie die Post berichtet. Shoigu habe noch im April „die sofortige Massenproduktion eines UGV für medizinische Evakuierungen angeordnet“; er soll gesagt haben: Die Dringlichkeit dieses Fahrzeugs sei von größter Bedeutung. Es sollte innerhalb der nächsten Tage seinen Betrieb aufnehmen.“ Es gibt keine höhere Priorität als die Rettung von Menschenleben.“

Das mag der russische Militär gemeinsam haben mit dem ukrainischen Zivilisten Dmytro Mamonov, wie ihn n-tv sagen lässt: „Ich bin ein Binnenflüchtling, das heißt, ein Mensch, der seine Wurzeln verloren hat und sich in der Schwebe befindet. Wenn ich nicht etwas Positives tue, wird mein Leben bedeutungslos.“ (Karsten Hinzmann)

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