Ukraine enttarnt ungarische Spione: Experte erklärt Orbans Plan
Der ukrainische Geheimdienst SBU hat in der Region Transkarpatien ein mutmaßliches Spionagenetzwerk aufgedeckt, das für den ungarischen Geheimdienst gearbeitet haben soll. "Zum ersten Mal in der Geschichte der Ukraine hat der Sicherheitsdienst ein ungarisches Militärgeheimdienstnetz entlarvt, das Spionageaktivitäten zum Nachteil unseres Staates durchführte", teilte der SBU in einer Nachricht mit.
Ukrainischer Geheimdienst nimmt Ungarn-Spione fest
Der Geheimdienst veröffentlichte Bilder der Festnahme eines mutmaßlichen ungarischen Spions. Der Festgenommene ist ein 40-jähriger ukrainischer Ex-Soldat. Er lieferte dem SBU zufolge Informationen über die ukrainischen Verteidigungsfähigkeiten in der Region Transkarpatien, die an Ungarn grenzt. So spionierte er demnach unter anderem Positionsdaten der Flugabwehr und die Größe und Bewegungen ukrainischer Armeeeinheiten in der Region aus.
Zudem soll er auch Informationen über die Stimmung in der Bevölkerung über den Einsatz eines ungarischen Truppenkontingents in der Region gesammelt haben. Auch eine weitere Ex-Armeeangehörige wurde festgenommen. Ihnen drohen nun lebenslange Haftstrafen. Rekrutiert worden seien sie von einem Mitarbeiter des ungarischen Geheimdienstes. Dieser habe auch andere ukrainische Bürger gewinnen wollen.

Ungarn weist Berichte zurück - doch sie bestätigen eine Vermutung der Ukraine
Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hat die Berichte aus der Ukraine zwar nicht explizit dementiert, stellte sie jedoch als PR-Stunt dar. "Es ist klar, dass in der Ukraine häufig anti-ungarische Propaganda eingesetzt wird. Anti-ungarische Propaganda, die sich in vielen Fällen als völlig haltlos herausgestellt hat", so Szijjártó. Man warte auf genauere Informationen aus der Ukraine zu den Anschuldigungen.
Ungarn hat unterdessen bereits auf die Festnahmen reagiert und zwei ukrainische Botschaftsmitarbeiter des Landes verwiesen. Die beiden hätten unter dem Deckmantel ihrer diplomatischen Mission "Spionagetätigkeiten" ausgeübt, sagte Szijjarto in einem Facebook-Video. Einzelheiten teilte er keine mit. Die Ukraine wiederum wies darauf am Freitagabend zwei ungarische Diplomaten aus, wie Außenminister Andrij Sybiha ankündigte.
Moskau will Keil in die Nato treiben
In der Ukraine, die sich seit mehr als elf Jahren gegen einen russischen Angriff wehrt, wurden die Nachrichten über den Spionageskandal mit Besorgnis aufgenommen. Der Kreml hat in den vergangenen Jahren immer wieder ins Spiel gebracht, einzelne Teile der Ukraine im Rahmen einer Eroberung an andere umliegende Staaten zu geben.
So suggerierten russische Propagandisten im Staatsfernsehen immer wieder eine Aufteilung der Ukraine mit einer Abgabe von Transkarpatien an Ungarn, der Westukraine an Polen oder der Bukowina an Rumänien. So will Moskau die nationalistischen Stimmungen in Teilen der Bevölkerung der Nato-Länder für seinen Eroberungsfeldzug nutzen und einen Keil in EU und Nato treiben.
Nach der letzten offiziellen Zählung im Jahr 2001 lebten in der ukrainischen Region Transkarpatien etwa 150.000 ethnische Ungarn. Die Beziehungen zwischen den Nachbarländern Ungarn und Ukraine sind angespannt. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gehört zu den wenigen europäischen Regierungschefs, die dem Kreml nahestehen und jegliche militärische Hilfe für die Ukraine im Krieg gegen die russische Invasion ablehnen.
Vorbereitung auf Kriegseinsatz und Abkehr von Friedensmission
In Budapest scheinen die Versuche des Kremls zumindest zum Teil auf fruchtbaren Boden zu fallen. Denn der ungarische Oppositionsführer Péter Magyar veröffentlichte am Donnerstag eine mutmaßliche Aufnahme eines Gesprächs des ungarischen Verteidigungsministers Kristóf Szalay-Bobrovniczky. In der Aufnahme aus dem Jahr 2023 kündigt der an, die ungarische Armee auf einen Krieg vorzubereiten. "Die fünfte Orbán-Regierung hat beschlossen, eine wirklich effektive, kampffähige ungarische Armee aufzubauen. Das bedeutet einen Bruch mit unseren bisherigen friedenserhaltenden Aktivitäten", so der Minister in dem mutmaßlichen Audioausschnitt. Demnach wollte man als ersten Schritt Nato-freundliche Offiziere aus der Armee entfernen. Er habe dafür den Generalstabschef beauftragt. Tatsächlich wurde zuvor der bisherige Generalstabschef Romulusz Ruszin-Szendi entlassen.
Woher der Mitschnitt stammt, ist bisher unklar. Auch die Echtheit konnte bisher nicht verifiziert werden. Doch die Orban-freundlichen ungarischen Medien schießen sich nicht etwa auf das Dokument ein, sondern versuchen stattdessen Ruszin-Szendi zu diskreditieren und zeigen Fotos des Ex-Armeechefs mit dem früheren ukrainischen Generalstabschef Walerij Saluschnyj.

Bereitete Ungarn einen Angriff auf die Ukraine vor?
Hat also Ungarn tatsächlich einen Angriff auf die Ukraine vorbereitet? Daran glaubt der Ungarn-Experte Daniel Hegedüs vom German Marshall Fund mit Blick auf die Agentenfestnahme oder die Aufnahmen nicht. "Das ist keine Smoking Gun" sagt er. Denn in der Region Transkarpatien seien viele ausländische Geheimdienste aktiv. Auch seien die Aussagen der Audioaufnahmen zu ungenau. "Ich bezweifele, dass es die Vorbereitung eines Angriffs auf die Ukraine ist", so Hegedüs. Wahrscheinlicher sei es, dass sich Ungarn dennoch auf einen möglichen Zusammenbruch der Ukraine vorbereitet habe.
Ob Ungarn selbst dann ukrainisches Territorium hätte besetzen können, glaubt Hegedüs nicht. "Ein eindeutiger Schritt in Bezug auf die territoriale Integrität der Ukraine würde sofort eine Koalition der anderen Nachbarstaaten auf den Plan rufen. Rumänien oder die Slowakei schauten mit Argwohn auf jegliche Gebietsdiskussionen Ungarns, da auch in diesen Staaten große Gebiet mit einer ungarischen Minderheit liegen. "Das würde jegliche Aspirationen sofort im Keim ersticken."
Risiko: Ungarn könnte Ukraine-Informationen mit Russland ausgetauscht haben
Dennoch seien die Aufnahmen bedenklich, sofern sie echt seien. Denn sie zeigen erneut, dass die Orban-Regierung bewusst Offiziere entfernt habe, die gute Beziehungen zu den offiziellen Nato-Bündnispartnern hätten.
Zudem sei nicht klar, was mit den Geheimdienstinformationen aus der Ukraine passiere. "Das größte Risiko ist, dass die ungarischen Geheimdienste die Informationen mit Russland ausgetauscht haben", so Daniel Hegedüs. Das wäre ein massiver Vertrauensbruch in Bezug auf die Nato-Partner. Eine Wahrscheinlichkeit gäbe es dafür durchaus. "Wir wissen, dass die ungarische Regierung von Russland durchsetzt ist", so der Ungarn-Experte.